Glaube ist Privatsache. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht allerdings keine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche vor. Der Staat wirkt mit der Kirche zusammen und räumt ihr Sonderrechte ein – etwa im Arbeitsrecht oder um religiösen Bekenntnisunterricht in den staatlichen Schulen zu organisieren.
1919 hat der Staat den Kirchen das Recht verliehen, von seinen Mitgliedern Steuern zu erheben. Seitdem zieht das Finanzamt diese Steuern für die Kirchen ein und gibt sie weiter. Im Gegenzug zahlen die Kirchen Gebühren an den Staat, die zwischen zwei und vier Prozent der Kirchensteuer ausmachen. Einige Kirchengemeinden erheben allerdings auch noch allgemeine Kirchgelder, die unabhängig von der Kirchensteuer sind. Der Großteil der Kirchensteuer dient als Finanzausgleich für die Gemeinden und umfasst Geld für Personal-, Sach- und Baukosten. Hiervon werden auch das pastorale Personal, die Dekanate, die Kassenstellen, die Personalverwaltung sowie -abrechnung finanziert. Vielleicht, so sagt es der Rechtswissenschaftler Eric Hilgendorf, hätten die Kirchen einen stärkeren Anreiz, „kundenfreundlicher aufzutreten“, wenn sie sich selbst um ihre Finanzierung kümmern müssten. Dieses Steuerprivileg gilt aber nicht nur für die christlichen Kirchen, sondern auch für andere Glaubensgemeinschaften. Auch die jüdischen Gemeinden finanzieren sich über eine vom Staat eingezogene Steuer. Sie wird auf Einkommen und Kapitalerträge erhoben. Wie bei den christlichen Gemeinschaften erhält der Staat für diese Dienstleistung auch hier zwischen zwei und vier Prozent des Aufkommens. Grundsätzlich könnte der Staat auch für Moscheegemeinden Steuern eintreiben. Dem steht jedoch der Umstand entgegen, dass die Gemeinden ihre Mitglieder nicht registrieren. Das bedeutet, dass dem Staat nicht bekannt ist, wer hinter der Religionsgemeinschaft steht. Das wäre aber die entscheidende Voraussetzung für die Moscheegemeinschaften, um als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden.
Aber auch jeder andere, der in Deutschland Steuern zahlt, finanziert die Gehälter von Bischöfen und Kirchenangestellten mit. Nicht durch die Kirchensteuer, sondern die sogenannten Staatsleistungen: Mehr als 500 Millionen Euro überweisen die Bundesländer der Kirche, immer noch als Ausgleich für 1803 enteignete kirchliche Besitztümer, in manchen Bistümern machen diese Staatszuschüsse fast ein Drittel des Budgets aus. „Es ist für die Kirchen kein guter und zukunftsfähiger Zustand, Leistungen aus öffentlichen Kassen zu erhalten etwa für die Besoldung kirchlicher Amtsträger“, sagt etwa der Münchener Jura-Professor Stefan Korioth in einer Experten-Anhörung des Innenausschusses im Bundestag. Umgekehrt sei es auch nicht Sache des Staates, dauerhaft Kirchen zu entschädigen.
Wer austreten will, muss zahlen und bürokratische Hürden in Kauf nehmen. Der Austritt muss persönlich erfolgen, so ist es in den jeweiligen Kirchensteuergesetzen der Bundesländer geregelt. Die einzige Alternative ist, ein notariell beglaubigtes Dokument einzureichen – das ist aber in der Regel teurer. In Nordrhein-Westfalen betragen die Wartezeiten aktuell noch immer Wochen, wenn nicht Monate. Und zahlen muss man auch noch. Bürger, die in Bayern aus der Kirche austreten, müssen zum Beispiel Gebühren in Höhe von 35 Euro bezahlen. Bezahlen muss man übrigens nicht den Kirchenaustritt an sich, sondern den dadurch entstehenden Verwaltungsaufwand.
Auch im Arbeitsrecht gibt es Privilegien der Kirchen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Betriebsräte gibt es keine, und die stattdessen bestellten „Mitarbeitervertretungen“ sind hauptsächlich mit dem Recht zum Zuhören ausgestattet. Auch Streiks passen nicht zur besonderen Verbundenheit in einer kirchlichen „Dienstgemeinschaft“, heißt es dann.
Von diesem besonderen Arbeitsrecht machen die Kirchen auch Gebrauch. So kündigte ein katholisches Krankenhaus in Düsseldorf einem Chefarzt, weil er nach einer Scheidung zum zweiten Mal geheiratet hatte. Erst nach zehn Jahren Rechtsstreit wurde die Entlassung als unwirksam erklärt. Und die evangelische Kirche hat dieses Jahr den Braunschweiger Domkantor Gerd-Peter Münden nach langjähriger Tätigkeit fristlos entlassen, weil er mit seinem kolumbianischen Ehemann über je eine Leihmutter in Kolumbien zwei Kinder bekommen wollte. Über die Privilegien der Kirchen hierzulande wundern sich europäische Richter schon seit Langem, trotzdem gibt es in Deutschland weiterhin Arbeitsverträge, die kirchlichen Mitarbeitern das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe verbieten.
Mathe, Deutsch und Englisch mögen wichtig sein, der Religionsunterricht ist aber das einzige Schulfach, dessen Existenz das deutsche Grundgesetz garantiert. Im Artikel 7 heißt es im Absatz 3: „Der Religionsunterricht ist (...) ordentliches Lehrfach.“ Und: „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ Der Staat stellt und bezahlt in der Regel die Religionslehrer - die aber brauchen auch die Erlaubnis der Kirchen, um unterrichten zu dürfen. Bei schweren Verstößen gegen kirchliche Regeln können sie diese Erlaubnis verlieren. Der Religionsunterricht ist damit eine „res mixta“, eine gemischte Angelegenheit von Staat und Kirche. Die Idee stammt aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Allerdings sinkt seit Jahren die Zahl der Schüler im Religionsunterricht und es steigt die Zahl derjenigen, die einen religionsneutralen Ethik-Unterricht besuchen. Der religionskritische Politologe Carsten Frerk berechnet allein die Personalkosten für den Religionsunterricht mit 1,6 Milliarden Euro und kommt zu dem Ergebnis: eine gigantische Subvention für diese Institution.
Mindestens 3.677 Minderjährige sollen von 1946 bis 2014 missbraucht worden sein. Von Klerikern der katholischen Kirche. Und das sind nur die, die von der Studie erfasst worden sind, die die Bischofskonferenz selbst in Auftrag gegeben hat. Die Zahl der tatsächlichen Missbrauchsfälle liegt wahrscheinlich weitaus höher. Das zeigt auch eine neue Studie zum Ausmaß sexuellen Missbrauchs im katholischen Bistum Münster. Die Wissenschaftler gehen dort sogar von bis zu 6.000 Missbrauchstaten seit den 50er Jahren aus – und das allein in einem Bistum. In der Hauptphase der Taten – die 60er und 70er Jahre – habe es in den Gemeinden des Bistums Münster im Durchschnitt zwei Missbrauchstaten durch Priester pro Woche gegeben. Nur bei 15 beschuldigten Klerikern habe man Hinweise auf strafrechtliche Verurteilung oder Erteilung eines Strafbefehls gefunden. Über 90 Prozent der Beschuldigten sind demnach nicht strafrechtlich belangt worden. Auch in der evangelischen Kirche sind zahlreiche Missbrauchsfälle bekannt. Bei der Aufklärung habe man jedoch „Jahre verplempert“, beklagt Betroffenenvertreter Detlev Zander – auch weil man sich „hinter den Katholiken versteckt“ habe. Laut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurden den Anerkennungskommissionen der Landeskirchen bislang 881 Fälle sexualisierter Gewalt gemeldet, die sich ab den 1950er Jahren im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie ereignet haben. „Dabei stammt die große Mehrheit der Fälle aus dem Kontext der Heimerziehung“, sagt ein EKD-Sprecher. Auf diese bekannten Zahlen beziehen sich auch die fünf Studien, die die EKD nun finanziert. Alle sind sogenannte „Hellfeldstudien“, das Dunkelfeld, von dessen Existenz Experten ausgehen, leuchten sie nicht aus. Darüber hinaus ist in der evangelischen Kirche eine weitere Aufarbeitungsstudie in Arbeit, deren Ergebnisse im Herbst 2023 erwartet werden.
Die strafrechtliche Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen beträgt fünf bis dreißig Jahre, je nach Schwere der Tat. In den meisten Fällen sind es zehn bis zwanzig Jahre. Allerdings beginnt die Verjährungsfrist seit einer Neufassung im Jahr 2015 frühestens mit dem 30. Geburtstag des Opfers.
(Ergänzte Fassung vom 22.11.2022)