Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China ist einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge so groß wie nie. Im vergangenen Jahr sei das Handelsdefizit mit der Volksrepublik auf mehr als 84 Milliarden Euro angewachsen und habe sich damit im Vorjahresvergleich mehr als verdoppelt, teilte das IW mit. 2021 hatte der Unterschied zwischen Exporten nach China und Importen aus dem Land demnach noch 39,4 Milliarden Euro betragen.
Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, ist dennoch optimistisch. In Wahrheit sei China viel abhängiger von Europa als umgekehrt. Im vergangenen Jahr exportierte China 6,4 Millionen 40-Fuss-Container nach Europa, während Europa nur 1,6 Millionen Container nach China lieferte. Die Exporte der EU nach China im vergangenen Jahr waren wertmäßig bloß 23 Prozent höher als die Exporte der EU in die Schweiz. Das sage schon alles. Unternehmen aus der EU investieren pro Jahr nur noch etwa 8 bis 9 Milliarden Euro in China. Das ist etwa so viel, wie sie allein in Texas investieren. Die Wahrheit sei aber auch: Vier deutsche Konzerne – BMW, VW, Mercedes und BASF – stehen zusammen für ein Drittel der europäischen Direktinvestitionen in China in den vergangenen Jahren. Das heißt: Deutschland ist abhängiger von China als der Rest Europas.
Eine Abhängigkeit besteht vor allen Dingen bei der Herstellung von Computer-Chips. Die USA haben im vergangenen Herbst umfassende Restriktionen für den Transfer von Halbleiter-Technologie nach China erlassen – und drängen ihre Verbündeten, sich ihnen anzuschließen. Japan und die Niederlande haben das inzwischen getan. Die Niederlande sind ein besonders wichtiger Spieler auf diesem Markt: Der Chipmaschinen-Hersteller ASML, Europas wertvollstes Tech-Unternehmen, sitzt in der Nähe von Eindhoven. Ohne ASML-Maschinen wird es für China schwer, eine eigene Halbleiterindustrie der neuesten Generation aufzubauen. Die USA fürchten, dass China Chips zur Herstellung von Hightech-Waffen nutzt.
Auch mit Blick auf mehr Unabhängigkeit bei der Energieversorgung treibt die EU den Ausbau der erneuerbaren Energien voran – allerdings ist Europa auch hier stark von chinesischen Produkten abhängig. Die EU-Kommission will daher eine industriepolitische Cleantech-Offensive starten. Bis 2030 soll die EU in der Lage sein, 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an emissionsfreien Technologien selbst zu produzieren, schreibt die Brüsseler Behörde in einem Entwurf für den „Green Deal Industrial Plan“, den sie in der kommenden Woche veröffentlichen will. Die chinesische Staatsführung erwägt ihrerseits Exportkontrollen für Solarprodukte – ein drastischer Schritt, der das Potenzial hat, Europas Energiewende auszubremsen.
Es sind die Zutaten der Energiewende: Lithium, Kobalt, Mangan. Ohne diese Mineralien funktionieren keine Handys und fahren keine Elektroautos. Ein Großteil dieser Bodenschätze liegt in Afrika. Sie werden von dort bisher meist zur Weiterverarbeitung exportiert – vor allem nach China, das die weltweiten Lieferketten für Batterien kontrolliert. Das ist nicht nur für Afrika ein Problem, dessen Bevölkerung kaum von der Wertschöpfung profitiert, sondern auch für Europa. Denn die erfolgreiche Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft hängt an Batterien, in denen Ökostrom in großem Stil gespeichert werden kann. Jetzt wollen einige Staaten auf dem afrikanischen Kontinent ihre wichtigen Rohstoffe nicht mehr exportieren, sondern im eigenen Land veredeln. Eine Entscheidung, die den Markt für Batterierohstoffe neu ordnen könnte – auch zugunsten Europas.
Doch nicht nur die Abhängigkeit ist für Europa und Deutschland ein Problem. Chinesische Firmen sollen auch die Sicherheit gefährden. Erste Hinweise darauf, dass der chinesische Tech-Riese Huawei ein Risiko darstellen könnte, tauchten spätestens vor vier Jahren auf. Doch während andere europäische Länder auf Distanz gingen, hielten die deutschen Mobilfunkkonzerne an Huawei fest. Darum schreitet die Bundesregierung jetzt ein. Sie will nicht nur den Einbau neuer chinesischer Komponenten untersagen, sondern auch den Ausbau bereits installierter Bauteile anordnen. Sowohl Teile der Wirtschaft als auch Experten begrüßen das Vorgehen. In China reagiert man verärgert. Die Regierung in Peking sei „sehr verwundert und sehr unzufrieden mit der überstürzten Entscheidung“ der deutschen Regierung, teilte die chinesische Botschaft auf ihrer Website mit.
An Bahnhöfen oder Flughäfen in Deutschland werden oft Überwachungskameras chinesischer Hersteller eingesetzt. Wie das Handelsblatt berichtet, lässt der Bund auch sensible Bereiche mit Kameras von zwei Unternehmen überwachen, die Daten nach China weitergeben könnten. Doch die Unternehmen sind für etwas anderes bekannt, sagt Malte Kirchner, Redakteur beim IT-Internetportal Heise Online. So sei die Firma Hikvision sehr eng verbunden mit dem chinesischen Staat. Kirchner zufolge werden in Deutschland von Hikvision etwa 60.000 Kameras genutzt, von Dahua etwa 18.000. Verwendet würden sie zum Beispiel im Nahverkehr oder bei der Polizei in Berlin, Hamburg und Hessen.