Sie hat sich sogar Bilder von den Leichen angeguckt, das wollte sie gar nicht, aber die Bilder waren da, wo auch die Worte waren, die die Bilder beschrieben haben, also hat Sarah Bosetti sich die Bilder des Krieges angeguckt. Und sie war schockiert. Sie war erschüttert. Sie hat geweint. Kurz. Und dann hat sie sich geschämt.
Es gab in den letzten 3500 Jahren nur 250 Jahre Weltfrieden. Haben irgendwelche Leute im Internet nachgezählt. Genau wie den Umstand, dass die Welt seit 1945 nur 26 Tage ohne Krieg war. Im Krieg sterben Menschen. Das ist nicht neu. Wieso weint Sarah Bosetti jetzt um diese Menschen, wenn sie um die anderen nicht geweint hat? Wieso ist sie so erschrocken über die dunklen, abstoßenden Seiten der menschlichen Natur? Weil sie vorher nicht hingeguckt hat! Weil sie jeden Krieg und jedes Elend ausgeblendet hat, das sie ausblenden konnte. Und sie würde auch dieses Elend ausblenden, wenn nicht überall diese Bilder wären und die Worte und die vor dem Krieg geflüchteten Menschen im Berliner Hauptbahnhof und die blau-gelbe Flagge überall, auf Twitter-Profilbildern und in Geschäften.
Natürlich würde Sarah Bosetti auch dieses Elend ausblenden. Aber die Welt lässt uns ausnahmsweise nicht. Wir sind hilflos. Wir verlieren unseren Humor. Wir verlieren die Fassung. Wir machen das Leid der Anderen zu unserem Erlebnis. Vielleicht ist das in Maßen sogar okay. Solange wir nicht vergessen, dass wir selbst in diesem Erlebnis nicht die Hauptrolle spielen.