Es ist Nacht in den Straßen von Washington DC. An einer verlassenen Kreuzung sucht Curtis Mozie Schutz. "Jeden Sommer ballern die aufeinander. Die Schüsse, das ist eine AK 47 – was macht eine solche Kriegswaffe auf den Straßen von Washington?", fragt Curtis. Während er redet, fallen weitere Schüsse. Seit fast 30 Jahren filmt der Sozialarbeiter das Leben und das Sterben der schwarzen Jugendlichen in der US-Hauptstadt. Wenige Häuserblocks vom Weißen Haus entfernt, erschießt sich Amerikas Jugend. Curtis ist mit seiner Kamera immer dabei.
Er begleitet die Kids, wenn sie Basketball spielen, wenn sie feiern, wenn sie schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht werden, wenn ihre Angehörigen die Todesnachricht bekommen und wenn sie ihre Kinder zu Grabe tragen. Curtis ist ein Chronist des Todes. Seine Abschiedsfilme sind das Vermächtnis der Opfer. "Die Kids kommen zu mir. Film mich, sagen sie. Wenn ich sterbe, gibt es wenigstens Bilder, die an mich erinnern."
Seine Wohnung ist eine Gedenkstätte
Ulf Röller, Annette Brieger und Oliver Divaris haben Curtis Mozie mehrere Monate mit der Kamera begleitet. Seine Wohnung nennt der Sozialarbeiter „Safehouse“. Wer hierher kommt, der ist sicher. Und es kommen viele Kids. Denn Curtis Wohnung ist auch zu einer Gedenkstätte geworden. An den Wänden hängen die ausgelöschten Leben als Fotos.
Im „Safehouse“ lernt das Team des ZDF-Studios Washington auch Buda und Dre kennen. Curtis fürchtet um das Leben der beiden jungen Männer. Denn sie sind die meiste Zeit auf der Straße, nehmen Drogen, haben manchmal einen Gelegenheitsjob. Buda gibt offen zu: "Ich würde auf jemanden schießen, um mich selbst zu schützen. Und für meine Familie würde ich auch jemanden umbringen." Curtis fühlt sich für beide verantwortlich, denn sie sind die Brüder von seinem besten Freund Apple, der erst vor kurzem erstochen wurde. "Ich will, dass ihr lebt – und nicht endet wie euer Bruder", mahnt er.
Seit Apple in seinen Armen gestorben ist, hat sich Curtis verändert. Hunderte hat er schon sterben sehen, aber Apple war sein bester Freund. "Mit Apple starb ein Teil von mir", sagt er. "Manchmal gehe ich die Straße entlang und alles stürzt auf mich ein. Ich durchlebe den schrecklichen Moment noch einmal. Ich kann es nicht mehr ertragen, der ewige Schmerz, die Depression." Curtis ist wegen seiner Panikattacken inzwischen in Behandlung, muss Psychopharmaka nehmen.
Curtis ist am Ende
Nach all den Jahren ist Curtis am Ende. "Ich will auf jeden Fall raus. Raus aus diesem Haus. So viel Tod, so viele Erinnerungen an Menschen, die nicht mehr sind. Aber wer kümmert sich dann um die jungen Menschen", fragt er. Curtis will ein neues Leben anfangen. Der Chronist des Todes droht zusammenzubrechen. Bevor er seine Kamera ausmacht, sagt er noch: "Einfach nur frei sein."
Die Dokumentation "Chronist des Todes" ist ein Portrait über Curtis‘ Leben. Das Besondere des Films – Curtis Mozie erzählt seine Geschichte selbst, mit seinen eigenen Worten, mit den von ihm gefilmten und erschreckenden Bildern, die die Gewalt, den Frust und die Hoffnungslosigkeit auf den Straßen von Washington zeigen.