In Deutschland herrscht Lehrkräftemangel – und das schon seit Jahren. Zum Schulbeginn in diesem Jahr scheint es aber besonders dramatisch zu sein. „Dieses Schuljahr ist das schlimmste Schuljahr seit 50 Jahren“, sagt Hans-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Der Verband schätzt, dass bundesweit 30.000 bis 40.000 Stellen unbesetzt sind. Und die Erfahrung zeigt laut Meidinger: „Das ist nur ein Vorgeschmack für das, was uns im Laufe des Schuljahres droht.“ Dann machten sich vor allem Ausfälle wegen Krankheiten oder Schwangerschaft bemerkbar. „Wir hoffen, dass Corona nicht wieder so schlimm wird, aber Corona ist nicht weg, und wir wissen nicht, wie viele zusätzliche Flüchtlinge noch nach Deutschland kommen.“
Folgt man den Daten der Bundesländer, ergibt sich für 2025/26 ein Mangel von 26.000 Lehrerinnen und Lehrern, im Schuljahr 2030/2031 würden 33.000 Lehrkräfte fehlen und 2035/2036 dagegen nur noch 24.000. Das Institut der Deutschen Wirtschaft aber sieht das viel pessimistischer: Es hat berechnet, dass im Schuljahr 2025/2026 in Deutschland voraussichtlich 35.000 Lehrkräfte fehlen werden. Für 2030/2031 prognostiziert das IWD 68.000 freie Stellen und 2035/2036 sogar 76.000. Das Problem: Nutzen die Kultusministerien ihre optimistischen Zahlen für die längerfristigen Planungen, besteht die Gefahr, dass Deutschland zu wenig unternimmt, um die erwartbaren Lehrkräfteengpässe so weit wie möglich einzudämmen.
Warum ist das so? Einerseits herrscht in Deutschland generell Fachkräftemangel in allen Bereichen. Doch es geht auch um die politischen Versäumnisse der letzten Jahre: „Die Politik hat viel zu spät auf den kontinuierlichen Geburtenanstieg seit über zehn Jahren reagiert“, so Lehrerverbandspräsident Meidinger. Der „zweite Riesenfehler“ sei, dass mit dem Geburtenrückgang in den 90er Jahren massiv Lehramtsstudienplätze abgebaut wurden.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht außerdem die mangelnde Wertschätzung von Lehrerinnen und Lehrern als Problem. Auch Meidinger bemängelt die Arbeitsbedingungen: Im Vergleich zu anderen Ländern hätten deutsche Lehrkräfte relativ viele Stunden, außerdem müssten sie Verwaltungsarbeit leisten und die Aufstiegschancen seien gering. Eine besonders abschätzige Praxis: Viele Lehrkräfte werden vor den Ferien entlassen – um dann zum Schulbeginn wieder eingestellt zu werden. Bundesweit wurden im vergangenen Sommer 5.700 Lehrkräfte in die Arbeitslosigkeit entlassen, davon 1.600 in Baden-Württemberg.
Der Fachkräftemangel führt zu kuriosen Praktiken: Die Bundesländer werben sich teilweise gegenseitig Lehrerinnen und Lehrer ab. Wie Karin Prien (Präsidentin der Kultusministerkonferenz, CDU) kürzlich auf einer Pressekonferenz verkündete: Schleswig-Holstein sei 2022 ein „Lehrkräfteeinwanderungsland“. Das heißt nichts anderes, als dass mehr Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern zu- als in andere Bundesländer abwandern.
Wie lässt sich der Lehrkräftemangel überwinden? Kurzfristig gibt es Meidinger zufolge keine Lösung, nur Notmaßnahmen: Quereinsteiger könnten gewonnen und nachqualifiziert werden oder Pensionisten aus dem Ruhestand geholt werden. Eine Idee der GEW: Mehr Fachkräfte, die nicht-pädagogische Arbeiten übernehmen, um Lehrkräfte von administrativen Aufgaben oder IT-Betreuung zu entlasten.
Auch wenn Bildung Ländersache ist, setzt der massive Lehrermangel die Bundesregierung unter Druck. Hatte die Ampel doch im Koalitionsvertrag vollmundig versprochen, den „Grundstein für ein ‚Jahrzehnt der Bildungschancen‘“ zu legen. Gemeinsam mit den Ländern wolle man die öffentlichen Bildungsausgaben „deutlich steigern“ und dafür sorgen, „dass die Unterstützung dauerhaft dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird“.
Doch diese Versprechen weichen bereits jetzt von der Realität ab: Im Koalitionsvertrag heißt es, man werde die frühkindliche Bildung stärken und in diesem Rahmen „das Programm ‚Sprach-Kitas‘ weiterentwickeln und verstetigen“. Nun steht fest: Diese Förderung wird gestrichen.