Die Öko-Rebellen vom Himalaya

Sikkim ist ein Bundesstaat in Indien.
Lage: Im Nordosten Indiens, zwischen Nepal, China und Bhutan, im Osten des Himalaya-Gebirges
Fläche: 7.000 Quadratkilometer
Einwohner: 620.000 (der Einwohnerzahl nach kleinster Bundesstaat Indiens)
Hauptstadt: Gangtok (30.000 Einwohner)
Höchster Berg: Mit 8.586 Metern ist der Kangchenzönga der dritthöchste Berg der Welt.
Klima: Subtropisch im Süden, Tundra im Norden, dazwischen gemäßigtes Klima
Landschaft: Sikkim ist ein sehr bergiges Gebiet, der Norden liegt in der Region des Himalaya.
Natur- und Umweltschutz: Ein Drittel des Landes steht unter Naturschutz. In Sikkim darf nicht gejagt und nicht gefischt werden. Rund vierzig Prozent des Bundesstaates sind bewaldet. Müllvermeidung wird im gesamten Bundesstaat vorangetrieben, insbesondere die Vermeidung von Plastikmüll.
Bevölkerung: Dreiviertel der Menschen leben auf dem Land. Die Alphabetisierungsrate ist mit 82 Prozent höher als der Durchschnitt in Indien.
Die vorherrschende Religion ist Hinduismus, gefolgt von Buddhismus. Zahlreiche buddhistische Klöster zeugen davon, dass der Bundesstaat einst buddhistisch war: Bis 1975 war es ein eigenständiges Königreich, dann wurde Sikkim ein Staat der indischen Union.
Landwirtschaft: Seit 2016 wird in Sikkim ausschließlich ökologische Landwirtschaft praktiziert. Wichtige Exportprodukte sind Tee und Kardamom.

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Im Bild: Indiens Premierminister Narendra Modi (links) mit Shri Pawan Chamling, Ministerpräsident von Sikkim (rechts)

Shri Pawan Chamling wuchs auf einem Bauernhof auf. 1994 wurde er zum ersten Mal zum Ministerpräsidenten von Sikkim gewählt und regiert den Bundesstaat seither ununterbrochen.

In einer historischen Erklärung verkündete er 2003, dass der Bundesstaat die gesamte Landwirtschaft zu biologischem Anbau hin umbauen werde. Die chemischen Stoffe gefährdeten das gesamte Ökosystem, so die Begründung des engagierten Ministerpräsidenten. Die Bauern sollten schrittweise und freiwillig auf synthetische Spritz- und Düngemittel verzichten. Dem dienstältesten Ministerpräsidenten Indiens war es wichtig, seine Bevölkerung vor den Folgen einer Landwirtschaft zu bewahren, durch die Chemikalien in Nahrungsmittel, Böden und Umwelt gelangen.

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Viele Maßnahmen wurden umgesetzt, um die biologische Landwirtschaft im ganzen Bundesstaat durchzusetzen:

• Kunstdünger wurde zunächst teurer, und damit unattraktiver, indem staatliche Förderungen gekürzt wurden.
• Stattdessen wurden Kompostierungsanlagen gebaut und den Bauern gezeigt, wie sie mit Kompost düngen können.
• In biologischer Landwirtschaft geschulte Beamte gaben ihr Wissen an die Bauern weiter.
• Demonstrationsbetriebe wurden eingerichtet, um ökologische Landwirtschaft in der Praxis zu zeigen.
• Seit 1. April 2018 darf laut Gesetz kein konventionell angebautes Obst und Gemüse nach Sikkim eingeführt werden.
• Gebrauch, Einfuhr und Verkauf von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln sind verboten. Es drohen Strafen von 300 Euro und bis zu drei Monate Haft.

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Der indische Bundesstaat Sikkim wird am 15. Oktober für seine Umstellung auf Öko-Landbau mit dem Zukunftspreis Future Policy Award in Gold geehrt. Der Umwelt-"Oscar" ist der einzige internationale Preis, der nicht Personen auszeichnet, sondern Gesetze und Programme, die bessere Lebensbedingungen für heutige und zukünftige Generationen fördern. Verliehen wird er von der Hamburger Stiftung World Future Council (WFC) in Kooperation mit der UNO-Ernährungsorganisation (FAO) und dem internationalen Dachverband für ökologischen Landbau IFOAM - Organics International.

"Sikkim zeigt uns, dass nicht 'nur' gute Ideen, sondern auch entsprechender politischer Wille sehr viel zum Positiven verbessern können", begründete die Jury die Wahl. Die entlegene Himalaya-Region trage damit zum Kampf gegen den Klimawandel, schrumpfende Biodiversität und zur Transformation konventioneller Ernährungssysteme bei. Pressesprecherin Miriam Petersen: "Sikkim hat bei der Durchsetzung des 100-prozentig ökologischen Landbaus viel Mut und Konsequenz gezeigt, gerade weil die Zerstörung von nicht ökologisch angebauten Lebensmittelimporten durchaus kontrovers gesehen werden kann." Dass bereits drei weitere indische Bundesstaaten dem Vorbild Sikkims folgen wollen, zeige die Strahlkraft des Gesetzes und war mit ein Grund für die Wahl. Die Förderung der Agroökologie ist laut UNO wesentlich zur Erreichung der in der Agenda 2030 zusammengefassten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs).

Der Future Policy Award ist der Schwester-Preis des Alternativen Nobelpreises, mit dem Personen ausgezeichnet werden, und geht auf denselben Gründer Jakob von Uexküll zurück. Ziel ist es, gute Gesetze weltweit bekannt zu machen, um so zur Nachahmung anzuregen. Im Vorfeld hatten mehr als 20.000 Expertinnen und Experten insgesamt 51 Gesetze aus 25 Ländern für den Preis nominiert; unter den Nominierungen befand sich kein einziges Gesetz aus Deutschland.

Bei der Veranstaltung am 15. Oktober in Rom werden hochrangige Redner präsent sein. Die Vizegeneraldirektorin der UN-Welternährungsorganisation (FAO), Maria Helena Semedo, eröffnet die Preisverleihung. Es ist geplant, dass der Goldpreis an Sikkim, empfangen durch H.E. Chamling, von José Graziano da Silva, dem Generaldirektor der FAO, überreicht wird.

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Der indische Bundesstaat Andhra Pradesh zählt fast 50 Millionen Einwohner. Rund sechs Millionen Familien leben von der Landwirtschaft. Am 2. Juni 2018 verkündete der Ministerpräsident, dass diese bis spätestens 2024 auf chemisch-synthetische Pestizide verzichten sollen. In Südindien entsteht so eine pestizidfreie Region, die größer ist als Österreich, die Schweiz und Belgien zusammen.

UNEP: Andra Pradesh
Öko-Institut München: Bio-Revolution in Indien

Ökologischer Landbau in Sikkim
Sikkim Organic Mission
Sikkim University
National Programme for Organic Production India

Biologische Landwirtschaft in Deutschland und Europa
Umstellung auf ökologische Landwirtschaft (Informationsportal Ökolandbau)
Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN)
Pestizidfrei verpachten (Öko-Institut München)
Internationale Vereinigung der ökologischen Landbewegung (IFOAM)
Christian Schrader, Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL)
Adrian Müller, Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL)
Datenbank zur Biolandwirtschaft in den Ländern Europas (FiBL)
The World of Organic Agriculture Statistics and Emerging Trends 2018 (IFOAM/FiBL)

Von Christine Elsner, ZDF Umweltredaktion

Die Einwohner von Sikkim sind stolz auf ihre Regierung. Denn kein anderer Bundesstaat der Welt hat es bislang geschafft, die Landwirtschaft komplett auf Ökolandbau umzustellen. Dieses Alleinstellungsmerkmal schafft Selbstbewusstsein. Die konsequente Umstellung bedeutet: alle 66.000 Kleinbauern verzichten auf Pestizide und Kunstdünger. Seit Beginn des Projekts stellt die Regierung von Sikkim alle benötigten Hilfsmittel kostenlos zur Verfügung. Dazu zählen etwa Kompostplätze, umfangreiche Angebote für Schulungen und Weiterbildung sowie technisches Equipment. Zudem wird im eigens geschaffenen staatlichen Forschungszentrum für ökologischen Landbau traditionelles Wissen mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen kombiniert. Beispiel Maisanbau: Der Schädlingsbefall wird mit Extrakten des traditionellen Neembaums behandelt. Darüber hinaus setzen die Bauern auf weitere natürliche Hilfsmittel.

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Das Gold der Bauern sind Würmer: Unzählige tierische Helfer zersetzen den organischen Abfall zu Naturdünger für die Felder. Mehr als 10.000 Kompostplätze hat die Regierung einrichten lassen, Tendenz steigend. Zudem soll jeder Betrieb eine Kuh halten um neben der fruchtbaren Komposterde auch nährstoffreichen Mist auf die Felder ausbringen zu können. Eine Kleinbäuerin bringt es auf den Punkt: „Es geht nicht nur darum, eine reiche Gemüseernte einzufahren, es geht auch um die Gesundheit der Böden. Deswegen setzen wir auf eine ausgeklügelte Fruchtfolge. Das hilft auch der Bodenfruchtbarkeit. Wenn man immer die gleiche Kultur anpflanzt, nimmt die Qualität der Böden sehr rasch ab. Deswegen setzen wir auf Vielfalt.“ 

Bis zu drei Mal im Jahr wir geerntet. Auffallend sind die Mischkulturen. Neben der Hauptfrucht werden kleinere Begleitfrüchte angebaut. Die Palette reicht von Hirse, Weizen, Mais und Reis über Bananen und Mangos bis hin zu Gurken, Kiwi, Walnüssen und Gewürzen. Die Feldfrüchte werden im Stockwerkbau angebaut. Bei dieser Anbaumethode schützen hochwachsende Pflanzen die niedriger wachsenden Pflanzen vor zu starker Sonneneinstahlung und Regen. Neben der Selbstversorgung beinhaltet das Konzept auch die Vermarktung der Produkte. So verkaufen die Farmer Blumenkohl und andere Produkte an lokale Händler, die die Bioware auf dem gesamten indischen Markt verkaufen. Und Ministerpräsident Shri Pawhan Chamling wird nicht müde persönlich durch den Bundesstaat Sikkim zu fahren, um die Menschen über seine weiteren Pläne zu informieren. So sollen beispielsweise die bio-zertifizierte Tierhaltung und die Futtermittelproduktion in Zukunft ausgebaut werden. Der dienstälteste Ministerpräsident Indiens zieht eine Zwischenbilanz: „Es war sehr schwierig, die Menschen zu überzeugen. Aber nach und nach haben sie schätzen gelernt was Biolandbau wirklich bedeutet. Meine Vision ist, dass die gesamte Welt bis zum Jahr 2050 auf Ökolandbau umstellt. Und dafür müssen wir zusammenarbeiten.“                   

Die ersten Nachahmer gibt es bereits. Drei weitere indische Bundesstaaten wollen komplett auf Bio umstellen. Ein Blick auf Deutschland ist ernüchternd: Hierzulande liegt der Öko-Anbau bei acht Prozent. Gülle auf den Feldern, Pestizide und Kunstdünger prägen die Agrarwirtschaft. Man sei offen für Bio, aber der Markt sei schwierig, eine zentral geplante Umstellung auf 100 Prozent mache keinen Sinn meinen Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes.

Der Welternährungstag findet jedes Jahr am 16. Oktober statt. Seit 1979 erinnern die Vereinten Nationen (United Nations, UN) damit an die vielen Millionen Menschen weltweit, die Hunger leiden. Der 16. Oktober wurde ausgewählt, weil an diesem Datum 1945 die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization) gegründet wurde. Ihre Aufgabe als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist es unter anderem, Ernährungssicherheit zu für die Menschen weltweit zu erreichen.

Hunger nimmt zu
Trotz vieler Bemühungen nimmt die Anzahl der Menschen, die unterernährt sind, sogar wieder zu - und das bereits im dritten Jahr in Folge.

Rund 820 Millionen Menschen mussten 2017 Hunger erleiden. Täglich sterben tausende Menschen an Unterernährung und ihren Folgen - mehr als die Hälfte davon sind Kinder unter fünf Jahren.

Quellen und weitere Informationen:
Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP)
Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Bildquelle: dpa

Ein Film von Berndt Welz
Kamera: Sacchin Singh
Schnitt: Philipp Neuweiler
Redaktion: Martin Ordolff
Leitung der Sendung: Volker Angres

Bildquelle: ZDF/Berndt Welz