Viele Afrikaner träumen von der Flucht aus der Armut und einem besseren Leben im reichen Europa. Auch Babakar Niang. Der Senegalese hat oft versucht, auf hoffnungslos überfüllten Flüchtlingsbooten den Atlantischen Ozean zu überqueren. Sein Ziel: Die nahe an Afrika gelegenen Kanarischen Inseln.
Babacar Niang taucht nach Muscheln. Täglich fährt er mit seinem Boot hinaus aufs Meer. Abends kommt er zurück, mal mit mehr, mal mit weniger Ausbeute in seinen Netzen. Der Strand von Thiaroye sur Mer im Westen von Senegal ist seine Heimat, sein Hafen. Früher lebten die Menschen hier vom Fischfang, doch die Netze werden nicht mehr voll, europäische Fangflotten haben Senegals Küste leer gefischt.
Karriere als Schlepper
Als vor einigen Jahren die Muschelbestände abnahmen, versuchte Babacar, dem ärmlichen Leben im Senegal zu entkommen und bezahlte einen Schlepper, der ihn illegal über die Grenzen nach Europa schleusen sollte. Zwei Versuche scheiterten. Das Meer war zu stürmisch, die hoffnungslos überfüllten Boote, mit denen er den Atlantischen Ozean überqueren wollte, mussten umkehren. Schließlich wurde er selbst Schlepper. "Das habe ich damals gemacht, weil es hier nicht mehr genug Arbeit gab", sagt Babacar. "600 bis 700 Menschen waren es wohl, die ich auf meinen Booten nach Europa brachte."
Etwa 1500 Kilometer sind es von Senegals Küste bis zu den Kanarischen Inseln. In kleinen, nicht sehr stabilen Booten dauert die Überfahrt etwa fünf Tage. Als Schlepper kassierte Babacar von jedem Passagier etwa 800 Euro, ein Vermögen in Afrika.
Gefährliche Überfahrt
Europa - das bedeutet für viele Afrikaner Luxus, ein Mobiltelefon, ein Paar Schuhe oder ein weiches Bett. Dafür reisen viele sogar quer durch den Kontinent, nehmen monate- oder gar jahrelange Wanderungen, Hunger, Durst oder Krankheiten auf sich, bis sie die Küsten im Westen oder Norden erreichen, die den Weg nach Europa versprechen. Die Gründe sind vielfältig: Die meisten wollen Konflikten, Verfolgung und Armut auf ihrem Kontinent entkommen. So haben zum Beispiel aufgrund der norafrikanischen Krise mehr als 52.000 Migranten nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats seit Anfang des Jahres Italien erreicht. Gestartet sind sie meistens in Lybien oder Tunesien, um in Europa Asyl zu suchen.
Die UNO fürchtet, dass die Zahl derer, die illegal nach Europa einwandern wollen, noch steigen wird. "Es gibt immer mehr Armut in Afrika", sagt UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres. "In vielen Ländern gibt es nicht genügend Nahrung. Hinzu kommen Klimaveränderungen, Kriege, das heißt, dass immer mehr Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen."
Endstation Auffanglager
Die Überfahrt geschieht ohne Navigationsgeräte, oft auf kaputten Schiffen, mit Lecks, durch die das Wasser dringt. Kaum ein Passagier - meistens sind 200 bis zu 400 Menschen auf einem Boot gequetscht - trägt eine Schwimmweste, die meisten können gar nicht schwimmen. Wie viele Flüchtlinge die kanarischen Inseln, Malta oder die italienische Insel Lampedusa vor Nordafrika erreichen, ist schwer zu sagen, viele sterben bei der Passage, ertrinken bei stürmischen Seegang oder gelten als vermisst.
Diejenigen, die es dann tatsächlich an die europäischen Strände schaffen, werden in Auffanglager gesammelt oder direkt zurückgeschickt. Doch abschrecken lassen sich nur wenige: Für viele beginnt die Reise nach Europa dann wieder von vorn.
Fehlende Perspektiven
Auch immer mehr Jugendliche versuchen nach Europa zu gelangen. Ihre Boote starten in Mauretanien oder im Segnegal, um die nahe an Afrikas Westküste gelegenen Kanarischen Inseln zu erreichen. Denn in Spanien zum Beispiel dürfen Minderjährige nicht abgeschoben werden. Das wissen die Jugendlichen, die von Arbeit, ordentlichen Papieren und einem neuen Leben träumen - und davon, ihren Familien Geld nach Hause schicken zu können. Doch wenn sie die Fahrt überleben, kommen sie in Kinderheime. Nach einer Arbeitsstelle suchen dürfen sie erst, wenn sie 18 Jahre alt sind. Finden sie dann einen Job binnen drei Monaten, bekommen sie eine Aufenthaltsgenehmigung in Spanien. Falls nicht, werden sie in ihre Heimat zurückgeschickt.
Ein Konzept gegen den illegalen Zuwanderungsstrom aus Afrika haben die europäischen Länder nicht. So streiten sich Italien und Malta darüber, wer die Flüchtlinge, die im Mittelmeer auf Hilfe warten, aufnehmen soll. Die südeuropäischen Länder geben viel Geld aus, um ihre Grenzen dicht zu machen, Schlupflöcher für die illegalen Einwanderer zu schließen. Die Grenzagentur Frontex der Europäischen Union überwacht die Routen der Schlepper zwischen Afrika und Europa. Doch dort, wo die EU-Partouille Wege versperrt, werden neue, immer gefährlichere Routen gefunden.
Partouille übewacht das Meer
Etwa 35.000 Menschen allein aus dem Senegal oder dem benachbarten Mauretanien hat Frontext nach eigenen Angaben im Durchschnitt vergangenes Jahr auf hoher See aufgegriffen und wieder zurück in die Heimat geschickt. Menschenrechtsgruppen wie amnesty international kritisieren, dass Europa sich zu einer Festung entwickle. Statt die Fluchtwege zu versperren, sollte man Afrika Perspektiven bieten, so der Vorwurf.
Für Babacar Niang war nach zwei Jahren Schluss mit der Karriere als Schlepper. Es waren die Frauen von Thiaroye sur Mer, die ihn dazu trieben, das Geschäft aufzugeben. Sie wollten verhindern, dass ihre Männer und Söhne bei der Flucht über das Meer ihr Leben riskieren und hatten Babacar gedroht, ihn anzuzeigen. Da hörte er auf, Menschen zu schmuggeln - auch, weil zwei seiner jüngeren Brüder bei der Flucht nach Europa ums Leben gekommen waren.