Für die Gastarbeiter der ersten Generation waren die Jahrzehnte in Deutschland immer eine Durchgangsphase. Ihre Kinder, die Gastarbeiter der zweiten Generation, sind dort aufgewachsen, haben Freunde und eigene Kinder. Ist dann ihr Herkunftsland noch ihre Heimat?
Der Start vor 50 Jahren war hart
Sarah (62) ist vor 50 Jahren ihren Eltern aus Sizilien ins badische Singen gefolgt. Die Anfänge in Deutschland waren schwer. Die Eltern arbeiteten rund um die Uhr, Sarah und ihre Geschwister waren auf sich gestellt. Weder die kalten Winter noch die fremde Sprache machten ihnen das Ankommen leicht.
Für Sarahs Eltern war immer klar: Sie verdienen in Deutschland Geld und leben im Alter dann wieder in "ihrem Dorf", im sizilianischen Ribera. Nach über 30 Jahren in der Fabrik, in denen sie neben der Schichtarbeit und ihren Kindern kaum Zeit für das Erlernen der deutschen Sprache und wenig Sinn für Integration hatte, folgte Sarahs Mutter Accursia ihrem Plan und verbringt ihr Alter nun in Sizilien. Deutschland, das war für sie eine Jahrzehnte währende Übergangsstation. Mehr nicht.
Perspektivwechsel in der zweiten Generation
Auch für Sarah schien es lange selbstverständlich, genau wie die Mutter – der Vater hatte bald nach der Ankunft in Deutschland eine neue Familie gegründet – Grund und Boden in Italien zu kaufen, um später dort zu leben. Doch sowohl für Sarah als auch für ihren Bruder Franco änderte sich mit der Zeit die Perspektive. Ihre Kinder sind in Deutschland geboren, dort verwurzelt. Für sie, die dritte Generation, ist Italien nicht mehr "Heimat". Dort wären sie die Fremden, die mit deutschem Akzent Italienisch sprechen.
Von 14 Millionen Gastarbeitern, die im Rahmen des deutschen Anwerbeabkommens zwischen 1955 und 1970 nach Deutschland kamen, sind circa elf Millionen wieder zurückgekehrt. Lange folgten die Kinder der zweiten Generation dem Vorbild der Eltern, wohnten bescheiden zur Miete in Deutschland und steckten ihre Ersparnisse in die Immobilien in der Heimat.
Alte Heimat wird Urlaubsziel
Auch Sarahs Bruder Franco (56) hat lange so gelebt. Er ist Vater zweier Kinder, arbeitet als Hausmeister in einem Altenheim und ist seit Jahrzehnten ehrenamtlicher Fußballtrainer für jugendliche Migranten. "Wir haben in Sizilien ein Häuschen gekauft und dachten, die Kinder leben ihr Leben hier in Deutschland. Aber dann sind Enkelkinder gekommen, und jetzt glauben wir nicht mehr, dass wir noch nach Sizilien gehen."
Ribera, ein Urlaubsort, wo Accursia, die alte Mutter, jetzt lebt. Alle verstorbenen Verwandten liegen dort auf dem Friedhof in der Familiengruft. Einmal im Jahr, wenn alle in den Sommerfreien dorthin kommen, werden die Fensterläden der kleinen Stadthäuser geöffnet, herrscht wieder Leben in den Gassen.
Familienbande
Auch Sarah kennt dieses Gefühl, dass man dort sein möchte, wo die Enkel aufwachsen, dass man bei seiner Familie zu Hause ist. Aber sie folgte ihrem Verantwortungsgefühl für die alleinlebende Mutter, die inzwischen über 80 ist und keines der Kinder in der Nähe hat. Sie lässt die eigenen Kinder, den Lebenspartner und die Enkel zurück und baut sich ein neues Leben im Dorf ihrer Kindheit auf. Die Mutter, ein paar Bekannte, die Sonne und das Meer trösten nur scheinbar über ein nur allzu bekanntes Gefühl hinweg. Sarah hat Heimweh. Diesmal aber in die andere Richtung; es ist Heimweh nach Deutschland, nach ihrer Familie, nach ihrem Schrebergarten und der bescheidenen Mietwohnung am Stadtrand von Singen.
Mehrmals täglich telefoniert sie mit ihren Lieben über Facetime. Solang die Mutter lebt, will sie in Sizilien bleiben. Für Franco ist die pflichtbewusste ältere Schwester ein Segen. Als er Großvater geworden ist, hat er sich entschieden, in Deutschland zu bleiben. Da, wo seine Familie lebt, ist seine Heimat, basta.
Wäre da nicht die alte Mutter im weit entfernten Sizilien, wäre er mit sich im Reinen. So bleibt auch für Franco das Gefühl, zerrissen zu sein zwischen dem Leben hier und den Familienbanden dort; etwas zieht ihn immer zurück in das Land, das seine Heimat war.
Die sogenannten „Gastarbeiter“
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Autorin Anabel Münstermann über ihren Film
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