Überbelegte Zimmer, fehlende Betten, Verlegung kranker Babys und Kinder in entfernte Krankenhäuser: Die akute Welle von Atemwegsinfekten bringt momentan Kinderkliniken in ganz Deutschland in dramatische Engpässe. Schon seit einiger Zeit schlagen Medizinerinnen und Mediziner Alarm: Vor einer „katastrophalen Lage“ auf Kinder-Intensivstationen spricht die Medizinervereinigung DIVI.
Die Winterzeit ist die Hochzeit für Erkältungsviren. Dieses Jahr sind zudem außergewöhnlich viele Menschen betroffen. Laut Robert-Koch-Institut leidet fast jeder Zehnte hierzulande aktuell an einer Atemwegserkrankung, beinahe neun Millionen Menschen. Auffallend stark grassieren die Viren unter den Schulkindern zwischen fünf und 14 Jahren. Und besonders gefährlich für Kinder und vor allem Säuglinge ist das sogenannte Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus. Es befällt die Atemwege und kann für schwere Verläufe sorgen, die sogar künstliche Beatmung erfordern.
Tatsächlich waren Anfang Dezember nur noch 83 Intensivbetten für Kinder frei, in ganz Deutschland. Das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort, teilte die DIVI mit. Jede zweite Klinik berichtet davon, dass ihre Kinderintensivmediziner bereits Patientinnen oder Patienten wieder wegschicken mussten. „Diese Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen", so DIVI-Generalsekretär Florian Hoffmann.
Der Focus berichtet von einem Fall, in dem ein krankes Kind aufgrund von Bettenmangel verlegt wurde musste – von Hannover ins 150 Kilometer entfernte Magdeburg. „Meine Kollegen hatten 21 Kliniken angerufen“, berichtete Gesine Hansen, Ärztliche Direktorin der MHH-Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie.
Aus Daten des Statistischen Bundesamtes geht auf Nachfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, dass deutsche Kinderkliniken im vergangenen Jahr Betten abgebaut haben. Demnach gab es 2021 im Vergleich mit dem Vorjahr 288 Kinderbetten weniger und damit noch 25.920. Die Ressourcen- und Personalknappheit in den Kinderkliniken ist für Experten leider nichts Neues. So sei die Zahl nach Angaben der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin bereits zwischen 1991 und 2017 um ein Drittel gesunken. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch findet die nun veröffentlichten Zahlen „beschämend“. Der Rückgang hänge häufig mit dem fehlenden Pflegepersonal zusammen, was sich die Politik auf die Fahne schreiben müsse.
Überlastet und kaputtgespart: Kinderkliniken sind in der Krise – und das schon seit längerer Zeit. Jürgen Dötsch von der Kinderklinik der Uniklinik Köln erklärt die Besonderheiten der Kindermedizin gegenüber Zeit Online: „Die Pädiatrie unterscheidet sich stark von der Erwachsenenmedizin. Wir Kinder- und Jugendärzte müssen viel mehr kommunizieren – mit den Kindern und auch mit den Eltern […] Das wird aber in den Fallpauschalen kaum abgebildet.“ Dazu kommt: Auch bei Kindern gäbe es inzwischen immer mehr Spezialisten für einzelne Krankheitsbilder. Dafür zu sorgen, dass diese Spezialisten immer da sind, wenn ein Kind krank wird, erzeuge hohe Kosten.
Immerhin scheint die Ampel und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Ernst der Lage erkannt zu haben. Lauterbach sicherte den Kinderkliniken 300 Millionen Euro zusätzlich zu und der Geburtshilfe noch einmal 120 Millionen. Hinzu kommt eine in dieser Woche angekündigte Krankenhausreform – die Ideen neben mehr Geld: Entlastung für Pflegekräfte und weniger unnötige Übernachtungen. Besonders die viel kritisierten Fallpauschalen, an deren Einführung Lauterbach selbst beteiligt war, sollen zurückgefahren werden. Die Regierungskommission zur Krankenhausversorgung, die für Lauterbach die Ideen erarbeitete, schlägt vor, Kliniken stattdessen nach neuen Kriterien zu honorieren. Ein Kriterium sind die Vorhalteleistungen: Für Personal, eine Notaufnahme oder notwendige Medizintechnik sollen demnach feste Beträge fließen.
Stichwort „Vorhaltevergütung“: Gemeint ist Geld, das unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Fälle an die Kliniken fließen soll, damit sie eine bestimmte Leistung vorhalten. Damit solle der Druck sinken, immer auf die höchste Vergütung zu schielen. Die Idee: Das Geld kommt sowieso, man kann viel leichter nach dem Bedarf der Patienten entscheiden.
Mehr Geld löst allerdings erstmal nicht das akute Problem des Personalmangels, ob im Krankenhaus oder in Praxen vor Ort. Tatsächlich gibt es derzeit in der Bundesrepublik mehr Ärztinnen und Ärzte als je zuvor. Nur: Um einen Arzt, der in Rente geht zu ersetzen, braucht man laut aktueller Schätzungen 1,2 neue. Warum? Viele junge Ärztinnen und Ärzte wollen – auch aufgrund der hohen Arbeitsbelastung – nicht mehr in Vollzeit arbeiten.
Auf dem Land ist der Fachkräftemangel besonders drastisch – und das schon seit Jahren. Die Bundesländer versuchen mit verschiedenen Anreizen gegenzusteuern. Bayern oder Nordrhein-Westfalen etwa haben eine Landarztquote eingeführt. Hier können Menschen auch ohne sehr gutes Abitur Medizin studieren. Im Gegenzug müssen sie sich verpflichten, mindestens zehn Jahre auf dem Land zu arbeiten.