Ein Haushaltsbuch zu führen ist plötzlich nicht mehr altmodisch, sondern notwendig. Aber es steigt auch die Kreativität, wie man sich trotz der gestiegenen Preise die Lebensfreude erhält.
Auf den Jahrmarkt freut sich Maja schon seit Wochen: Karussell und Riesenrad, Zuckerwatte, gebrannte Mandeln. Auch für ihre Eltern Nicole und Enrico ist die Herbst-Kirmes traditionell ein Highlight, aber in diesem Jahr mischt sich in die Vorfreude Unsicherheit: so viel Geld für Fahrgeschäfte und Snacks ausgeben, wenn im Hintergrund schon die nächste Strompreiserhöhung lauert? Weihnachten ist schließlich auch nicht mehr fern. Doch da sich die Kleine so darauf freut, hat sich die Familie auf einen Kompromiss geeinigt: Maja darf zwar mit ihren Lieblingskarussells fahren, aber gegessen wird vorher zu Hause. Und mit Blick auf Weihnachten stöbern alle durch die Schränke, um Ungenutztes vorher zu verkaufen. "Einschränken müssen wir uns aktuell schon, aber wir versuchen gerade deshalb, die Kleinigkeiten, die wir uns leisten, besonders zu genießen", resümiert Enrico. Um nicht den Überblick über das verfügbare Budget zu verlieren, führt Nicole seit dem Sommer eine Art Haushaltsbuch, wo sie die Einkäufe einträgt. Und dies zum ersten Mal im Leben.
Barbara Kösters erinnert sich noch gut an ihre Kindheit, als man Lebensmittel nur über Bezugsscheine erhielt. Heute braucht die Rentnerin wieder Gutscheine, um über die Runden zu kommen. Einmal pro Woche erhält sie diese beim Seniorenverein "Lichtblick" für Lebensmittel, Drogerieartikel, Tierfutter, Kleidung. "Alles wird rasend schnell teurer. Als Rentnerin habe ich wenig Möglichkeiten, mein Einkommen deutlich zu erhöhen. Also bleibt mir nur der Verzicht." Am leichtesten fällt ihr der bei neuer Kleidung, am schwersten bei den Leckerlis für ihren Hund. "Vielen meiner Bekannten geht es ähnlich. Bei unseren Treffen sitzen wir zusammen, spielen Brettspiele, und keiner muss sich schämen."
Das Thema Verzicht und Scham beschäftigt auch Heike F. Die Alleinverdienende hat nach Abzug der Fixkosten jeden Monat 536 Euro für sich und ihren Sohn zur Verfügung. "Vor der Preisexplosion war es schwer, aber machbar. Jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, wie wir finanziell über die Runden kommen sollen." Einschränken muss sich die kleine Familie in allen Bereichen: Lebensmittel gibt's nur vom Discounter – vorzugsweise Angebotsartikel, ebenso Kleidung und andere Bedarfsartikel. "Secondhandläden sind natürlich immer eine Option, aber wenn du in der Schule niemals was Neues hast, wirst du schnell abgestempelt", weiß Heike. Diese Erfahrung von Ausgrenzung möchte sie ihrem Sohn gern ersparen. Deshalb geht sie so oft wie möglich zur Blutplasma-Spende. 22 Euro extra, die sie jetzt schon zurücklegt für Weihnachtsgeschenke.