Lützerath gehört zur Stadt Erkelenz in der Nähe von Düsseldorf und Köln – ein kleines Dorf in Nordrhein-Westfalen. Im Januar war es in einem tagelangen Großeinsatz der Polizei gegen den Widerstand hunderter Klimaaktivist:innen geräumt worden. Hintergrund: Der Energiekonzern RWE will dort Braunkohle abbauen – deshalb protestierten zahlreiche Menschen vor Ort gegen den Beschluss. Alle Gebäude und Grundstücke dort gehören allerdings inzwischen RWE. Und alle Klagen gegen einen Abriss sind von Gerichten abgewiesen worden. Auf dieser Basis erfolgte dann auch die Räumung durch die Polizei.
Viele Klimabewegte versuchten dennoch, sich der Räumung entgegenzustellen. Es kam auch zu einer Großdemonstration rund um den Tagebau. Aus Sicherheitskreisen hieß es, unter die nach Schätzung der Einsatzkräfte gut 15.000 Menschen, die dort Ende Januar friedlich demonstrierten, hätten sich 300 bis 400 Gewaltbereite gemischt, einen „schwarzen Block“ gebildet. Wer das im Einzelnen gewesen ist – oft nicht zu sagen, weil sich die Betreffenden vermummt hätten. Die SZ schreibt: „Was den Sicherheitsbehörden eher Sorgen bereitet: dass der große, eigentlich gemäßigte Teil der Klimabewegung sich nach Lützerath nicht distanziert hat von Gewalttätern und Linksextremen.“
Im Zusammenhang mit der Räumung von Lützerath sind nach Angaben von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) fast 500 Straftaten begangen worden. Im Vorfeld der Räumung seien 30 Straftaten, während der Räumung fast 400 und während der großen Anti-Kohle-Demonstration am Samstag noch einmal mehr als 50 Straftaten registriert worden, berichtete Reul vor einigen Tagen dem Innenausschuss des Landtags. Aber auch am Vorgehen der Polizei gab es massive Kritik. Aktuell wird in fünf Fällen gegen Polizisten ermittelt. Der Jurist und Lützerath-Demonstrant Philipp Schönberger sagt im NDR: Er habe Polizisten beobachtet, die „körperlichen Zwang“ gegen Demonstrierende angewandt hätten, „sowohl mit Schlägen, mit Schlagstöcken, mit Fäusten, mit Hineinrennen in Demonstrierende“.
Auch der Bundestag debattierte in einer „Aktuellen Stunde“ über die Demonstrationen im rheinischen Revier. Lukas Benner (Bündnis 90/Die Grünen) sieht in der Braunkohle den „absoluten Klimakiller“. Daher sei es ein Erfolg, dass der Ausstieg aus der Braunkohle auf 2030 vorgezogen werde. Man könne das kritisieren, „aber für unserer Region ist das ein Schlussstrich für die Verstromung von Braunkohle in der rheinischen Region“. Aber die Erfolge würden nicht für das 1,5-Grad-Ziel reichen. Der Ausbau erneuerbarer Energien müsse beschleunigt werden, damit „die Kohle unter Lützerath nicht verfeuert wird“. Der Abgeordnete Wilfried Oellers (CDU/CSU) erinnerte dagegen an die von Bundesregierung, Landesregierung Nordrhein-Westfalen und RWE geschlossene Vereinbarung, nach der mehrere Dörfer erhalten blieben, aber Lützerath weichen müsse. „Natürlich kann man diese Vereinbarung kritisieren und dagegen demonstrieren, aber bitte im Rahmen des rechtlich Erlaubten“, forderte Oellers. Der Rechtsstaat müsse sich gegen die Gewalt zur Wehr setzen.
Besonders die Grünen tun und taten sich schwer damit, ihre Rolle rund um die Proteste in Lützerath zu finden. Während vor allem von grüner Regierungsseite der Kompromiss verteidigt wurde, brodelte es an der Basis, die die Parteiführung für das Festhalten am Kompromiss mit RWE heftig angreift. In der Kritik stand etwa die NRW-Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur, die immer wieder das Aus für Lützerath verteidigt hatte. Die taz beanstandet das Vorgehen der Grünen: „Für den Kampf gegen die Klimakrise ist bei den Grünen offenbar nicht genug Moral übriggeblieben. Hier diktieren Pragmatismus und Sachzwänge die Politik […] Wieso wird die Klimakrise immer noch nicht als akute Krise begriffen, in der einmal Entschiedenes auch revidiert werden kann?“ Manch einer sprach deshalb schon vom „Hartz IV der Grünen“.
Der politische Lützerath-Kompromiss beinhaltet eine Verkleinerung des Tagesbaus und einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg. Beim Kohleabbau im rheinischen Revier und beim Kampf gegen die Erderwärmung verfolge ihre Partei eine pragmatische Linie, verteidigte auch Grünen-Chefin Ricarda Lang. Ohne den RWE-Deal wären fünf weitere Dörfer abgebaggert und 500 Menschen umgesiedelt worden. Die Klimabewegung dagegen fordert ein sofortiges Ende des Kohleabbaus.
In Lützerath fühlen sich die Protestierenden von den Grünen im Stich gelassen. Auch Klimawissenschaftler widersprechen der Argumentation, dass in Lützerath ein guter Kompromiss fürs Klima erzielt worden sei. Denn: Den Klimawandel bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad stoppen, ist derzeit das wichtigste Klimaziel, zu dem sich auch die Bundesregierung bekennt. Doch dieses Ziel – und besonders der deutsche Anteil daran – wird zunehmend unerreichbar, auch mit der Entscheidung über Lützerath. Das zeigt eine neue Kurzstudie der Europa Universität Flensburg, über die das ZDF-Magazin „frontal“ berichtet.