Am Donnerstag (22.11.2018) hat Arbeitsminister Hubertus Heil bekannt gegeben, dass die Zahl der Haushalte mit Empfängern von Hartz IV sich wegen der etwas langsamer wachsenden Wirtschaft „ungünstig entwickelt“ habe. Statt mit rund 4 Millionen Leistungsempfängern sei nun mit mindestens 4,16 Millionen Hartz-IV-Empfängern zu rechnen. Deshalb werden die Ausgaben für Hartz IV in diesem Jahr wohl auch deutlich höher sein als ursprünglich eingeplant, berichtete die Bild-Zeitung.
Derzeit debattiert das politische Berlin über die Wirksamkeit von Hartz IV. Das Gesetz ist benannt nach dem ehemaligen VW-Manager Peter Hartz. Hier findet sich mehr zur Geschichte der Reform, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder 2003 beschlossen wurde. Die SPD distanziert sich zunehmend von Hartz IV. Die Frankfurter Rundschau weiß: Noch im April hatte die SPD-Parteichefin Andrea Nahles die Forderung nach einem Abschied von der Agenda 2010 inklusive Hartz IV noch für rückwärtsgewandt erklärt. Nach den Wahlschlappen bei zwei Landtagswahlen in diesem Jahr beschreibe die Sozialdemokratin in einem Text zur „großen Sozialstaatsreform“ jetzt aber viele Probleme mit Hartz IV akribisch und treffend.
Auch die Grünen machen sich Gedanken über eine Reform der ungeliebten Agenda. Grünen-Parteichef Robert Habeck will eine „Garantiesicherung“, mit der Menschen nicht mehr gezwungen werden sollen, Termine im Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen. Beratung und Weiterbildung sollten freiwillig sein. Nötig sollten aber weiterhin ein Antrag und der Nachweis der Bedürftigkeit sein. Eine Anrechnung von Vermögen auf Hartz IV soll nur noch geprüft werden, wenn dieses 100 000 Euro pro Person übersteigt. Die Autorin von Spiegel Online analysiert hier, warum gerade die Grünen das System Hartz IV überwinden wollen. FDP-Chef Christian Lindner findet die Ideen von Habeck dagegen nicht sinnvoll.
Viele kritisieren am jetzigen System, dass es Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger unter Generalverdacht stelle. Das ARD-Magazin Plus Minus hat in einem Beitrag dargestellt, wie das Jobcenter zum Teil Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher schikaniere. Die Autoren schildern den Fall eines ehemaligen Vertriebsleiters, der neben einem Job als Busfahrer für Kinder mit Handicap Hartz IV beantragte. Wegen seines Minijobs bat er das Jobcenter, ihn erst dann zu Terminen zu bestellen, wenn er alle Kinder in die Schule gebracht hat. Allerdings: „Mich haben sie immer so um 7.30 Uhr bestellt, obwohl sie wussten, dass ich einen Minijob hatte, und ich auch gesagt habe, dass ich zu dieser Uhrzeit nicht kommen kann. Trotzdem haben sie mich eben halt zu diesen Uhrzeiten bestellt und weil ich da nicht hingegangen bin, haben sie mich deswegen sanktioniert.“
Unter dem Hashtag #Unten berichten Nutzerinnen und -Nutzer diese Woche auf Twitter von ihren Erfahrungen mit Armut in Deutschland. Die Huffington Post hat eine Auswahl von Tweets gesammelt, etwa von einer Nutzerin aus einer „Hartz-IV-Familie“, die beschreibt: „Ich war ebenfalls unten, als eine Klassenkameradin zum Lernen kam und sich wunderte, wie sauber und schön unsere Wohnung war und dass meine Mutter Snacks anbot. Schließlich bezogen wir doch Hartz IV. Bei uns musste es doch aussehen wie bei RTL gezeigt.“
In Deutschland wachsen laut aktuellen Statistiken immer mehr Kinder in Hartz-IV-Haushalten auf. Rund 2,03 Millionen unter 18-Jährige lebten im Dezember 2017 in Familien, die Transferleistungen erhielten. Wie schwierig es für eine Familie ist, mit Hartz IV und Co zu leben – wenn nach Monatsmitte nur noch gut 100 Euro in der Haushaltskasse sind – zeigt diese Reportage des ZDF eindrücklich.