Hinter den Kulissen wird gerade an einem EU-Lieferkettengesetz gearbeitet. Das Gesetz geht deutlich über das (ab Januar 2023 geltende) deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) hinaus. Das EU-Vorhaben, das noch vor der Europawahl im Frühjahr 2024 durch sein soll, würde laut Deutscher Welle noch weiter reichen. Unter die Regulierung fielen auch Unternehmen mit nur 500 Beschäftigten, die Firmen müssten außerdem die gesamte Lieferkette beleuchten und nicht nur die direkten Zulieferer wie im deutschen Lieferkettengesetz. Vor allem aber würde die Haftung erweitert: Betroffene sollen Schadensersatz vor europäischen Gerichten einklagen können.
Die aktuelle Ampel-Bundesregierung spricht sich zwar öffentlich für das Gesetz aus. Das ARD-Magazin Monitor zeichnet mit Hilfe interner Dokumente der zuständigen Bundesministerien und aus den EU-Ratsverhandlungen nun jedoch ein anderes Bild: Die deutsche Bundesregierung versuche den Gesetzentwurf an entscheidenden Punkten abzuschwächen. Ein Beispiel sind die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen. Im Entwurf der Kommission ist vorgesehen, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden zukünftig Schadensersatzforderungen vor europäischen Gerichten geltend machen können. Dabei sollte Fahrlässigkeit ausreichen. Ein starker Hebel, der Unternehmen dazu bringen soll, auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards und Umweltschutz in ihren Lieferketten zu achten.
Dem steht die deutsche Idee eines „Safe Harbours“ innerhalb des EU-Gesetzes gegenüber. Bei dem „sicheren Hafen“ geht es um Haftungserleichterungen für die Unternehmen. Diese können ihre Produkte oder Prozesse von externen Prüfer:innen als vermeintlich einwandfrei zertifizieren lassen. Für die zivilrechtliche Haftung hat das Folgen: Unternehmen haften bei einem Schaden nur noch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Das den Unternehmen nachzuweisen, sei für Opfer nahezu unmöglich, sagt René Repasi, der für die Sozialdemokraten im EU-Parlament sitzt.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Ampel-Regierung dabei auch den Wunschzettel von einigen Wirtschaftslobbyist:innen abarbeitet. René Repasi, Befürworter eines strengen Gesetzes, sagt: „Ich habe dann auch Dokumente zugespielt bekommen zur Position der Bundesregierung. Das war doch überraschend. Die SPD hat eine weitreichendere Position als das, was im deutschen Lieferkettengesetz drinsteht. Die Grünen sind noch weitergehend. Der Eindruck drängt sich daher auf, dass die FDP hier bremst.“
Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis aus mehr als 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen, setzt sich ebenfalls für ein scharfes Gesetz ein. Sie haben eine Petition an Bundeskanzler Olaf Scholz aufgesetzt. Ihre Argumentation: „Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hat die Bundesregierung im Juni 2021 gezeigt, dass ein gesetzlicher Rahmen nötig und möglich ist. Das war ein Meilenstein – jedoch lässt das Gesetz erhebliche Lücken. Ein Lieferkettengesetz auf Ebene der Europäischen Union (EU) muss diese schließen und Wettbewerbsgleichheit für alle 27 Mitgliedsstaaten schaffen!“
Und um zu erklären, warum wir dringend ein Lieferkettengesetz mit Zähnen bräuchten, genügt ein Blick auf einen der weltweit einflussreichsten Fashionkonzerne: Shein. Das chinesische Unternehmen, so die FAZ, treibe das Prinzip Fast Fashion auf die Spitze, kein Wettbewerber schaffe es so schnell vom Entwurf zum fertigen Kleidungsstück.
Ein Kleid für zwei Euro, ein Pulli für acht. Bei der Modemarke Shein gehen jeden einzelnen Tag mehrere Tausend Artikel online und das für Billigstpreise, beschreibt funk, das junge Angebot von ARD und ZDF. Die sozialen Netzwerke wie Instagram und TikTok sind voll mit Mode von Shein-Produkten, einflussreiche Influencer machen täglich Werbung für die Billigmode. Von Diebstählen, Lügen, schrecklichen Arbeitsbedingungen und kolossaler Umweltverschmutzung durch den chinesischen Konzern berichtet funk.
Shein sei, so der SPIEGEL, „die absolute Steigerung von dem, was einst Zara und H&M groß werden ließ: schneller, billiger, innovativer zu sein. Shein macht das noch konsequenter. Und noch bedenkenloser.“ Und das auf Kosten der Umwelt und der Menschen vor Ort. So arbeiten Näherinnen und Näher, die für Shein tätig sind, im Schnitt 75 Stunden pro Woche – und das offenbar meist ohne Arbeitsverträge, so Public Eye, eine Schweizer NGO.
Auch das Portal Business Insider schreibt über das Geschäftsmodell des Konzerns. „Auch wenn wenig über die Geschäftspraktiken des Unternehmens offiziell bekannt oder bestätigt ist, liegt es auf der Hand, dass Shein diese passgenauen Empfehlungen nur durch eine schlaue Nutzung von Datenpunkten im Netz erreichen kann.“ Dank Cookies und permanenter Smartphone-Nutzung wisse der chinesische Moderiese genau, was die deutsche Generation Z shoppen wolle.