Am Freitag, den 17. Mai 2019, um Punkt 18 Uhr ging ein Erbeben durch Österreich – ausgelöst von deutschen Medien: dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung. Zeitgleich veröffentlichen beide ein sechsminütiges Video, das Österreichs Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache und seinen Vertrauten Johann Gudenus bei einem feucht-fröhlichen Abend in einer Finca auf Ibiza zeigt. Die beiden FPÖ-Funktionäre glauben, sie seien zu Gast bei einer russischen Oligarchen-Nichte. Was die beiden nicht wissen: Sie sind in eine Falle getreten, denn sie werden mit versteckter Kamera gefilmt. Der Inhalt der Gespräche ist äußerst bedenklich: Ganz offen erzählen sie der Russin, wie man Parteispenden an die FPÖ vertuschen kann. Auch über den Kauf der auflagenstärksten Zeitung Österreichs wird diskutiert. Strache sagt ganz offen, sein Plan sei es, eine regierungstreue Medienlandschaft wie in Ungarn aufzubauen. Das Video entstand 2017 vor der österreichischen Nationalratswahl. Von dem mehrstündigen Material ist ein kommentierter Zusammenschnitt auf den Seiten von Spiegel Online und SZ zu sehen.
Wer steckt hinter dem Video? Warum wird es erst jetzt veröffentlicht? Warum gibt es nur Ausschnitte zu sehen? Spiegel Online hat die wichtigsten Fragen, die die Veröffentlichung aufwarf, in einem Artikel beantwortet.
Zwischen der Veröffentlichung des Materials und dem Auseinanderbrechen der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz vergingen keine 24 Stunden. Am Samstagmorgen gab Heinz-Christian Strache eine Pressekonferenz, um seinen Rücktritt bekanntzugeben. Strache sieht sich als Opfer eines, so wörtlich, politischen Attentats.
Der Skandal zwang Sebastian Kurz zum Handeln. In seiner Stellungnahme, ebenfalls am Samstag, kündigte er Neuwahlen im September an. Kurz' Entscheidung, sich von seinem FPÖ-Innenminister zu trennen, brachte die Regierung endgültig zum Platzen. Kurz distanziert sich nun in aller Klarheit von seinem Koalitionspartner. „Genug ist genug“ sagte der Bundeskanzler, es sei „oftmals schwer gewesen“ mit Strache zusammenzuarbeiten. Den Zeit-Autor Herbert Lackner überraschen diese Töne. „Mitunter sei der Hauch einer Männerfreundschaft zu spüren gewesen, zwischen dem fein ziselierten Slim-Fit-Kanzler Kurz und seinem etwas groben, vom Leben schon gezeichneten Vizekanzler Strache, der sich gern in seiner prallen Männlichkeit inszenierte“, schreibt er und prognostiziert einen Sieg für Kurz: „In den Umfragen liegt Kurz nach wie vor gut; den Skeptikern in seiner eigenen Partei hat er nun gezeigt, dass er sich von Extremisten wie Kickl nichts gefallen lässt; und die Opposition erwischt er auf dem falschen Fuß. Die FPÖ ist ohnehin für längere Zeit lädiert und wird Stimmen an Kurz abgeben müssen, der ja das freundliche Gesicht des Rechtspopulismus darstellt.“
Prinzipiell ist es verboten, heimlich Aufnahmen von Menschen zu erstellen. Daher fordern vor allem Kritiker am rechten Rand die unbekannten Urheber des Interviews ausfindig zu machen und zu bestrafen. Doch ganz so einfach ist die Situation rechtlich nicht. Denn Journalisten dürfen durchaus versteckt drehen, wenn sie dadurch Missstände aufdecken. Das Medienmagazin Zapp hat sich mit der Entstehung des Videos und der Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Privatsphäre beschäftigt.