Viele haben ihr Leben mitten unter den Deutschen eingerichtet. Aber es gibt auch Viertel, die mehrheitlich von einer ethnischen Bevölkerungsgruppe bewohnt werden. Sind das Parallelgesellschaften? Dieser Frage geht die achtteilige Reportagereihe nach.
Woran liegt es, dass Menschen einer Nationalität in einem Viertel zusammenleben? Ist es Heimatersatz oder Rückzug in eine eigene Welt, weil sie sich nicht integrieren wollen?
Die Serie beginnt mit Little Hanoi. Das liegt mitten in Berlin - im Stadtteil Lichtenberg. Und das Dong Xuan Center ist der zentrale Marktplatz für die vietnamesischen Einwanderer. Mehr als 200 Händler bieten hier ihre Waren und Dienstleistungen an. Hinzu kommen Hunderte von vietnamesischen Angestellten und Mitarbeitern. Fast 2000 Menschen arbeiten in den acht Hallen.
Tuan Anh Nguyen ist in Lichtenberg aufgewachsen und hat schon auf dem Gelände des Centers gespielt, als hier noch kein einziger Stand war. Tuan kümmert sich um alles. Zu ihm kommt man, wenn man Hilfe bei einem Behördengang oder bei einem Arztbesuch braucht. Er weiß Rat, wenn man Fracht aus Vietnam importieren möchte und diese am Ende im Zoll feststeckt.
Die vietnamesischen Einwanderer sind eine Erfolgsstory im Verborgenen, denn sie gelten als verschlossen und geben wenig über sich preis. Im Berliner Bezirk Lichtenberg wohnen fast 4700 von ihnen und stellen damit die größte ausländische Bevölkerungsgruppe.
Besonders die Nordvietnamesen haben hier eine Community gegründet, die diesen Stadtteil in Klein-Asien verwandelt hat. Viele kamen als Vertragsarbeiter in die DDR, um als günstige Arbeiter aus "sozialistischen Bruderländern" die ostdeutsche Planwirtschaft zu stützen.
Nach der Wende bot die Regierung rund 60 000 Vertragsarbeitern Rückflüge in deren Heimatland an. Doch viele Vietnamesen entschieden sich, in Deutschland zu bleiben, da sie hier für ihre Kinder bessere Chancen sahen. Eine andere Gruppe der Vietnamesen trifft man dagegen in Berlin kaum an: diejenigen, die in den 80er Jahren als Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen waren, die sogenannten Boatpeople.
Heute leben rund 150 000 Vietnamesen in Deutschland, zirka 40 000 haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie gelten im Allgemeinen als fleißig, lerneifrig, strebsam – und unauffällig: Sie sind quasi die stillen Integrationsmusterschüler und die größte ostasiatische Ethnie hierzulande, noch vor den Chinesen.
Im Vergleich zu anderen Migranten ist bei ihnen die Bildungsquote höher, die Arbeitslosen- und die Kriminalitätsrate niedriger. Die Eltern gelten als autoritär, die Erziehung als besonders streng. Vietnamesen glauben nicht, dass Kinder unterschiedlich intelligent sind, sondern nur unterschiedlich fleißig. Fast 60 Prozent der vietnamesischen Schüler besuchten ein Gymnasium.
Dagegen kommen alle in Deutschland lebenden Migranten nur auf knapp 20 Prozent. Einer von ihnen hat es bis zum Vizekanzler gebracht: Philipp Rösler, ehemaliger Bundesgesundheits- und später Bundeswirtschaftsminister, der als vietnamesisches Waisenkind von einer Familie aus Niedersachsen adoptiert wurde.
Das Ehepaar Le Anh Duc und Le Khuyen steht geradezu mustergültig für seine Landsleute. Die beiden arbeiten rund zwölf Stunden täglich in ihrem Handyladen - sieben Tage die Woche. Ihre drei Kinder sehen sie erst abends um 20:30 Uhr.
Nguyen Thanh Luan ist Kung-Fu-Meister und Inhaber der erfolgreichsten Kung-Fu-Schule in Berlin. Ihm ist wichtig, nicht nur vietnamesische, sondern auch deutsche Schüler zu unterrichten und so eine Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen.
Die andere Seite des Alltags in Lichtenberg erlebt die Sozialarbeiterin Thuy Tran, die sich um diejenigen kümmert, die dem Erfolgsdruck nicht mehr gewachsen sind. Dann folgt bei vielen Vietnamesen etappenweise der Zusammenbruch.
Es ist eine Reise in eine andere Welt - direkt vor unserer Haustür und doch meilenweit vom deutschen Alltag entfernt.