Betriebe und Bordelle fürchten um ihre Existenz, für alteingesessene Bewohner liegt das Sozialleben brach. Die Tage im Viertel gleichen einer emotionalen Achterbahnfahrt. Doch der Kiez hat schon viel erlebt und vor allem überlebt.
Kaum ein Ort eignet sich weniger zum Abstand halten als die Reeperbahn. Bordelle, Diskotheken, Restaurants, Imbisse, Bars und Stripclubs müssen immer wieder neue Auflagen erfüllen oder ganz schließen. Waren es früher 25 Millionen Besucher, die jährlich auf der Suche nach Party, Sex und Kontrollverlust für gute Umsätze sorgten, ist St. Pauli mittlerweile nachts wie ausgestorben. Dennoch versuchen die, die auf und mit der Meile leben, das Beste aus der Situation zu machen.
In "Susis Showbar" versucht Besitzer Christian Schnell, Optimismus zu verbreiten. Von Donnerstag bis Samstag öffnet er den bekannten Stripclub. Vor allem, um seinen Mitarbeitern eine Perspektive zu geben, denn Gäste verirren sich aktuell kaum in den Club, zumal den Stripperinnen das laszive Tanzen an der Stange momentan verboten ist.
Immer unterwegs ist auch Henrik Moss. Auf St. Pauli kennt man ihn unter dem Namen "Taxi Henni". "Ich habe eierschalenfarbenes Blut", sagt er in Anlehnung an die Farbe seines Taxis. Für ihn ist der Kiez mehr als nur ein Arbeitsplatz: Fast sein gesamtes Sozialleben spielt sich hier ab.
Am Rand von St. Pauli liegt die "Kleine Pause". Seit 1983 betreiben Thorsten und Sabine Clorius den Imbiss. Immer wieder mussten sie Ihren Laden aufgrund der Pandemie in den letzten Jahren vorübergehend schließen. Ihre Stammkunden aber sind geblieben. Schon morgens trifft sich die Nachbarschaft hier zum späten Frühstück, später schauen Nachtschwärmer auf ein Bier und Pommes vorbeischauen.
Melanie Beßler ist Inhaberin der "St. Pauli Textilreinigung". "Wir haben in den letzten Monaten um jeden Kunden gebettelt", erinnert sich die 49-Jährige. Insbesondere durch die vielen Menschen im Homeoffice ist die Nachfrage nach ihrer Dienstleistung rapide gesunken. Aber die Mutter von zwei Kindern gibt nicht auf und kann auf einen treuen Kundenstamm zählen.
Andreas Prüß ist Polizeioberkommissar auf der Davidwache, der berühmtesten Polizeistation Deutschlands. Von dort aus patrouilliert er über die Reeperbahn und die angrenzenden Straßen und Parks. "Normal haben wir hier pro Wochenende 20.000 bis 25.000 Besucher rund um die Reeperbahn, jetzt gerade sind es nur um die Tausend", sagt Prüß. Störenfriede und Unruhestifter gibt es aber trotzdem.
Auch die Obdachlosen haben es momentan schwer, weiß der 50-Jährige. Wer auf Hilfe angewiesen ist, bekommt sie beim Krankenmobil der Caritas. Der Kiez ist ein Hotspot für viele wohnungslose Menschen der Stadt. In der Talstraße gleich ums Eck der Reeperbahn kümmert sich Krankenschwester Annette Antkowiak um die medizinische Versorgung speziell von Wohnungslosen.
Eine "ZDF.reportage" über das Leben auf St. Pauli im dritten Jahr der Coronapandemie.