Das Erzbistum Köln befindet sich seit 2020 in einer Krise. Damals hatte sich Kardinal Rainer Maria Woelki entschieden, ein Gutachten über den Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch zunächst nicht zu veröffentlichen. Der Kardinal führte damals rechtliche Gründe an und gab ein neues Gutachten in Auftrag. Im Zuge dieser Entscheidung kam es zu einer immer stärkeren Entfremdung zwischen dem Kardinal und den wichtigsten Gremien des Erzbistums. Anschließend nahm sich Woelki eine „geistliche Auszeit“, die ihm der Papst im vergangenen Herbst genehmigte. Im Frühling kehrte der Kardinal zurück in die Öffentlichkeit.
Vergangene Woche erschütterte dann ein neuer Skandal das Erzbistum in der Domstadt. Wie jetzt bekannt wurde, hatte das Kölner Bistum die Schulden eines Glaubensbruders getilgt. 1,15 Millionen Euro, darunter - so Recherchen des Kölner Stadt Anzeigers (KStA) – Spielschulden, mit Zinsen und Steuern. Der Vorgang endete laut KStA in den letzten Jahren des früheren Erzbischofs Kardinal Joachim Meisner, soll jedoch von seinem Nachfolger Woelki mitgetragen worden sein.
Viele kritisieren, dass das Geld aus demselben Sondertopf stammt, wie die Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer – dem sogenannten „BB-Fonds“. Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, sprach von einem „verstörenden und beschämenden“ Vorgang. Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche kämpften seit Jahren für eine wirkliche Anerkennung ihres Leids, so Norpoth.
Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle läuft in den deutschen Bistümern unterschiedlich schnell. Auch die Summen, die an Opfer gezahlt werden, gehen weit auseinander. In den Jahren 2011 bis 2020 zum Beispiel haben Betroffene sexualisierter Gewalt laut einer Datenerhebung der FAZ im Schnitt gerade mal 5909 Euro erhalten.
Wie freihändig Kardinal Woelki das Geld des Bistums ausgibt, zeigt zudem auch der Fall eines seiner Prestigeobjekte – der Kölner Hochschule für Theologie. Dort sollen nach den Vorstellungen Woelkis Priester ausgebildet werden und nicht nach dem Lehrplan einer staatlichen, liberaleren Universität. Hier haben sich die jährlichen Kosten fast verdreifacht. Die Gelder werden ebenfalls aus dem BB-Fonds getragen. Dieser wurde eigens für den Kardinal angelegt, gespeist aus Zahlungen von Priestern.
Um die internen Skandale aufzuarbeiten, hat die katholische Deutsche Bischofskonferenz den Trierer Bischof Stephan Ackermann zum Missbrauchsbeauftragten ernannt. Die von ihm angestoßene Bewegung sei allerdings zu zaghaft, und verliere sich in Ankündigungen, kritisieren die Betroffenenverbände. Die Entwicklung sei aus ihrer Sicht eher erzwungen als ein Ausdruck innerer Überzeugung.
Viele ehemalige Kirchenmitglieder kritisieren außerdem, dass die Kirche ein eigenes Arbeitsrecht hat. Dies hat historische Gründe und wird von der Bischofskonferenz selbst so erklärt: „Dieses Recht […] ermöglicht den Kirchen die spezifische Eigenart des kirchlichen Dienstes zu formulieren und bestimmte Aspekte der kirchlichen Dienst- und Arbeitsverhältnisse nach ihrem Selbstverständnis auszugestalten.“ Nach kirchlichem Arbeitsrecht droht etwa Mitarbeitern der katholischen Kirche die Kündigung, sobald sie eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen, wenn sie in der Seelsorge oder in der Glaubensvermittlung tätig sind. Religionslehrer müssten in einem solchen Fall mit dem Entzug ihrer kirchlichen Lehrerlaubnis, der sogenannten Missio canonica, rechnen.
Gegen solche Regelungen wehrt sich die Initiative „Out in Church“. Zu ihr gehören hauptamtliche, ehrenamtliche, potenzielle und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der römisch-katholischen Kirche. Sie identifizieren sich unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans, inter, queer und non-binär. Die Initiatoren fordern unter anderem eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts: „Ein offenes Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, auch in einer Partnerschaft beziehungsweise Zivilehe, darf niemals als Loyalitätsverstoß oder Kündigungsgrund gewertet werden.“
In der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ wagten Anfang des Jahres 2022 nicht-heterosexuelle Menschen im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland ihr Coming-out. Die Katholikinnen und Katholiken berichten von Einschüchterungen, Denunziationen, tiefen Verletzungen, jahrzehntelangem Versteckspiel und Doppelleben.
Vor allem die katholische Kirche bleibt in der Krise – die Folge all dieser Probleme und Skandale: Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken. Nach aktuellen Hochrechnungen ist inzwischen weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. „Es ist eine historische Zäsur, da es im Ganzen gesehen, seit Jahrhunderten das erste Mal in Deutschland nicht mehr 'normal' ist, Kirchenmitglied zu sein“, sagt Sozialwissenschaftler Carsten Frerk von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland. „Die Abwärtsentwicklung ist schon seit längerem zu beobachten, hat sich in den vergangenen sechs Jahren aber stärker beschleunigt als vorher angenommen.“