Vietnam – Zerbrechliche Schönheit

Gibbons leben in der obersten Etage der Wälder, den Baumkronen. Blitzschnell hangeln sie sich durch die Wipfel. Einzelne Arten zu bestimmen ist für Forscher daher schwierig, zumal Gibbons im Laufe ihres Lebens ihre Fellfarbe ändern. Deshalb konzentriert man sich weniger auf das Aussehen der Tiere als auf ihren Gesang. Gibbonpaare singen im Duett. Damit, so vermuten die Forscher, markieren sie ihr Revier akustisch. Außerdem stärkt das Singen wahrscheinlich die Bindung. Gibbonpaare bleiben meist ein Leben lang zusammen. Der Schall trägt bis zu zwei Kilometer weit. Jede Gibbonart hat einen ganz typischen Gesang, der sich in Frequenz und Melodie von anderen Arten unterscheidet. Die Auswertung von Tonaufnahmen half 2010 dabei, den Nördlichen Gelbwangen-Schopfgibbon als neue Primatenart zu beschreiben, eine von inzwischen sieben Schopfgibbonarten. Insgesamt gibt es 25 Affenspezies in Vietnam, mehr als in allen anderen Ländern auf dem südostasiatischen Festland.

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Den großen Artenreichtum verdankt Vietnam seinen Wäldern. Sie sind bis zu 50 Millionen Jahre alt – etwa fünfmal so alt wie der Amazonas-Regenwald. Das hat mit der Erdgeschichte zu tun. Vor ungefähr 50 Millionen Jahren kollidierte die Indische mit der Eurasischen Platte, und der Himalaya faltete sich auf. Dieselben Kräfte ließen im Osten eine Landmasse wachsen, auf der auch das heutige Vietnam liegt. Die Region blieb von Eiszeiten verschont und von dadurch verursachten Artensterben. Das Leben konnte sich ungestört entfalten. Seit damals ist das Klima überwiegend feuchtwarm und bietet ideale Bedingungen für die Entwicklung vieler Arten. Zusätzlich hat die zerklüftete Landschaft mit vielen Tälern und Flüssen den Artenreichtum gefördert: Breite Ströme bilden Barrieren für Tiere, die weder schwimmen noch fliegen können. Wurden mehrere Artgenossen einst durch einen Fluss voneinander getrennt, konnten sie sich zu verschiedenen Spezies weiterentwickeln. Über Jahrmillionen entstand durch die isolierten Lebensräume Vielfalt.

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Die rund 2000 kleinen Inseln der Halongbucht im Norden bei Hanoi sind ein Glücksfall für die Artenvielfalt. Auf der größten Insel Cat Ba etwa gibt es die Cat-Ba-Languren, die nur hier und nirgendwo sonst auf der Erde leben. Die märchenhafte Welt wurde im Lauf von 20 Millionen Jahren durch Erosion geschaffen. Große Teile des Landes sind ehemaliger Meeresboden, also Kalkgestein. Da Vietnam in der Monsunzone liegt, regnet es zeitweise reichlich. Die Kohlensäure, die das Regenwasser enthält, zersetzt den Kalk. Dort wo sich der Regen in Kuhlen sammelt, schreitet der Prozess schneller voran. So bleiben Kegel aus Karstgestein stehen. Als der Meeresspiegel stieg, wurden sie voneinander getrennt.

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Die französische Kolonialherrschaft in Südostasien begann Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Errichtung eines Handelspostens. Indochina umfasste die Gebiete der heutigen Länder Vietnam, Laos und Kambodscha. Vor allem für den Anbau von Kautschuk wurden große Teile des ursprünglichen Waldes gerodet. Der Rohstoff war Anfang des 20. Jahrhunderts für die Produktion von Autoreifen sehr gefragt. Firmen wie Michelin exportierten aus Indochina jedes Jahr Zehntausende Tonnen Kautschuk in die Heimat. Bis zum Ende der Kolonialzeit in den 1950er-Jahren waren große Teile des ursprünglichen Waldes zerstört.

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Im Vietnamkrieg setzten die Amerikaner rund 14 Millionen Tonnen Bomben und andere Munition ein. Außerdem versprühten sie mehr als 70 Millionen Liter Herbizide. So wollten sie das dichte Blattwerk des Waldes zerstören und den Feind aus der Deckung holen. Die US-Soldaten benannten das Herbizid nach der Farbe der Etiketten auf den Fässern: Agent Orange. Nach dem Besprühen verloren Bäume ihre Blätter, blieben monatelang kahl. Viele Bäume starben, nachdem sie zwei- oder mehrmals besprüht worden waren. Den Soldaten war nicht bewusst, welch nachhaltigen Schaden sie damit anrichteten. Agent Orange und die Bomben haben wertvolle Natur zerstört. Der Vergleich zeigt: Zehn Jahre vor dem Krieg war das Land noch weitgehend von Tropenwald bedeckt. Nach Kriegsende war Vietnams uralter Wald auf verstreute Überbleibsel geschrumpft. In diesem Zeitraum wurde der kontinuierliche Schwund der Wälder durch Kriegsschäden und Rodungen enorm beschleunigt.

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Pflanzenfressern wie den Rotschenkligen Kleideraffen machte der Verlust der Wälder besonders zu schaffen. In manchem ihrer Rückzugsgebiete schlummern im Boden selbst heute noch giftige Rückstände aus Agent Orange. Die Giftstoffe lassen sich im Kot der Tiere nachweisen. Wissenschaftler vermuten, dass sie Gesundheit und Fortpflanzung der Tiere beeinträchtigen, aber die Auswirkungen sind kaum erforscht. Doch die größte Bedrohung für die Kleideraffen ist heute die Wilderei. Weil sie als Haustiere gehalten oder für die Produktion sogenannter traditioneller Medizin getötet werden, sind sie der Ausrottung nahe. Im Norden Vietnams kämpfen Forscher des Endangered Primate Rescue Center für das Überleben bedrohter Affenarten. Verwaiste Affenjunge werden in der Auffangstation vier bis fünf Jahre lang aufgezogen, bis sie ausgewildert werden können.

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Rund um den Nationalpark Phong Nha Ke Bang im nördlichen Zentralvietnam wurden mehr als 300 Höhlen entdeckt. Durch den häufigen Regen ausgespülte Risse in dem 400 Millionen Jahre alten Kalksteinplateau – einstigem Meeresboden – erweiterten sich im Laufe der Zeit zu großen Höhlen. Am außergewöhnlichsten ist die Bergflusshöhle, Han Son Doong, die erstmals 2009 von einem britischen Forscherteam erkundet wurde. Allein der Hauptgang ist fünf Kilometer lang und über die gesamte Länge sehr großräumig: bis zu 90 Meter breit und 200 Meter hoch. Han Son Doong gilt damit als größte Höhlenpassage der Welt. Sogar einen eigenen Dschungel hat sie in ihrer Mitte, 400 Meter unter der Erde. Das Dach der Höhle ist hier vor langer Zeit einmal eingebrochen, die Pflanzen versanken mit ihm. Heute wachsen sie im sogenannten Garten Eden dem Sonnenlicht entgegen.

Bildquelle: Ryan Deboodt

Buch und Realisation Nora Bergenthal, Eva-Maria Rauert
Kamera Oliver Roetz u. a.
Sprecher Johannes Steck

Redaktion TV Christiane Götz-Sobel, Tobias Schultes
Redaktion Online Katja Treu