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China – Auf der Spur der Drachen

Fabelwesen liefern den Schlüssel zu Chinas Geheimnissen

Dirk Steffens vor einem Wasserfall in China

Alle chinesischen Kaiser beriefen sich auf Drachenvorfahren. Wie kam es dazu?

Datum:
02.02.2014
Verfügbarkeit:
Video leider nicht mehr verfügbar

China ist das einwohnerreichste Land der Erde und die älteste durchgehend bestehende Zivilisation unseres Planeten. Im Westen türmen sich die höchsten Berge der Welt auf. Reißende Flüsse schaffen bizarre Felsformationen und Höhlen in Kathedralengröße. Über diese fabelhaften Landschaften herrscht ein ganz besonderes Wesen: der Drache. Kein anderes Land der Welt verehrt die Drachen so wie China. Ihre Spuren finden sich überall.

Verwunschene Landschaften, die an eine Sagenwelt erinnern: Wie der Rückenpanzer eines riesigen Drachen ragen zackige Felsformationen in den Himmel. China ist reich an spektakulären Karstgebirgen. Mal sind die Felsen sanft geschwungen, mal steil und schroff. An manchen Orten ist nur noch eine Art Wald von bizarren Felsen übrig geblieben. Viele tragen Namen wie "Drachenzahn" oder "Drachenrücken". Allen Formen gemeinsam ist ihre geologische Entstehung.

Der Gelbe Drache

Vor wenigen Jahren stießen Forscher in Nordchina am Ufer des Gelben Flusses auf ein 3700 Jahre altes Mosaik: die älteste Drachendarstellung der Vorfahren der heutigen Chinesen. Die Form gleicht einem Fluss. Experten sind überzeugt, dass es sich dabei um den Gelben Fluss handelt. Ist er der Ur-Drache Chinas? Der Gelbe Fluss ist die Lebensader des nördlichen China, er bereitete einst den Boden für die erste Zivilisation des Landes. Im Gegensatz zum regenreichen Süden ist Niederschlag hier knapp.

Die Quellen des Gelben Flusses liegen in 4500 Metern Höhe im tibetischen Hochland. Der steile Oberlauf verleiht ihm die Kraft, sich tief durch die folgenden Lössgebiete zu graben. Danach transportiert er 30-mal so viel Sedimente wie der Nil. Der Gelbe Fluss verdankt dieser Fracht seinen Namen, doch sie hat eine fatale Seite: Sobald der Fluss den flachen Mittellauf erreicht, setzen sich die Sedimente ab. Mit tödlicher Regelmäßigkeit schüttet er so sein eigenes Flussbett zu. Beim nächsten Hochwasser tritt er über die Ufer und überflutet das Land großflächig. Millionen Menschenleben hat der Gelbe Drache schon auf dem Gewissen. Doch kein chinesischer Drache ist nur böse. Der Gelbe Fluss schenkt zugleich neues Leben. Denn durch seine Fracht, den Löss, bildet sich fruchtbares Schwemmland, auf dem die Landwirtschaft gedeiht.

Vereinigung unter einem Kaiser

Die Bedeutung des Drachen spiegelt sich bereits in den ersten schriftlichen Zeugnissen. Die chinesische Schrift ist über 3000 Jahre alt und bestand zunächst aus Bildzeichen – Piktogrammen. Später wurden die Schriftzeichen weiterentwickelt, um auch komplexere Begriffe darzustellen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. stand der erste Kaiser Chinas vor der kaum lösbaren Aufgabe, ein riesiges Reich mit unzähligen Sprachen zu regieren. Statt der gesprochenen Sprachen vereinheitlichte er die Piktogrammschrift. Striche, die vom Himmel zu fallen scheinen, bildeten das Zeichen für Regen. Eine Sonne mit drei Menschen wurde das Vorbild für „Leute“. Auch das Symbol für „Drache“ entstand aus älteren Schriftzeichen verschiedener Regionen. Die einheitliche Schrift machte die Regierung des vielsprachigen Reiches erst möglich. Während sich die gesprochene Sprache im Laufe der Jahrhunderte veränderte und stark nach Dialekten unterschied, können 2000 Jahre alte Schriftzeichen bis heute von Chinesen gelesen und verstanden werden.

Der erste Kaiser Chinas herrschte zunächst über eine Provinz, die dreimal so groß wie das damalige Römische Reich war. In nur neun Jahren Krieg unterwarf er mit seinem 600.000 Soldaten starken Heer sechs Nachbarprovinzen. Er vereinigte diese sogenannten Streitenden Reiche unter dem Namen „Qin“ – China. Er selbst gab sich den Namen Qin Shi Huang Di: „Ich, der erste Gottkaiser Chinas, aus dem Schoß des Gelben Drachen“. Um die Überschwemmungen des Gelben Flusses zu stoppen, ließ er große Dämme bauen. Sicherheit und Wohlstand im Reich ermöglichten seinen Aufstieg. Nachdem er das Diesseits beherrschte, griff er mit dem Bau einer Grabanlage, größer und aufwendiger als alle ägyptischen Pyramiden, nach dem Jenseits: Über 7000 lebensgroße Terrakotta-Soldaten, gebrannt aus dem Löss der Flüsse, sollten ihn auch in der nächsten Welt unbesiegbar machen. Die weltberühmte Terrakotta-Armee, die 1974 beim Graben eines Brunnens in der Erde entdeckt und von Archäologen nach und nach geborgen wurde, beeindruckt noch heute und erinnert an den Begründer des chinesischen Reiches.

Verbotene Stadt in Peking

Qin Shi Huang Di begründete die beispiellose Karriere des chinesischen Drachen. Während der erste Kaiser den Drachen in seinen Namen aufnahm, gab kaum zwanzig Jahre später die nächste Dynastie an, sie sei direkt von einem Drachen gezeugt worden. Von da an beriefen sich alle chinesischen Kaiser auf Drachenvorfahren. In der Ming-Dynastie erlebte der Drachenkult seinen Höhepunkt mit dem Bau der Verbotenen Stadt. Der Ort, an dem Himmel und Erde aufeinandertreffen, war bis 1911 das Zentrum des chinesischen Kaiserreiches. Während damals dem Volk der Zutritt verwehrt war – daher der Name –, strömen heute täglich rund 40.000 Besucher in den Palastkomplex. Seine Ausmaße sind gewaltig: 9.999 Zimmer verteilen sich auf 720.000 Quadratmeter, fast doppelt so groß wie die Vatikanstadt. Tausende von Drachendarstellungen zieren die Wände, am berühmtesten ist die Neun-Drachen-Mauer.

Der Drache als Machtsymbol, das jedem Besucher unübersehbar ins Auge fällt – damit sollte nicht zuletzt die fehlende Legitimation seines Bauherrn kompensiert werden. Der Ming-Kaiser Yongle saß nämlich nicht rechtmäßig auf dem Thron. Im Jahr 1398 übergab der alternde Kaiser die Macht an seinen Nachfolger. Seine ältesten Söhne hatte er schon verloren. Dennoch überging er den kriegserfahrenen jüngsten Sohn und verlieh stattdessen seinem Enkel – dem Sohn seines Ältesten – die Kaiserwürde. Der in seinen Hoffnungen bitter Enttäuschte zettelte einen Bürgerkrieg an, in dessen Wirren der junge Kaiser vermutlich umkam. 1402 eroberte der Putschist die damalige Hauptstadt Nanjing und erklärte sich selbst zum Kaiser. Nur vier Jahre später entschied er, seine Machtbasis zu verlagern, und ließ 900 Kilometer weiter nördlich in Peking – der chinesische Name, je nach Dialekt auch „Beijing“ genannt, bedeutet übersetzt „Hauptstadt des Nordens“ – die größte Palastanlage bauen, die die Welt je gesehen hat.

Die Gewalt des Erddrachen

Bei allem Gigantismus war sich Yongle doch bewusst, dass er sich vor einem höheren Wesen in Acht nehmen musste: dem übellaunigen Erddrachen. Der Ming-Kaiser ließ die Verbotene Stadt erdbebensicher erbauen – auf Fundamenten, die acht Meter tief in die Erde reichen. Denn in China bebt die Erde so häufig wie in keiner anderen Region der Welt. 2008 erschütterte das schwerste Erdbeben seit drei Jahrzehnten die Provinz Sichuan. Über 50.000 Menschen starben, fünf Millionen wurden obdachlos. Der Grund dafür liegt in der Plattentektonik: Die indische Kontinentalplatte setzt die chinesische Platte unter massiven Druck. Das führt in China zu Spannungen, die sich immer wieder in Beben entladen.

Erdbebenforscher in China interessieren sich unter anderem für Tiere, die ein besonderes Sensorium für solche Naturkatastrophen besitzen: Schlangen. Vor dem Beben von Sichuan, so heißt es, hätten sich die Schlangen der Zuchtstation panisch verhalten. In vielen chinesischen Schlangenfarmen werden die Tiere nun mit Kameras überwacht, um ungewöhnliches Verhalten schnell zu erkennen und darauf reagieren zu können. Haben Schlangen tatsächlich die Fähigkeit, Erdbeben vorherzusehen? Tatsache ist: Schlangen spüren dank spezieller Sinnesorgane im Kopf die kleinste Erschütterung. Ob ihre Sensoren empfindlicher als die Seismografen der Erdbeben-Frühwarnstationen sind, konnten Forscher bislang allerdings nicht beweisen.

Marco Polo und der Steinerne Drache

In jedem chinesischen Drachen steckt ein Stück Schlange. Denn in der Mythologie der Chinesen setzt sich der Drache aus mehreren Tieren zusammen und vereinigt deren Fähigkeiten. Einer der fantasiereichsten Entdecker ließ sich von der chinesischen Drachenbegeisterung infizieren: Marco Polo, aus einer venezianischen Kaufmannsfamilie stammend, machte sich mit seinem Vater als einer der ersten Europäer auf die beschwerliche Reise und wurde 1271 vom Mongolenherrscher Kublai Khan empfangen. Der damalige Kaiser von China nahm den Fremden in seine Dienste. Über viele Jahre lernte Marco Polo als Gesandter weite Teile Chinas kennen und verfasste später seinen Bericht „Die Beschreibung der Welt“. Dort schildert der Venezianer eine Begegnung mit riesigen Schlangen auf Beinen, mit Rachen so groß, dass sie einen Mann verschlingen können. Schon Zeitgenossen bezweifelten den Wahrheitsghalt derartiger Erzählungen. Heute diskutieren Wissenschaftler, ob Marco Polo überhaupt in China war. Genauso gut könnte er Berichte von Händlern gesammelt und aufgeschrieben haben. Chinesische Quellen, die seinen Aufenthalt bezeugen, gibt es keine.

Als Kronzeuge gilt einigen Skeptikern die Chinesische Mauer: Dem größten Bauwerk, das Menschen jemals errichteten, widmet Marco Polo keine Zeile. Nach neuesten Messungen ist die Große Mauer oder auch der Steinerne Drache, wie die Chinesen sie nennen, über 21.000 Kilometer lang. Wollte man sie von Anfang bis Ende abschreiten, wäre man im normalen Schritttempo länger als ein halbes Jahr unterwegs – ohne Pause. Hätte Marco Polo, wenn er wirklich in China war, das nicht sehen müssen? Bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. soll mit dem Bau einer Mauer begonnen worden sein. Der erste Kaiser Qin Shi Huang Di ließ 214 v. Chr. Schutzwälle aus Lehm und Erde errichten, die das Reich vor Einfällen der Reitervölker aus dem Norden bewahren sollten. Aber erst unter der Ming-Dynastie, im 15. Jahrhundert n. Chr., erhielt die Große Mauer ihre endgültige Gestalt, die uns die erhalten gebliebenen Abschnitte heute zeigen. Zu Marco Polos Zeiten war der Steinerne Drache noch ein Drachenbaby, klein und unscheinbar – gut möglich, dass der Reisende von ihm gar nichts mitbekommen hat. Das Argument überzeugt also nicht. Die Mehrzahl der Experten geht heute davon aus, dass Marco Polo tatsächlich China bereist hat. Und die Drachen, von denen er berichtete – sie sind hier in der Mythologie allgegenwärtig. Seit der erste Kaiser den Drachen adelte, verkörpert dieser Macht und Stärke, gepaart mit Güte und Intelligenz. Auch der Venezianer konnte sich dem Zauber dieses Fabelwesens nicht entziehen.

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