Der Krieg in der Ukraine hat die Getreide-Preise in Rekordhöhen getrieben. Viele Exporte sind schon weggefallen oder können noch weiter zurückgehen. Etwa knapp ein Drittel der globalen Weizenexporte kommen aus der Ukraine und Russland. In der EU stammen außerdem nahezu 60 Prozent der gesamten Mais- und Gerstenimporte aus der Ukraine, beim Sonnenblumenöl sind es sogar fast 90 Prozent, so die Agrarexpertin Linde Götz.
Die Nachfrage nach Speiseöl und Mehl in Deutschland ist nach Beginn des Ukraine-Krieges zeitweise stark gestiegen. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes war der Absatz von Speiseöl im Lebensmitteleinzelhandel in einer Mitte März Woche mit einem Plus von 123 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im September 2021. Für Mehl wurde im selben Zeitraum sogar eine Verdreifachung der Nachfrage festgestellt. Das Plus betrug 206 Prozent.
In Deutschland droht derzeit noch keine wirkliche Lebensmittelknappheit, allenfalls höhere Preise. Anders sieht es in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens entlang des Mittelmeers aus, etwa in der Türkei oder Ägypten. Die ägyptische Regierung beispielsweise musste Weizenprodukte jüngst stark subventionieren. Frühere Versuche, diese Subventionen zu kürzen, hatten Massenunruhen ausgelöst. Die Autorin des Politmagazins Cicero schreibt in ihrer Analyse, dass „eine Instabilität in einem dieser Länder angesichts ihrer Bedeutung für die Region alarmierend wäre. Auch in den benachbarten Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens sieht es nicht viel besser aus.“
Zur Ankurbelung der eigenen Produktion hat die EU-Kommission Mitte März Pläne vorgestellt. Demnach sollten Teile der europäischen Ackerfläche, die eigentlich für den Artenschutz brach liegen sollten, doch wieder intensiv bewirtschaftet werden. NGOs und Verbände finden das nicht gut: Sie befürchten, dass damit die Ziele für eine nachhaltigere Landwirtschaft untergraben werden könnten. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling, sieht darin ebenfalls einen „Frontalangriff auf alle Umweltgesetzgebungen“, die agrarpolitische Sprecherin der Europa-SPD Maria Noichl nannte es eine „Katastrophe“ und schimpfte, dass „im Schatten des Krieges konservative Politiken durchgedrückt“ würden.
Der Brüssel-Korrespondent des WDR findet die Strategie der EU-Kommission ebenfalls nutzlos – und grundfalsch: „Sie erliegt dem Druck der konventionellen Agrarlobby und sagt: Hier kann alles bleiben wie es ist. Dafür sind ihr auch die bisher für den Artenschutz reservierten Brachflächen nicht zu schade. Sie will sie aufgeben, um da jetzt wieder ohne Rücksicht auf Verluste Landwirtschaft zu betreiben und die Lücken zu stopfen. Vor allem also: um Futter für die Massentierhaltung zu produzieren. Am besten womöglich noch unter Einsatz aller verfügbaren Mittel - Herbizide, Pestizide, Dünger - es ist ja schließlich Krieg“.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 60 Prozent der gesamten deutschen Getreideernte landen im Futtertrog von Tieren, knapp 9 Prozent werden zu Biokraftstoffen verarbeitet, so Greenpeace und agrarheute. Lediglich 20 Prozent dienen der Erzeugung von Lebensmitteln.
Wenn man als EU etwas gegen den Hunger und Lebensmittelknappheiten machen wollte, wäre es hilfreich, weniger Fleisch essen – das fordert eine Gruppe von Wissenschaftlern, darunter der Agrarökonom Hermann Lotze-Campen. Er sagt: „Wenn wir Äcker zum Anbau von Lebensmitteln direkt für die Menschen statt für Viehfutter nutzen, ist unter dem Strich mehr Nahrung für die Menschen da. Vereinfacht gesagt: Brot statt Fleisch. Wenn es uns um Ernährungssicherheit geht, dann ist Tierproduktion einfach ineffizient.“ Auch Agrarminister Cem Özdemir forderte jüngst zu einem Umdenken auf. „Weniger Fleisch zu essen wäre ein Beitrag gegen Herrn Putin. Bewusst einzukaufen und weniger Lebensmittel wegzuschmeißen genauso.“
Der Virologe Christian Drosten bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel. Er hält die auf Massentierhaltung basierender Fleischkonsum für ein weiteres Pandemierisiko: „Die Tierhaltung bietet ideale Bedingungen für ein Virus, um sich an den Menschen anzupassen.“
Immer noch werden zudem zu viele Lebensmittel verschwendet. Auf dem Weg vom Erzeuger bis zum Verbraucher gehen 35 Prozent aller Lebensmittel verloren, so der UN-Mitarbeiter Olivier De Schutter – auch, weil die Lieferketten so schlecht organisiert seien.