Die Omikron-Untervariante BA.5 sorgt derzeit in Portugal für mehr Infektionen mit dem Virus. In Südafrika hatte diese Untervariante vor wenigen Wochen gemeinsam mit der Verwandten BA.4 eine neue Welle ausgelöst. Auch in Deutschland wächst der Anteil der beiden Subvarianten: BA.5 ist bei Untersuchungen von vorletzter Woche in jeder zehnten Probe gefunden worden. Damit setzte sich die Verdopplung laut Robert-Koch-Institut (RKI) von Woche zu Woche fort. Sorgen vor einer womöglich wieder wachsenden Krankheitsschwere hat das RKI aktuell nicht. Die bisherigen Daten ließen nicht darauf schließen, dass Infektionen mit BA.4 oder BA.5 schwerere Krankheitsverläufe oder anteilig mehr Todesfälle verursachten als die Varianten BA.1 und BA.2, so das Institut.
Auch die ZEIT beschäftigt sich in ihrem Podcast mit den neuen Veränderungen des Coronavirus. Dort erklärt ein Redakteur aus dem Gesundheitsressort, was mit den Varianten nun auf Deutschland zukommen könnte.
Also: Vorerst kein Grund zur Panik, sagt auch Virologe Christian Drosten. Trotzdem mahnt er zur Vorsicht. „Etwas beunruhigt“ sei er von der Entwicklung in Portugal, wo nicht nur die Inzidenz, sondern auch die Sterbefälle anstiegen. „Dafür gibt es keine offensichtlichen Erklärungen, denn auch andere europäische Länder haben BA.5-Anstiege ohne Zunahme der Letalität.“ Für mehr Klarheit müsse man noch etwas abwarten: In einem Monat werde man wissen, ob sich etwas Ähnliches auch bei uns einstelle.
Drosten verweist aber auch darauf, dass in Herbst und Winter „wieder eine lang anhaltende Infektionswelle“ mit ganz besonders vielen Arbeitsausfällen möglich sei, wenn zwischenzeitlich keine Interventionen erfolgten. Auch weil die größten Teile der Bevölkerung bis zum Herbst den Übertragungsschutz verlieren könnten, zumal bei den jetzt zirkulierenden Varianten die Übertragbarkeit nochmals erhöht sei.
Auch die stagnierende Impfquote könnte uns hierzulande im kommenden Herbst und Winter noch einmal einholen. Diese ist, laut RKI, seit mehreren Wochen fast unverändert: Bis Ende Mai waren insgesamt 78 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal und 76 Prozent vollständig geimpft. 60 Prozent der Bevölkerung erhielten eine erste Auffrischimpfung und 6 Prozent eine zweite Auffrischungsimpfung. In der Altersgruppe ab 60 Jahren sind rund 2 Millionen Menschen noch gar nicht geimpft.
Ist Deutschland gut genug auf eine Corona-Welle im Herbst vorbereitet? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister – auch in der Ampel-Koalition. Grünen-Chef Omid Nouripour etwa fordert eine rasche Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um für die kältere Jahreszeit gewappnet zu sein. Dafür hatte sich auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ausgesprochen. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki erinnert dagegen daran, dass es einen gesetzlichen Auftrag gebe, Corona-Maßnahmen zunächst fachgerecht zu beurteilen. Nur auf der Grundlage eines entsprechenden Berichts könnten evidenzbasierte Entscheidungen getroffen werden. Dieser Bericht soll laut Justizminister Marco Buschmann (FDP) Ende Juni vorliegen. „Zwischen dem 30. Juni und dem Ende der Sommerpause werden wir gemeinsam mit den Ländern beraten, was zu tun ist“, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Er wolle daher am 23. September als Ablaufdatum für das aktuell geltende Infektionsschutzgesetz festhalten.
Die Kommunen in Deutschland fordern indes schnelleres Handeln, auch jetzt schon. Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags – einem freiwilligen Zusammenschluss deutscher Städte – will frühzeitig Vorgaben vom Bund: „Wir erwarten, dass der Bund noch vor der Sommerpause Klarheit schafft, wann er welche Corona-Schutzmaßnahmen im Infektionsschutzgesetz wieder möglich macht.“
Bundeskanzler Olaf Scholz gab neulich nach einem Bund-Länder-Treffen ein Versprechen ab. Bei einem erneuten Anstieg der Corona-Fallzahlen gegen Ende des Jahres wollen Bundesregierung und Länder eine erneute Schließung von Kitas und Schulen vermeiden. Es solle „keine erneuten flächendeckenden Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geben.“
Eine Evaluierung der aktuellen Lage und der bisherigen Corona-Monate in Deutschland ist schwierig, weil entscheidende Daten fehlen. Die Bundesrepublik kranke an einer schlechten Datenlage, schreibt die Deutsche Welle. Und der Blick in andere Länder zeige: es ginge anders. Die Britinnen und Briten etwa wissen dank einer repräsentativen Blutuntersuchung, dass 99 Prozent von ihnen Antikörper haben – entweder wegen einer Infektion oder durch die Impfung.
Auch der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung findet die fehlenden Daten bedenklich. Die schlechte Datenlage bedeute zwar nicht automatisch, dass die Politik falsche Entscheidungen treffe. Aber sie mache es auch unwahrscheinlich, dass die richtigen getroffen werden. „Es ist so, als würde ein Landwirt nicht wissen, ob sein Weizen trocken genug für die Ernte ist, und er keine Wettervorhersagen kennt.“