CSU-Ministerpräsident Markus Söder ist unser erster Preisträger bei der Verleihung des goldenen Vollpfostens. Begründung: „Markus Söder, dieser bajuwarische Monolith, ist nach der Niederlage gegen Laschet im Kandidatenduell wirklich bis an sein absolutes Limit gegangen und hat jeden Tag einfach alles gegeben, um einen Sieg der Union bei der Bundestagswahl zu verhindern.“ Viele versuchten sich in diesem Jahr an einer Analyse des umtriebigen und mitunter auch intriganten bayerischen Politikers, der die Abstimmung zum Kanzlerkandidaten der Union gegen Armin Laschet aus der CDU verlor – und damit augenscheinlich nicht gut umgehen konnte. Söder-Biografin Anna Clauß vom Spiegel schrieb neulich über seine Pandemie-Politik: „Dass Bayern schneller als andere Bundesländer eine Sperrstunde in der Gastronomie eingeführt oder Pioniertaten beim Schließen von Weihnachtsmärkten vollbracht hat, liegt sicher nicht am vorausschauenden Handeln des hiesigen Ministerpräsidenten. Sondern schlicht daran, dass Söder die Lage früher entglitten ist als anderen.“
Wem oder was verleiht man jetzt im Zusammenhang mit immer radikaleren und gewalttätigen Protesten gegen Corona-Maßnahmen den goldenen Vollpfosten? Der geht in diesem Jahr an den Messanger-Dienst Telegram als „wichtigste Bullshit Multiplikator unserer Tage“. Die taz weiß: Das schärfste Schwert der alten Bundesregierung gegen Hasskriminalität im Netz ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz: „Formal fällt Telegram nicht unter dieses Gesetz, da die Plattform nicht als soziales Netzwerk geführt wird. Wäre dies so, wäre Telegram verpflichtet, strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen.“ Gegen Telegram läuft seit ein paar Monaten sogar ein Bußgeldverfahren. Dem Bundesamt für Justiz ist es bisher aber noch nicht einmal gelungen, ein Anhörungsschreiben zuzustellen.
Die heute-show verleiht der katholischen Kirche insgesamt für ihren Umgang mit den eigenen Verbrechen, dem Missbrauch in der eigenen Kirche und deren Vertuschungen den goldenen Vollpfosten in der Fegefeuer-Edition. Stellvertretend dafür steht das Verhalten des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki. Was war vorgefallen? Der Kardinal hatte zunächst ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen in der Kirche in Auftrag gegeben. 2020 entschied Woelki dann allerdings, dies vorerst nicht zu veröffentlichen. Er führte dafür rechtliche Gründe an. Stattdessen gab er ein neues Gutachten in Auftrag. Eine Chronik der gesammelten Ereignisse findet sich hier. Dieses Vorgehen löste eine Welle von Kirchenaustritten aus. Woelki selbst wurde zwar in keinem der beiden Gutachten belastet. Papst Franziskus, sein Chef, kam allerdings zu dem Schluss, dass Woelki „schwere Fehler“ in der Kommunikation begangen habe. Der Erzbischof blieb im Amt, nimmt aktuell aber eine Auszeit. Vor Kurzem sorgte nun auch die Finanzierung der Aufklärung für Kritik: Das Erzbistum Köln hatte nämlich in den vergangenen drei Jahren rund 2,8 Millionen Euro für Gutachten, Medienanwälte und Kommunikationsberatung ausgegeben. An Betroffene sexuellen Missbrauchs zahlte das Erzbistum dagegen seit 2010 nur 1,5 Millionen Euro.
CSU-Politiker Andreas Scheuer bekommt in diesem Jahr einen Vollpfosten für sein Lebenswerk. „Der schlimmste Verkehrsminister des Planeten“ hat sich in diesem Jahr verabschiedet und hat auch die letzte Gelegenheit für einen Hauch von Selbstkritik verpasst. Noch bis zuletzt sorgte sein politisches Handeln für Unmut: So hatte Scheuer kurz vor Amtsende noch verkündet, dass das umstrittene Funklochamt ein erstes Förderprojekt gefunden habe. Dies liegt bei Wegscheid, Wahlkreis 229 (Passau) – Andreas Scheuers Direktwahlkreis seit 2005, wie der Stern herausfand. Scheuer selbst hat bei seinem Abschied im Ministerium trotz der gescheiterten Pkw-Maut eine erfolgreiche Bilanz seiner Amtszeit gezogen „Ich gehe hier erhobenen Hauptes raus“, sagte er vor ein paar Tagen in Berlin bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger Volker Wissing (FDP).
Auch der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gehört in diesem Jahr zu den Preisträgern. Die „New York Times“ hatte im November über die Unternehmenskultur bei Axel Springer im Allgemeinen und bei der Bild-Zeitung im Besonderen berichtet. Der Artikel enthalte, so berichtet Stefan Niggemeier, einige neue Details darüber, wie Julian Reichelt junge Frauen behandelt haben soll, mit denen er Affären am Arbeitsplatz hatte. Eine Mischung aus „Sex, Journalismus und Firmengeld“ mache Medienkolumnist Ben Smith in der „Bild“-Redaktion aus. Im Podcast erklärt Medienjournalist Niggemeier noch weitere Hintergründe zum Fall Reichelt, der gleichzeitig auch ein Fall Döpfner ist – einer der mächtigsten deutschen Zeitungsverleger, der sich in einem „neuen DDR-Unrechtsstaat“ wähnt. Reichelt selbst sagte im Interview mit der Zeit, er habe nichts zu verbergen. „Es hat in meinem Leben nie etwas gegeben, was mit den genannten Fällen auch nur im Ansatz zu tun hatte. Schon das Wort „MeToo“ ist in diesem Zusammenhang eine Verleumdung.“
Jüngst bezeichnete die Bild-Zeitung vom Axel-Springer-Verlag die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität, Viola Priesemann und Michael Mayer-Hermann als „Die Lockdown-Macher“: „Dieses Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest.“ Dieser personifizierte Angriff wurde von vielen Medien scharf kritisiert, etwa im Tagesspiegel. Dessen Autor bezeichnete die Betitelung als „infam und anti-akademisch“. Wegen des Bild-Artikels reichte die Berliner Humboldt-Universität sogar Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Besonders pikant: Am selben Tag traten die Neukoalitionäre Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der großen Axel-Springer-Gala „Ein Herz für Kinder“ im ZDF auf. Nochmal der Tagesspiegel: Olaf Scholz habe bislang keine Gelegenheit ausgelassen, um sich bei Springer lieb Kind zu machen. „Kanzlerduell, Koalitionsvertrag, stets saß Scholz bei Bild-TV.“ Deshalb gibt es von uns den „Ein Gehirn für die Ampel“ Pfosten.
Mark Zuckerberg mit seinem von Facebook in „Meta“ umbenannten Konzern bekommt in diesem Jahr ebenfalls einen – rein virtuellen – Vollpfosten. Die Whistleblowerin Frances Haugen hatte neulich darüber berichtet, wie genau der Konzern Bescheid weiß über die Schäden, die er anrichtet und wenig dazu beiträgt, dies zu ändern. So kamen interne Facebook-Forscherinnen in einem Bericht unter anderem zu dem Ergebnis, dass bei zahlreichen Teenagern – vor allem Mädchen – Instagram die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärke und diese Unzufriedenheit sich wiederum auf die psychische und physische Gesundheit auswirke. Als mögliche Folgen wurden etwa Depressionen und Essstörungen genannt. Der NDR hat die Whistleblowerin begleitet.
Und dann gibt es noch einen Vollpfosten für Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsidenten, dafür dass er auch im Jahr 2021 Ungarn wieder ein Stück undemokratischer gemacht hat. Trotz massiver Kritik aus dem Aus- und Inland war Anfang Juli in Ungarn das umstrittene Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität in Kraft getreten. Dieses untersagt unter anderem Bildungsprogramme oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homo- und Transsexuellen solidarisch erklären. Offizielles Ziel ist der „Schutz von Minderjährigen“. Das Gesetz verbietet unter anderem, dass Bücher, Aufklärungskampagnen sowie Werbung, die Familie anders als „Vater, Mutter, Kinder“ zeigen.