Tanken, Essen und Heizen haben die deutschen Verbraucherpreise im September so stark ansteigen lassen wie seit Anfang der 50er Jahre nicht mehr. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich 10 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt jüngst bekannt gab. Im August hatte die Inflationsrate noch 7,9 Prozent betragen – auch weil 9-Euro-Ticket und Tankrabatt den Preisdruck dämpften. Im laufenden Oktober und im November könnte die Rate noch einmal weiter steigen.
Darunter leiden vor allem ärmere Familien: Durch die Preisanstiege bei Haushaltsenergie und Lebensmittel sind Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional belastet. Das zeigen die haushaltsspezifischen Inflationsraten, die in einer Forschung der Hans-Böckler-Stiftung erhoben wurden. Zu den 40 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Einkommen zählen übrigens überdurchschnittlich oft Alleinerziehende und deren Kinder.
Eine Idee aus der Politik war es jüngst, Obst und Gemüse billiger zu machen. Im Sommer schlug Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vor, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu streichen. Davon würden vor allem einkommensschwache Haushalte profitieren. Zudem würde ein Anreiz für gesündere Ernährung geschaffen. Ihm sei allerdings klar, dass der Vorschlag nicht bei allen Koalitionspartnern Begeisterungsstürme auslöse, so der Minister.
Für diese Betroffenen wären Direktzahlungen des Staates oftmals nützlicher als Entlastungspakete durch Strom- oder Gaspreisbremsen. Österreich überweist beispielsweise derzeit unkompliziert seinen Bürgerinnen und Bürgern einen 500 Euro-„Klima- und Antiteuerungsbonus“ direkt aufs Konto. Hierzulande heißt es von Seiten der Politik „das gehe nicht“. Der Focus hat geprüft, ob das stimmt. Eins der Probleme dabei: Der Staat habe beispielsweise von Studierenden einfach keine Kontonummer.
Selbst der Toilettenbesuch wird zumindest bei den meisten Autobahntankstellen und Raststätten in Deutschland teurer. Ab dem 18. November will der Toilettenbetreiber Sanifair die Gebühr an den von ihm betriebenen rund 400 Toilettenanlagen entlang der Autobahnen von bislang 70 Cent auf 1 Euro erhöhen.
Neben den hohen Strom- und Gaspreisen leiden viele Menschen auch unter gestiegenen Lebensmittelpreisen. Wenn Konzerne über Gebühr ihre Preise erhöhen, sprechen manche auch von „Gierflation“. Ökonomen definieren das so: „Wenn Unternehmen in strategischen Oligopol- und Monopolsektoren die Abhängigkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher in der Krise ausnutzen und unangemessene Preise für Produkte verlangen, für die es keine Alternativen gibt.“ Auch die Süddeutsche Zeitung hat sich mit dem Phänomen ausführlich beschäftigt. Ein Aspekt: „Dass manche Dinge teurer werden, gehört zur Marktwirtschaft dazu: Steigende Preise locken neue Unternehmen. Inflation wird aber dann gefährlich, wenn nahezu alles teurer wird. Dann erwarten die Menschen, dass auch künftig die Preise überall steigen – und setzen damit eine selbsterfüllende Prophezeiung in Gang.“
Der US-Konzern Mars, der neben den Schokoriegeln auch für andere Lebensmittel oder Tierfutter bekannt ist, beliefert seit kurzem einige deutsche Supermärkte nicht mehr. Dahinter stecken aber – anders als in der Corona-Krise – weniger Lieferengpässe oder Hamsterkäufe, sondern der Konflikt zwischen Mars und den beiden Supermarktketten Rewe und Edeka. Mars hatte aufgrund steigender Kosten höhere Preise gefordert, die die Händler nicht akzeptieren wollten.
Ein Edeka-Sprecher begründet: „Nicht nur Mars, auch viele weitere internationale Markenkonzerne wie Coca-Cola oder Procter&Gamble versuchen aktuell mit überzogenen Preisforderungen auf der Inflationswelle mitzureiten, um ihre Renditen zu steigern. Sie nutzen einseitige Lieferstopps als Druckmittel gegen den Handel.“ Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr streitet Edeka auch mit Mondelez, dem Hersteller von Milka-Schokolade, Miracel-Whip-Mayonnaise und Philadelphia-Käse. Der US-Konzern stellte die Belieferung mit Milka ein, nachdem Edeka eine Preiserhöhung abgelehnt hatte.
Was manch einen besonders ärgert: Nestlé, Unilever, L’Oreal, Coca-Cola und Co sind zwar bislang erstaunlich gut durch die Krise gekommen – ihre aktuell gestiegenen Kosten wollen sie trotzdem an die Kundschaft weitergeben. All diese Unternehmen berichteten noch im Sommer von starkem Wachstum und guten Gewinnen im ersten Halbjahr.
Die Hersteller kennen noch andere Tricks, um ihre Preise anzuheben. Manche erhöhen zwar vordergründig die Preise nicht, verkleinern aber die Packungen. „Shrinkflation“ nennt sich dieses Phänomen. Das ist nicht ganz so offensichtlich, aber am Ende ist und bleibt es aber eine Entwertung unseres Geldes. Die Sendung Markt vom WDR zeigt in einem Beitrag, wer am schlimmsten täuscht und worauf Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf achten sollten.
Ein Autor der SZ fordert, dass die „Shrinkflations“-Masche durch strengere Vorgaben durch die Politik endlich eingedämmt werden soll. Denn: „Es ist die Politik, die jahrelang vor den mächtigen Lobbyverbänden der Industrie gekuscht und den Betrügereien am Kunden dadurch erst Tür und Tor geöffnet hat.“ Auf Bundesebene könnte der Gesetzgeber etwa die Verpackungsordnung ändern und so dafür sorgen, dass Produkte mindestens bis zu einem bestimmten Anteil des Verpackungsvolumens gefüllt sein müssten.
Die Verbraucherzentrale Hamburg hat eine „Mogelpackungsliste“ mit versteckten Preiserhöhungen online gestellt, auf der sich in fünf Jahren rund 1000 Einträge angesammelt haben. Ein Beispiel: So kostete etwa die Rote Grütze von Wonnemeyer (Aldi Nord) auf einmal 28 Prozent mehr. Die Füllmenge wurde von 1000 g auf 500 g verkleinert.