Eine neue Generation war am Werk und kaum zu fassen. Die meisten ihrer Morde waren keinen Tätern zuzuordnen, bis heute.
Erst 1993 hatte die Polizei nach jahrelanger Suche endlich Aussicht auf einen späten Fahndungserfolg, doch die Festnahmeaktion im mecklenburgischen Bad Kleinen wurde zum blutigen Debakel.
Mogadischu und die Folgen
Die Flugzeugentführung, mit der die Anführer der RAF aus dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim freigepresst werden sollten, war 1977 gescheitert. Das Land atmete auf. Die Terrorgruppe hatte ihre Machtprobe mit dem Staat verloren. Seit die RAF-Gründer um Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1972 verhaftet wurden, zielten die Nachfolger vor allem auf deren Befreiung. Für die Führungsriege der RAF hatte sich damit die Hoffnung zerschlagen, noch ausgetauscht zu werden. Am Morgen nach der Geiselbefreiung entdeckten Gefängniswärter die Leichen von Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin in ihren Zellen.
Die Reaktion der RAF ließ nicht auf sich warten. Nach seiner Entführung war Arbeitgeberpräsident Schleyer zunächst in einer Wohnung in Erftstadt bei Köln gefangengehalten worden, sein letztes Versteck befand sich in Brüssel. Nachdem die Aktion in Mogadischu missglückt war, wurde der Arbeitgeberpräsident über die belgisch-französische Grenze gefahren und in einem Waldstück durch drei Schüsse in den Hinterkopf ermordet. Sechs Wochen nach seiner Verschleppung in Köln wurde Schleyers Leiche am 19. Oktober 1977 im Elsass gefunden. Nach dem blutigen "deutschen Herbst" löste sich während der nächsten Monate langsam die Anspannung in der Bundesrepublik. Der Terror schien Vergangenheit.
Ein neuer Beginn
Nach den Ereignissen des "deutschen Herbstes" wurde die RAF nun von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt angeführt. Mohnhaupt, die noch Andreas Baader in Stammheim getroffen hatte, reorganisierte die RAF. Sie gliederte die Terrorgruppe in eine süddeutsche und eine Hamburger Zelle. Christian Klar bildete mit anderen die süddeutsche Zelle der RAF. Die "Hamburger Tanten" wurden von Susanne Albrecht gelenkt.
Im Mai 1978 wurde Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Boock und andere in Jugoslawien verhaftet. Für die Auslieferung in die Bundesrepublik forderte Jugoslawien wiederrum die Übergabe von acht Exilanten, was die Bundesregierung ablehnte. Schließlich durften die Gefangenen in ein Land ihrer Wahl ausreisen. Sie ließen sich nach Aden, die Hauptstadt der Volksrepublik Südjemen, ausfliegen. Dort sammelte die demoralisierte Kampfgruppe neue Kräfte. Seit einigen Jahren bestand ein Trainingscamp im Südjemen, wo die Terroristen um Susanne Albrecht und Peter-Jürgen Boock auch die Entführung Schleyers vorbereitet hatten. Arabische Terrororganisationen leisteten aktive Aufbau- und Ausbildungshilfe für die Gesinnungsfreunde aus dem Westen.
Die RAF schlägt wieder zu
Mitte 1979 meldete sich die RAF zurück, mit einem Bombenanschlag auf den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig in Brüssel. Zwei Jahre später war US-General Frederick Kroesen in Heidelberg das Ziel vom "Kommando Gudrun Ensslin". Kroesens Namen hatte die Polizei erst kurz zuvor auf einer internen Liste der RAF entdeckt. Am 31. August 1981 erfolgte ein Sprengstoffanschlag auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein, wo sich das Hauptquartier der US Air Force in Europa befand. Zahllose Menschen wurden verletzt. Es folgten weitere Gewalttaten gegen Militäreinrichtungen.
Im Herbst 1981 kam den Fahndern der Zufall zu Hilfe. In einem Wald bei Frankfurt-Heusenstamm fanden Pilzsammler eines von 18 sogenannten Erddepots, die die RAF im ganzen Land unterhielt. Dadurch konnte Brigitte Mohnhaupt am 11. November 1982 beim Erddepot verhaftet werden. Sie wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Nicht anders erging es Christian Klar, der im selben Jahr in Hamburg festgenommen werden konnte. Damit war das Schicksal der zweiten Generation besiegelt. Doch wo befanden sich die restlichen Gesuchten?
Zuflucht in der DDR
Erst als nach dem Mauerfall die Archive der DDR-Staatssicherheit gestürmt wurden und die Akten offen lagen, enthüllte sich das ganze Ausmaß eines streng geheimen Unternehmens. Die DDR-Führung hatte zehn RAF-Aussteigern, ausgestattet mit neuen Lebensläufen, eine Heimstatt geboten. Als erstes RAF-Mitglied flüchtete Inge Viett 1976 über die Agentenschleuse in Berlin-Friedrichstraße in die DDR. Zahlreiche Terroristen sollten ihr folgen. Im Laufe des Jahres 1980 tauchten Susanne Albrecht und viele weitere Aussteiger mit Hilfe der Stasi in der DDR unter. Sie lebten fortan unter falschen Identitäten.
Die Zusammenarbeit erstreckte sich aber nicht nur auf das Gebiet der "Fluchthilfe". Auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe von Frankfurt an der Oder übten Christian Klar und andere RAF-Aktivisten mit einer Panzerfaust auf einen PKW zu feuern, um die Sprengkraft einer Panzerfaust am Objekt zu testen. Umgesetzt wurde diese Ausbildung 1981 beim Anschlag auf US-General Kroesen. Erst die deutsche Einheit beendete nach über zehn Jahren diese Episode des Kalten Krieges. Die Aussteiger konnten 1990 verhaftet und vor Gericht gestellt werden.
Die dritte RAF-Generation
Birgit Hogefeld, die sich seit einiger Zeit für inhaftierte RAF-Terroristen engagiert hatte, ging 1984 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Wolfgang Grams in den Untergrund. Beide wurden zu den bekanntesten Mitgliedern der mysteriösen dritten RAF-Generation. Mit der Aufklärung der Fälle kamen die Ermittler damals nur schleppend voran. Die Täter schienen wie vom Erdboden verschluckt. Keine Fingerabdrücke, keine brauchbaren Spuren. Noch immer ist diese Terror-Generation nur in Umrissen erkennbar. Sie wird häufig mit einem "Phantom" verglichen.
Nur zwei RAF-Terroristen der dritten Generation - darunter Birgit Hogefeld - mussten sich vor Gericht verantworten und sitzen heute in Haft. Wohl kennt die Polizei einen Kreis von Verdächtigen, aber den einzelnen Morden lassen sich keine Täter eindeutig zuordnen. Viele könnten noch immer unerkannt in der Bundesrepublik leben. Die Rätsel bleiben. Spekulationen hinsichtlich der Beteiligung deutscher oder ausländischer Geheimdienste an den Attentaten erweisen sich allerdings als unhaltbar.
Professionelle Killer
Am 8. August 1985 passierte ein Wagen mit US-Kennzeichen die Pforte zum amerikanischen Militärflugplatz bei Frankfurt am Main. Der Fahrer zeigte einen Dienstausweis: Edward Pimental. Wie sich später zeigte, war der GI in der Nacht brutal ermordet worden. Die Terroristen stellten den Wagen auf einem Parkplatz auf dem Gelände des Flughafens ab. Im Kofferraum des Tatautos befand sich eine Bombe. Durch die gewaltige Explosion verbluteten zwei Amerikaner beim Anschlag. Zahlreiche Verletzte blieben zurück.
Fortgesetzt wurde die Mordserie im Sommer 1986. Von einem ferngezündeten Sprengsatz wurde am 9. Juli der Wagen des Siemensmanagers Karl Heinz Beckurts in der Nähe von München zerrissen. Er und sein Fahrer Groppler waren sofort tot. Beckurts war Atomphysiker und Verfechter der Kernenergie. Wer konkret hinter dem "Kommando Mara Cagol" steckte, blieb rätselhaft. Auf das Konto der nicht identifizierten Beckurts-Mörder ging nach Einschätzung der Behörden auch der tödliche Anschlag auf Ernst Zimmermann, Chef eines Rüstungskonzerns, im Februar 1985 in Gauting bei München. Sämtliche Täterspuren führten ins Leere.
Die letzten Opfer der RAF
Am 30. November 1989, drei Wochen nach dem Mauerfall, war Alfred Herrhausen in Bad Homburg auf dem Weg ins Büro. In seiner gepanzerten Limousine durchstieß er eine Infrarot-Lichtschranke. Dadurch wurde eine Explosion ausgelöst, deren Wucht der gepanzerte Wagen wenig entgegensetzen konnte. Für Alfred Herrhausen kam jede Hilfe zu spät. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank starb noch am Unfallort.
Trotz seiner Entschuldungspolitik für die Entwicklungsländer war Herrhausen für die RAF ein verhasster Vertreter der kapitalistische Wirtschaftsordnung. Wer für das Attentat verantwortlich ist, wissen die Ermittler bis heute nicht. Auch von dem Scharfschützen, der den Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder am 1. April 1991 in Düsseldorf tödlich traf, fehlt immer noch jede Spur. Haar-Analysen brachten den in Bad Kleinen erschossenen Wolfgang Grams mit dieser Tat in Verbindung.
Das Ende der RAF
Die Gelegenheit zu einem entscheidenden Schlag gegen die dritte RAF-Generation kam am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen. Dorthin reisten Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, um einen Bekannten zu treffen. Die Aktion "Weinlese", wie das BKA die Ergreifung der Terroristen getauft hatte, lief auf Hochtouren. GSG9-Beamte positionierten sich auf dem Bahnhof. Dann schnappte die Falle zu. Ein Polizeibeamter - Michael Newrzella - und Wolfgang Grams kamen ums Leben. Ob der Polizist von Grams oder einem Querschläger getötet wurde, bleibt ungewiss. Auch die Umstände des Todes von Wolfgang Grams sind heute noch ein Streitpunkt. Wahrscheinlich verübte er auf den Gleisen liegend Selbstmord. Dennoch wollen Behauptungen nicht verstummen, dass der Verletzte von Beamten erschossen wurde.
1992 verkündete die RAF, sie würde die Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat einstellen. Am 20. April 1998 ging bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln ein Schreiben der Roten Armee Fraktion ein. Die letzten im Untergrund lebenden RAF-Mitglieder erklärten darin die Organisation für aufgelöst. Reue gegenüber ihren Opfern zeigten sie nicht.