Wie gehen Betroffene damit um? „Engagiert und attackiert – Wenn Politiker zur Zielscheibe werden“ zeigt, wie gefährlich Hass und Hetze für unsere Demokratie sind und gibt bedrückende Einblicke in den Alltag von Kommunalpolitikerinnen und -politikern in Deutschland.
Erik Lierenfeld ist Bürgermeister von Dormagen in Nordrhein-Westfalen und hat 2015 zum ersten Mal Hass und Hetze erlebt: Als es darum ging Geflüchtete in der Stadt aufzunehmen, sind „da teilweise Sätze gekommen, die hätte ich mir vorstellen können zu Zeiten des Dritten Reiches. Das ist etwas, was einen sehr bedrückt.“ Lierenfeld und sein Team bringen alles zur Anzeige. „Ich habe null Toleranz gegenüber Gewalt – auch gegenüber verbaler Gewalt.“ Es gebe durchaus Momente, in denen er sich frage, ob er die Auswirkungen seines Amtes für ihn und seine Familie noch mittragen möchte, sagt Lierenfeld.
Belit Onay wurde unmittelbar nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Hannover von massiven Anfeindungen überrascht: „Es waren vorrangig rassistische Kommentare aufgrund meiner Familiengeschichte, meines Glaubens, meines Backgrounds. Und erschreckend waren die Wortwahl, aber auch die Masse und die Organisiertheit.“
Sozialpsychologin Pia Lamberty beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge: „Die Grenze des Sagbaren hat sich zuletzt immer weiter verschoben. Das passiert immer dann, wenn man ein Erstarken von rechtsextremen, rechtspopulistischen Bewegungen hat. Gewisse Begriffe etablieren sich im Diskurs, problematische Aussagen werden nicht mehr so genau hinterfragt oder einfach hingenommen.“ Weil sie keine gesellschaftlichen Konsequenzen fürchten müssen, hätten Täter es mit ihren Hassnachrichten plötzlich viel leichter.
Hinzu kommt: „Früher musste Kritik mühsam formuliert werden, etwa in einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Oder man musste den Weg ins Rathaus auf sich nehmen. Heute kann jeder zu jeder Zeit eine E-Mail oder einen Hass-Kommentar verfassen“, erklärt Verwaltungswissenschaftler Paul Witt von der Hochschule Kehl die gestiegene Bedrohung von Kommunalpolitikern. „Man braucht für dieses Amt ein dickes Fell.“ Das gibt er auch seinen Studierenden mit auf den Weg. Dass sie in naher Zukunft im Rathaus mit Drohungen oder Gewalt konfrontiert sein werden, ist für ihn schon jetzt Gewissheit.
Das Bürgermeister-Amt zu stärken und Betroffene unterstützen – ein wichtiges Thema, dem sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angenommen hat: „Die Kommunalpolitik ist die Wurzel der Demokratie. (…) Und was der Demokratie am meisten schadet, ist der stille Abschied. Wenn Menschen aus Angst nicht wieder kandidieren oder Menschen aus Angst gar nicht erst in Verantwortung gehen, dann ist das unerträglich für die Demokratie.“