Die Begleitdokumentation zum ZDF-Adventszweiteiler „Gotthard“ schildert die historischen Zusammenhänge und belegt, was sich zugetragen hat, als tausende von Mineuren vor mehr als 140 Jahren die größte Bauleistung des 19. Jahrhunderts bewältigten. Unter katastrophalen Arbeitsbedingungen: Fast 200 Arbeiter starben, viele hundert erkrankten schwer in Folge der unvorstellbar schlechten hygienischen Zustände auf der Baustelle und in den oft mehrfach belegten miserablen Unterkünften.
Der normale Wahnsinn
Dennoch: Der Bau des ersten Gotthard-Eisenbahntunnels war ein Meilenstein im jahrhundertelangen Ringen des Menschen, den Gotthard zu überwinden – als eine der zentralen Verkehrsachsen Europas. So schlägt diese Dokumentation den Bogen von den ersten so genannten Säumern, die unter zum Teil lebensgefährlichen Bedingungen Menschen und Waren über die Alpen brachten, über den ersten Postkutschenverkehr - bis in die Gegenwart: zum unlängst eröffneten Gotthard-Basistunnel, mit 57 Kilometern dem derzeit längsten Tunnel der Welt. Doch viele Deutsche kennen die Nord-Südachse eher aus leidvoller Erfahrung mit dem Auto, wenn sie auf ihrem Weg nach Italien wieder einmal im Stau vor dem 17 Kilometer langen Gotthard-Straßentunnel stehen. Was die Schweizer Polizei hier immer wieder erleben muss, zeigen exklusive Aufnahmen: Autofahrer, die auf der einspurigen Strecke verbotenerweise überholen oder halsbrecherische Wendemanöver wagen.
Und historische Aufnahmen aus Privatarchiven machen deutlich, wie sich Touristen bereits vor 50 Jahren über den berühmten Gotthardpass quälten. Zeitzeugen berichten aus seinem bewegten Leben, wie Hans Regli, der vor 70 Jahren knapp unterhalb der Passhöhe geboren wurde. Er liebt seinen Gotthard: „Es ist ein raue Gegend, aber wir sind rau gewöhnt. Das hier ist mein Paradies!“
Geheime Unterwelt des Gotthards
Wie viele Einheimische weiß er, was Durchreisende oft nicht einmal ahnen: Der Gotthard ist nicht nur durchbohrt von Straßen- und Eisenbahntunnel. Hier existiert auch eine Unterwelt, die lange Zeit vor der Öffentlichkeit verborgen wurde und zu der heute immerhin ein kleiner Teil zugänglich ist: die Festung "Sasso San Gottardo“. Diese Dokumentation gewährt einen Einblick in eine gewaltige Bunkeranlage, die im Zweiten Weltkrieg gebaut wurde: versteckte Artilleriegeschütze hinter Felsattrappen, kilometerlange Gänge und höhlenartige Barracken, die Tausenden Schweizer Soldaten im Kampf gegen Hitler Unterkunft bieten sollten.
So schafft dieser Film ein Gesamtbild einer enorm facettenreichen Welt, dem Gotthard als Verkehrsnadelöhr der Alpen, einem Bollwerk der Schweiz, auch einer Wetterscheide zwischen Nord und Süd und dem Ursprung von vier Flüssen. Unter anderem liegt hier oben, am eher unscheinbaren Tomasee, die Quelle des Rheins.
Als 1882 der erste große Gotthard-Tunnel eröffnet wurde, war nicht nur ein gewaltiges Jahrhundertbauwerk entstanden. Mehr und mehr zeichnete sich ab, welche Bedeutung diese Gebirgsformation für Europa hat. So sehr, dass es, wie Historiker berichten, bereits vier Jahren nach der Fertigstellung dieses Meisterwerk Überlegungen in der Schweiz gab, diesen Tunnel wieder zu sprengen – falls ein Angriff aus einem der umgebenden Staaten drohte.
Literatur zum Gotthard
(von Michael Petsch)