Die Debatte um den Schriftsteller Karl May (1842-1912) ist in den vergangenen Wochen heftig entbrannt. Anlass war der Entschluss des Ravensburger Verlags, die Kinderbücher „Der junge Häuptling Winnetou" zu dem gleichnamigen Kinofilm aus dem Programm zu nehmen. Das Buch war für seine rassistische und klischeehafte Darstellung amerikanischer Ureinwohner kritisiert worden. Der Verlag erklärte zu seinem Entschluss, „mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt (zu) haben“, und wurde dafür selbst wiederum vielfach kritisiert.
Laut der Agentur Scompler, deren Autor die Winnetou-Debatte untersucht hat, haben die Menschen in Deutschland ab Mitte August (BILD-Berichterstattung) das Stichwort „Winnetou“ häufiger gegoogelt als „Strompreis“ und „Inflation“. Seine Folgerung: Es habe nie einen Winnetou-Shitstorm gegeben, vielmehr hätten einflussreiche Medien wie die BILD-Zeitung diesen erst befeuert. In dem Scompler-Beitrag heißt es: „Nach Auswertung der Daten aus dem Internet mit dem marktführenden Analyse-Tool Talkwalker zeigt sich, dass die aktuelle Diskussion um Winnetou eine perfekte Scheindebatte ist (…). Aus den Daten lässt sich keinerlei signifikanter und illegitimer öffentlicher Druck durch irgendwelche Aktivisten auf Ravensburger belegen."
Irgendwann wurde sogar behauptet, die ARD hätte die Winnetou-Filme und deren Ausstrahlung „gecancelt“. Es stimmt zwar, dass die ARD-Sender die Filme nicht mehr zeigen werden – aber nicht aus „Cancel“-Gründen, sondern weil die Senderechte der ARD an den Filmen im Jahre 2020 endeten. Auch künftig seien keine Lizenzkäufe für Winnetou-Filme geplant. Das ZDF hingegen besitzt Ausstrahlungsrechte für diverse Karl-May-Filme, „die in den nächsten Jahren zur Sendung kommen“.
Auch Markus Söder (CSU) nahm das angebliche Canceln der ARD zum Anlass sich in einem Tweet über die Debatte aufzuregen. „Winnetou und Old Shatterhand waren Idole ganzer Generationen. Es ist falsch, dass Buchverlage und Sender aus Sorge vor Kritik einzelner Winnetou verbannen. Bei allem Verständnis, nimmt das langsam absurde Züge an.“ Auch Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer musste sich in die Debatte um Winnetou einschalten. In der Bild-Zeitung kündigte er an, er werde nun schon einmal „Winnetou-Material hamstern“.
Warum reagieren viele Deutsche so empört auf Kritik an den Geschichten von Karl May, fragte der SPIEGEL dieser Tage. Die Historikerin Christin Hansen erklärt im Interview für viele Menschen sei Winnetou „heilig“: Winnetou sei Vorbild für das deutsche Wesen gewesen. Hansen erkennt aber auch koloniale und rassistische Muster in Mays Büchern. So seien beispielsweise Indianer vom Intellekt her immer unterlegen.
Die taz-Kommentatorin findet die May-Bücher „rassistisch, deutschtümelnd und frauenfeindlich“ und darüber hinaus sei die ganze Debatte darum ein Paradebeispiel dafür, wie schlecht Cancel-Debatten oft laufen würden. „In einer Welt, in der ein gehöriger Teil von Kunst Sexismus, Klassismus oder Rassismus enthält: Wie viel ist zu viel? Wie geht man sinnvoll mit rassistischer Kunst um? Es ist überfällig, das klüger zu diskutieren.“
Und Carmen Kwasny, die Vorsitzende der „Native American Association of Germany“, kritisiert im Interview mit dem Sender Deutschlandfunk Kultur, dass das neue Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ zahlreiche Klischees transportiere.