Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit kaufen internationale Finanzinvestoren Arztpraxen in Deutschland auf, um mit ihnen hohe Gewinne zu erzielen. Betroffen sind beispielsweise Zahnärztinnen, Orthopäden, Kardiologinnen, Radiologen, Nierenfachärzte – und allen voran Augenärzte. Das recherchierten vor kurzem Journalistinnen und Journalisten von NDR und BR. Sie sprachen dafür über Monate mit Ärztinnen und Ärzten, haben Finanzinvestoren und Betreiber der großen Ketten befragt, bei der Politik nachgebohrt – und mit Patienten gesprochen. Die Ergebnisse ihrer Recherche gibt es als Video und auch als Radiofeature bei NDR Info nachzuhören.
Vor allem Augenarzt-Praxen sind betroffen. Die Recherchen haben unter anderem gezeigt, dass drei große, von Finanzinvestoren geführte Augenarztketten mittlerweile eine monopolartige Stellung in mehreren Städten und Landkreisen erreicht haben. Beispielsweise in Kiel – dort arbeiten inzwischen mehr als die Hälfte aller ambulant tätigen Augenärztinnen und -ärzte für das Unternehmen Sanoptis. Ähnlich sieht es etwa in und um Augsburg aus.
Ein Problem daran ist die Intransparenz – es gibt keine Listen oder öffentlich einsehbare Verzeichnisse zu Investoren bei Arztpraxen. 2019 versuchten die Linken im Bundestag, ein solches Register einzuführen. So sollten mögliche Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung offengelegt werden. Die Begründung der Linken damals: „Da die Aufrechterhaltung der ambulanten Gesundheitsversorgung von besonderen öffentlichen Interesse ist, darf sie nicht Unternehmen überlassen werden, deren Geschäftszweck nicht im dauerhaften Betrieb der Einrichtungen besteht.“ Der Antrag wurde jedoch abgelehnt – Union, SPD, FDP und AfD stimmten dagegen, die Grünen enthielten sich.
Auch die WELT berichtete Anfang 2020 über das Phänomen, dass immer mehr niedergelassene Fachärzte ihren Arztsitz an Firmen oder internationale Finanzinvestoren verkaufen. Seit der gesetzlichen Öffnung hierfür sind bis Januar 2020 etwa 4100 solcher Zentren entstanden, die teilweise bundesweite Arztketten bilden. Hinter fast jedem sechsten Zentrum stünden Investorenfirmen, teils mit Sitz in Steueroasen wie den Cayman Islands. Damals forderte auch der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Verkauf von Arztsitzen an Finanzinvestoren zu verbieten. „Wenn solche stark profitorientierten Mehrheitseigner die ambulante Versorgung betreiben, entstehen unüberwindbare Interessenkonflikte.“ NDR und BR wollte Lauterbach im aktuellen Beitrag kein Interview mehr geben.
Eigentlich sollte das sogenannte GKV-Versorgungsstrukturgesetz aus dem Jahr 2011 das Treiben der privaten Investoren eindämmen. Aktiengesellschaften und „sonstige Leistungserbringer“ – zum Beispiel Arzneimittelhersteller – waren danach theoretisch nicht mehr berechtigt, medizinische Versorgungszentren zu kaufen und oder zu gründen. Mindestens zwei Schlupflöcher haben aber dazu geführt, dass sich in der Praxis kaum etwas verändert hat.
Wolfgang Krombholz, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), warnt schon länger vor dieser Entwicklung. Die KVB Bayern hat beim IGES Institut ein Gutachten in Auftrag gegeben – mit erschreckendem Ergebnis: Praxen, die von Investoren geführt werden, rechnen demnach systematisch höhere Kosten für Behandlungen ab als Praxen in Arztbesitz. Im Schnitt sind dies sogar zehn Prozent mehr. Die Forscherinnen und Forscher analysierten Daten bayerischer Praxen verschiedener Fachrichtungen aus den Jahren 2018 und 2019.
Wie dringlich dieses Problem bereits jetzt ist, schildert Krombholz im Podcast der Ärztezeitung: Investoren zahlten teilweise das Fünffache des gutachterlich festgestellten Wertes. Die Folge: Sie würden damit niederlassungswillige Freiberufler aus dem Markt drängen, die mit diesen Preisen nicht mithalten könnten.
Bei den Kliniken gibt es die Entwicklung der zunehmenden Privatisierung schon länger. Deutschlands Krankenhäuser sind entweder öffentlich-rechtlich, freigemeinnützig oder privat organisiert. Öffentliche Krankenhäuser werden von den Städten, Gemeinden und Ländern betrieben, freigemeinnützige von Kirchen, Stiftungen oder gemeinnützigen Verbänden wie dem Roten Kreuz. Private Träger sind meist große Unternehmen. Der Anteil der Kliniken privater Trägerschaft hat in den letzten Jahren stetig zugenommen: von 21 Prozent im Jahr 1999 auf 38 Prozent in 2019.