Vor der Wende war Bitterfeld Standort der DDR-Film- und Fotoindustrie und großer Chemie-Kombinate. Nach der Wende kam der Einbruch. Die Fabriken wurden geschlossen. Arbeitsplätze gingen verloren, die Bevölkerung schrumpfte von 3000 Einwohnern auf 1500.
Trotzdem, Stillstand gab es hier nie. Der Chemiepark, wie er heute heißt, wurde wiederbelebt und in den letzten Jahren zu einem der modernsten in ganz Europa umgebaut. Große Pharmakonzerne stellen hier Medikamente wie Kopfschmerztabletten her. Außerdem werden die modernsten Glasfaserkabel der Welt in Bitterfeld-Wolfen gefertigt, ohne die kein Smartphone funktionieren würde. Die Arbeitsplätze hier sind begehrt, seit einiger Zeit beobachten die Macher sogar eine Rückwanderungswelle. Ehemalige Bitterfelder kommen nach Hause, um hier zu arbeiten.
Doch die Region musste in den letzten Jahren auch Rückschläge verkraften. Neben der Chemieindustrie wollte sich Bitterfeld-Wolfen weltweit auch mit Solarindustrie einen Namen machen. Riesige Anlagen wurden im sogenannten Solar-Valley gebaut. Über 5000 Menschen stellten Photovoltaikanlagen her. Doch die Konkurrenz aus China produzierte günstiger. Q-Cells meldete Insolvenz an, Tausende verloren ihre Jobs.
Und dennoch, der Bürgermeister verkündet stolz, dass man demnächst die Vollbeschäftigung erreiche. Die Arbeitslosenquote auf Rekordtief. Und doch regiert im Viertel Wolfen-Nord die Armut. Hier ist jeder Fünfte ohne Job und merkt nichts vom wirtschaftlichen Aufschwung.
Und auch im Stadtzentrum von Bitterfeld regiert Tristes. Die Straßen erscheinen noch genauso grau wie früher, als die Schornsteine noch tonnenweise Dreck ausgestoßen haben. Billigmärkte, vietnamesische Textilgeschäfte - viel mehr gibt es im Zentrum nicht. Das ärgert Ladenbesitzer Kay-Uwe Ziegler. Er hat sich für die AfD als Oberbürgermeisterkandidat aufstellen lassen. Denn für ihn verkommt die Stadt immer mehr. Ziegler fehlt es an klaren Perspektiven für Bitterfeld-Wolfen.
Besonders wütend ist er über die Sache mit dem Goitzsche-See. Ein gefluteter Tagebau, der für 300 Millionen Euro saniert und zum Naherholungsgebiet ausgebaut wurde. Geld, das nach Zieglers Meinung eher in den Ausbau der Innenstadt hätte gesteckt werden müssen. Denn die Stadt profitiert vom Goitzsche-See nicht. Vor zwei Jahren gab die damalige Bürgermeisterin grünes Licht für den Verkauf des Sees an ein privates Unternehmen - für nur knapp drei Millionen Euro. Ein riesiger Skandal für den AfD-Mann. Ziegler beklagt zum einen, dass hier Millionen Steuergelder "verschenkt" würden und dass der hoch verschuldeten Stadt durch die Privatisierung des Sees in den nächsten Jahren Millioneneinnahmen aus dem Tourismus durch die Lappen gehen würden. Bei den Bitterfeld-Wolfenern punkten konnte er mit dem Thema beim Wahlkampf jedoch nicht. Der CDU-Kandidat machte das Rennen. Und Armin Schenk hat nur lobende Worte für das Naherholungsgebiet um die Goitzsche übrig. Hier haben sich Bootsvermieter, Seniorenheime und Gastronomen niedergelassen.
Der erfolgreichste von ihnen ist Andreas Beuster. Bitterfelder Urgestein. Mit seinem Restaurant "Seensucht" lockt er jährlich Tausende an den See, darunter auch viele Promis. Denn der Ruf der Küche reicht weit über die Stadtgrenzen von Bitterfeld-Wolfen hinaus. Für Beuster hat die Stadt in den Jahren nach der Wende viel richtig gemacht. Die ehemals "schmutzigste Stadt Europas" ist ihren Titel los, doch Positives und Negatives so scheint es, halten sich hier die Waage.
Ein ZDF-Team hat über mehrere Wochen die schönen und die hässlichen Seiten der Stadt dokumentiert und zeigt, dass Bitterfeld-Wolfen auch 28 Jahre nach der Wende noch immer um seinen Ruf kämpft.