Die Ampel überarbeitet momentan das Einwanderungsrecht. Ende der vergangenen Woche hat die Regierungsmehrheit im Bundestag bereits das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ beschlossen. Nach den Plänen der Ampel soll dieses Recht gut integrierten Ausländern, die schon mehrere Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben, eine Perspektive bieten. Wer zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre im Land lebt und nicht straffällig geworden ist, soll 18 Monate Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen – dazu gehören etwa Deutschkenntnisse und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts.
Die Bundestagsdebatte zur Einwanderung am Freitag hat phoenix live übertragen. Auch die Bevölkerung ist über die Pläne geteilter Meinung. In einer aktuellen Umfrage begrüßten 49 Prozent der befragten Deutschen die Überlegungen, Einbürgerungen in Deutschland zu erleichtern. 45 Prozent sprachen sich im aktuellen ARD-Deutschlandtrend dagegen aus.
Eins bestreitet niemand: Deutschland braucht dringend mehr qualifizierte Fachkräfte. Hier fehlen derzeit rund 400.000 Arbeitskräfte im Jahr – die nur aus dem Ausland gewonnen werden können, weil es sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt gar nicht gibt. Schon in den vergangenen Jahren wurden deswegen die Einwanderungsregeln für ausländische Fachkräfte gelockert. Künftig soll es beispielsweise noch einfacher werden, bereits für eine Berufsausbildung oder ein Studium nach Deutschland zu kommen. Zu den neuen Regeln soll zudem gehören, dass Menschen mit einer sogenannten Chancenkarte zunächst für ein Jahr nach Deutschland kommen können, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Punkte gibt es dann für die Qualifikation, berufliche Erfahrung, Sprachkenntnisse oder einen persönlichen Bezug zu Deutschland sowie das Alter. Neu ist beispielsweise auch, dass Berufserfahrung mehr Gewicht erhält. Mehr Details sollen Anfang des kommenden Jahres genannt werden.
Teile der Union kritisierten die Ampel-Pläne, etwa auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Aus der Wirtschaft gibt es jedoch weitgehend Zuspruch für die Regierungspläne. Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich hinter die von der Bundesregierung geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts gestellt. Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMV) befürwortet die Ampel-Vorstöße. Lob gab es auch vom Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Dem Handelsblatt sagte er: „Deutschlands Fachkräfteproblem wird sich durch die Demografie und durch den zunehmenden Wettbewerb um die klügsten Köpfe massiv verschärfen, wenn die Politik nicht viel entschiedener als bisher handelt.“
Mittlerweile entscheiden sich aber gerade die heißbegehrten Fachkräfte etwa aus dem IT-Bereich oft für andere Länder als Deutschland. Möglicherweise liegt das auch an sogenannten weichen Faktoren. In einem internationalen Ranking der beliebtesten Einwanderungsländer liegt die Bundesrepublik beim Thema „sich zu Hause fühlen“ nur auf Platz 56 von 64, bei „Freundlichkeit der Bewohner“ auf Platz 57. Der SPIEGEL subsummiert: „Dass wir in allen Kategorien schlecht abschneiden, beschert uns im statistischen Schnitt die viertschlechteste Bewertung.“
Eine zweite mögliche Maßnahme, um Deutschland auf dem internationalen Markt attraktiver zu machen, sieht der Arbeitsmarktexperte Chris Pyak in der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Die vorgesehenen Pläne der Ampel seien bereits ein Schritt in diese Richtung. Bisher müssen Menschen für die Einbürgerung in Deutschland jedoch die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes aufgeben. „Viele sind dazu einfach nicht bereit“, so Pyak. Und das schrecke wiederum viele Menschen ab. Auch Innenministerin Faeser sieht das so: Es sei „falsch, Menschen dazu zu zwingen, ihre alte Staatsangehörigkeit aufzugeben.“
Eine Autorin der taz kommentiert die Bemühungen der Ampel und vor allem die Kritik aus den Reihen der Union daran so: „Deutschland ist bei Weitem nicht das einzige Land in Europa oder gar weltweit, das dringend Arbeitskräfte braucht. Andere Länder haben verstanden, dass sie um diese Menschen werben müssen, statt sie Klinken putzen zu lassen.“ Deutsche Migrationspolitik hingegen sei jahrelang von der Vorstellung geprägt, mindestens die halbe Welt warte sehnsüchtig darauf, gnädig eingelassen zu werden.