Wenn es nicht ausgerechnet an Allerheiligen geschehen wäre, hätte an jenem 1. November 1755 die Katastrophe in Lissabon sicher kein so verheerendes Ausmaß angenommen. Es beginnt unmerklich am frühen Morgen. Irgendwo südwestlich vor der portugiesischen Küste erschüttert ein starkes Erdbeben den Meeresgrund.
Innerhalb nur weniger Minuten erreichen die Schockwellen Lissabon. Drei Viertel aller Gebäude werden zerstört. Tausende sterben in den Kirchen, wo sich die Gläubigen gerade zum Gottesdienst versammelt haben. Die Überlebenden flüchten zum Hafen, dem größten freien Platz der Stadt - eine verhängnisvolle Entscheidung.
Zerstörerischste Katastrophe Europas
Denn ausgelöst durch das Seebeben jagen zehn Meter hohe Tsunamiwellen die Flussmündung des Tejo hinauf und überfluten den Uferkai sowie die angrenzende Baixa, die dicht besiedelte Unterstadt. Damit nicht genug. Umgestürzte Leuchter in den Kirchen und Kathedralen, die an diesem Feststag mit Tausenden von Kerzen hell erleuchtet sind, und verlassene Herdfeuer lösen verheerende Brände aus. Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen wirklich durch das Beben starben. Schätzungen sprechen von bis zu 100.000 Toten. Es ist eine der zerstörerischsten Naturkatastrophen in der Geschichte Europas.
Und noch immer ist nicht genau bekannt, wo genau das Epizentrum des Bebens war und ob von dort neue Gefahr droht. Deshalb durchsucht ein Forscherteam im Rahmen eines internationalen Tsunami-Projekts mit Hilfe modernster Messgeräte den Golf von Cadiz nach verräterischen Spuren. Auf dem Grund des Atlantiks stoßen hier gleich mehrere Kontinentalplatten aneinander, es herrscht verstärkte Erdbebengefahr. Ziel der Wissenschaftler ist die Einrichtung eines effektiven Tsunami-Frühwarnsystems, damit nie wieder Tausende an den Folgen eines Bebens wie im Jahre 1755 sterben.