Viel zu wenig Deutsche sind Organspender: 2018 haben gerade einmal 955 Bundesbürger nach ihrem Tod ihre Organe gespendet. Demgegenüber stehen über 10.000 Patienten, die dringend eine Spende benötigen. Was kann gegen diesen Missstand unternommen werden? – Bisher musste jeder, der bereit war Organe zu spenden, aktiv seinen Willen in Form eines Organspendeausweises kundtun. Wer untätig blieb, war also kein Spender. Das will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ändern. Am Montag stellte der Gesundheitsminister zusammen mit seinem Kollegen, dem SPD-Politiker Karl Lauterbach, einen neuen Gesetzentwurf vor. Künftig soll die sogenannte „Widerspruchsregelung“ gelten. Das bedeutet, jeder Bürger, der seine Organe nicht spenden möchte, muss explizit widersprechen. Wer untätig bleibt, ist fortan Organspender. Welche Besserungen der Gesundheitsminister sich von dem Gesetz erhofft, dazu hat sich Spahn ausführlich in der Bundespressekonferenz geäußert.
Für seinen Vorstoß bekam Spahn viel Lob. Das NDR-Info-Radio hat sich mit dem Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ullrich Montgomery, unterhalten. Er findet die Widerspruchslösung „ethisch völlig unproblematisch“ und „medizinisch wünschenswert“. Wir leben – so Montgomery – in einer lebensbesessenen Gesellschaft, in der sich dennoch jeder mindestens einmal im Leben dazu bekennen sollte, ob er für Organspende oder dagegen sei. Rechtlich äußert er jedoch Bedenken: Es gebe in Deutschland keinen Rechtsakt, bei dem Schweigen implizit als Zustimmung gewertet werde.
Kritik kommt auch vom Vorsitzenden des Ethikrats. Der Theologe mahnt im Deutschlandfunk-Interview: „Ich finde die Widerspruchslösung bei einem so wichtigen Thema unnötig und schädlich auch. Ich finde sie unnötig, weil man im Grunde die Effizienz der Organgewinnung nahezu überhaupt nicht steigert. Sie ist schädlich, weil sie das Vertrauen in das System, das ja nun wirklich schon prekär ist, noch mal unterminiert, weil im Grunde jetzt nicht mehr gilt: Zustimmung – Spende.“ Zwar sei ein Widerspruch jederzeit möglich, doch Dabrock gibt zu bedenken, es gebe auch Menschen, die psychisch, physisch oder emotional nicht in der Lage sind, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Die würden nach dem Hirntod dann „Objekt des Staates“.
Unstrittig ist, dass mehr Organe gespendet werden müssen. Doch warum sind die Zahlen so niedrig? Immerhin stehen rund 80 Prozent der Deutschen dem Thema Organspende positiv gegenüber. Der Organspende-Skandal von 2012 hat offenbar Vertrauen gekostet. Ein Arzt aus Göttingen soll in 25 Fällen Krankenakten gefälscht haben, damit Patienten schneller ein Spenderorgan bekamen. Später wurde er jedoch freigesprochen. Die Rheinische Post hat den Fall in einer Chronik aufgearbeitet.
Auch die Frage wann jemand „tot genug“ ist, um ihm Organe zu entnehmen, sorgt bei vielen für ein ungutes Gefühl. Die Organe müssen nämlich noch lebensfähig sein, um transplantiert zu werden. Ärzte nennen diesen Zustand „Hirntod“. Dafür muss von zwei Ärzten festgestellt werden, dass sämtliche Reflexe und Hirnaktivitäten unumkehrbar erloschen sind. Den Begriff Hirntod gibt es seit 1968 – er wurde seinerzeit eingeführt, um die technisch plötzlich machbare Organverpflanzung zu ermöglichen. Kritiker sagen, Hirntote sind per Definition aber noch nicht ganz tot. Bei einem hochumstrittenen Fall aus dem Jahr 1992 zeigte sich beispielsweise, dass ein Fötus noch fünf Wochen im Bauch einer Hirntoten weiter wuchs, nachdem sie an lebenserhaltende Apparate angeschlossen wurde. Mit der hochkomplexen Thematik des Hirntods und wie genau dieser festgestellt wird, beschäftigt sich die SWR-Doku „Organspende – zwischen Tod und Hoffnung“. Doch einige Bilder sind nichts für schwache Nerven.
Mit allen Argumenten die für und gegen die neue Regelung zur Organspende sprechen, hat sich Hart aber fair diese Woche beschäftigt. Zu Gast waren, neben Grünen-Politikerin Annalena Baerbock, auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der verteidigte sein Vorhaben in der Talkshow. Er gab offen zu, dass es sich bei dem Gesetz um einen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen handelt, aber im Hinblick auf die vielen Patienten, die auch eine Spende angewiesen sind, wäre es zumutbar, sich mit dem Thema beschäftigen zu müssen.