Im Iran gehen Sicherheitskräfte derzeit massiv gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vor, es gab viele Tote. Auslöser der Demonstrationen war der Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie wegen ihres angeblich „unislamischen Outfits“ festgenommen. Was genau mit Amini danach geschah, ist unklar. Die junge Frau fiel wenige Stunden nach ihrer Festnahme ins Koma und wurde in einem Krankenwagen vom Gefängnis in ein Krankenhaus in Teheran gebracht. Sie starb dort drei Tage später, am 16. September 2022. Amnesty International berichtet, dass es vor ihrem Tod glaubwürdige Augenzeugenberichte gegeben habe, denen zufolge die „Sittenpolizei“ sie im Polizeiwagen misshandelt und unter anderem auch auf den Kopf geschlagen haben soll.
Seitdem protestieren Tausende Menschen im Land gegen das Regime und die Unterdrückung der Frauen. Unzählige Videos im Internet zeigen demonstrierende Frauen, die ihr Kopftuch abgelegt haben oder gar verbrennen. Die iranische Frauenbewegung läuft inzwischen seit fünf Generationen.
Die so genannte Sittenpolizei hatte Amini mitgenommen, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht regelkonform getragen habe. Die Reporterin des SWR weiß um die Bedeutung der Verhüllung: „Das Kopftuch gehört praktisch zur DNA der Islamischen Republik Iran, wie das Land seit der islamischen Revolution 1979 heißt. Es ist nur ein Stück Stoff, aber für viele Frauen im Iran ein verhasstes Stück Stoff. Sie verbinden damit Angst vor teils brutalen Kontrollen der Sittenpolizei.“
Mit der Bedeutung des Kopftuchs beschäftigt sich auch der Tagesspiegel. Als ihr Wahrzeichen symbolisiere es die Islamischen Republik mehr als alles andere. Und: Seit das islamische Recht in dem Land seit Ende der 1970er Jahre gelte, sei das Leben einer Frau nur halb so viel wert wie das eines Mannes.
Im ganzen Land tauchen derzeit Bilder und Videos von demonstrierenden Schülerinnen und Studentinnen auf, die ihre Kopftücher entfernen, Parolen gegen die Regierung rufen und Bilder der Führer des theokratisch regierten Staates verunstalten. In einem Video aus der iranischen Millionenstadt Karadsch ist zu sehen, wie eine Gruppe von Mädchen mit offen getragenem Haar einen Mann vom Gelände einer Schule vertreibt und dabei "Tod dem Diktator" ruft. Der Ruf bezieht sich auf das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, bei dem Mann soll es sich um den Schuldirektor handeln.
In vielen Teilen des Landes herrscht bittere Armut. Korrupte Eliten unterdrücken Menschen, lassen diese verprügeln und von ihren Schergen erschießen, während sie ihre eigenen Kinder auf Universitäten im Westen schicken und mit Luxus überhäufen. „Aghazadeh“ - die Wohlgeborenen, so nennen die Iraner die Töchter und Söhne der Elite. Deren Leben hat kaum etwas mit dem Alltag in der islamischen Republik gemeinsam. Für die Wohlgeborenen gelten andere Regeln. Von der Tochter eines iranischen Ex-Botschafters in Venezuela zirkulieren Fotos, auf denen sie ohne Schleier zu sehen ist, in einem schwarzen Kleid mit tiefem Ausschnitt – und das offenbar in Iran.
Von Irans Oberstem religiösen Führer Ayatollah Chamenei wurde vor einiger Zeit bekannt, dass er einen Immobilienfonds kontrolliert, der schon im Jahr 2013 95 Milliarden Dollar wert war – unter anderem dank Zwangsenteignungen.
Chamenei, der seit Jahrzehnten für Menschenrechtsverletzungen im Land mitverantwortlich ist, ist selbst auf der Plattform Instagram aktiv. Dabei hat der Iran eine der schlimmsten Internetzensuren der Welt. Zehntausende von Webseiten und die meisten Social-Media-Plattformen sind für die Bevölkerung gesperrt.
Die Ereignisse im Iran sind der erste echte Realitätscheck für Annalena Baerbock und ihre feministische Außenpolitik. Im Bundestag sagte sie neulich, „wir sehen und wir hören die Frauen im Iran“ und plädierte dann auch Anfang der Woche für Sanktionen, die den EU-Partnern unterbreitet wurden und sich gegen Einzelpersonen und Organisationen richten sollen. Die Kommentatorin von Zeit Online sieht darin eine „realpolitische Nebelkerze“. „Wirksamer – auch im Sinne einer feministischen Außenpolitik – wäre gewesen, darauf zu dringen, dass die zuvor in Stocken geratenen Gespräche über das Atomabkommen mit der EU nicht weitergeführt werden.“
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Deutschland nach wie vor der größte Handelspartner des Irans in Europa ist und damit durchaus mächtige Werkzeuge in der Hand hat. Die neuesten Statistiken des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die iranischen Ausfuhren nach Deutschland im Mai gut 23 Millionen Euro erreichten. Die deutschen Ausfuhren in den Iran belaufen sich auf 118 Millionen Euro, was 6 Prozent weniger ist als im gleichen Monat des Vorjahres.