Mit Ihrer Art zu regieren hat Bundeskanzlerin Merkel Deutschland geprägt – politisch und gesellschaftlich. Ihre Stärken: vermitteln und moderieren mit so viel Konsens wie möglich – auch wenn oft nur der kleinste gemeinsame Nenner dabei rauskommt.
Anscheinend leidenschaftslos gibt sie während ihrer Kanzlerschaft Positionen auf, die eigentlich zum Kern der Union gehören. Es kommt die Aussetzung der Wehrpflicht, die Ehe für Alle oder der Ausstieg aus der Kernkraft. Der Ausstieg war längst beschlossen – unter Kanzlerin Merkel wird die Atomkraft wiederbelebt. Dann explodiert in Japan das Kernkraftwerk Fukushima – und die Regierungschefin macht ihre eigene Politik rückgängig.
Der Pragmatismus und die breite Mehrheit der Großen Koalition bringen das Land durch schwere Zeiten: Finanzkrise, die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik und die Corona-Pandemie. Die Kanzlerin liberalisiert die Union und findet mit der SPD Kompromisse in der Mitte der Gesellschaft. Doch mit jeder großen Koalition wird die Kritik an ihrem Führungsstil stärker. Und immer lauter wird der Wunsch nach politischen Visionen, Veränderung und zukunftsweisenden Projekten. Union und SPD verlieren an Zuspruch, die GroKo wird zum Synonym für Stillstand.
In der Pandemie zeigt sich die Notwendigkeit konsequenten, zielstrebigen Handelns. Das zwingt Merkel eine klare Linie auf. Und in der Union beginnt der Kampf um Merkels Nachfolge. Ihre Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer tritt als Parteivorsitzende zurück. Röttgen, Merz und Laschet liefern sich über Wochen eine Auseinandersetzung um die Nachfolge.
Merkel entgleitet immer mehr die Kontrolle über ihre Partei, in der sie nie eine starke Hausmacht hatte. Sie wendet sich an die Öffentlichkeit und hat so viele Fernsehauftritte wie selten zuvor. „Öffnungsdiskussionsorgien“ nennt sie die Alleingänge der Landesregierungen und kritisiert damit auch die Ministerpräsidenten ihrer Partei.
Abwarten und Moderieren. Ruhiges Handeln in schweren Zeiten. Zum Ende ihrer Amtszeit scheint das nicht mehr zu passen. Angela Merkels Macht schwindet zunehmend. Große Koalitionen sind für Stabilität bekannt – nicht für Dynamik. Ihr Regierungsstil hat 16 Jahre gepasst. Sind die Zeiten fürs Regieren im Konsens vorbei?