Ein Film von Felicitas von Twickel und Gerald Giesecke
Das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022 wird dominiert von zwei Metropolen: Barcelona und Madrid. Doch daneben ist Spanien weitgehend ein leeres Land. „La España vacía“ – "Das leere Spanien" ist längst zu einem geflügelten Wort geworden. Und es ist der Titel eines großen essayistischen Werks, das diesen Herbst auf Deutsch erscheint. Darin beschreibt der Journalist Sergio del Molino das langjährige Auseinanderdriften von Stadt und Land, die riesige Ödnis im drittgrößten Flächenland Europas. Wie absurd es sein kann, wenn diese Welten aufeinandertreffen, zeigt der Schriftsteller Daniel Gascón mit seinen Romanen “Un hipster en la España vacía” (Ein Hipster im leeren Spanien) und „La muerte del Hipster“ („Der Tod des Hipsters“). Darin schickt er einen postmodern-ökologisch-feministischen Städter aufs Land, der im Dorf seiner Tante auf eine überzeichnet altmodische Landbevölkerung trifft.
Verlust traditioneller Werte
In einfachen Verhältnissen mitten auf dem Land ist Ana Iris Simón aufgewachsen. In ihrem Roman „Mitten im Sommer“ begleitet sie ihre Großeltern, die fahrende Händler waren, und beschreibt zugleich das desillusionierte Lebensgefühl heutiger junger Leute. Simón, Jahrgang 1991, blickt mal melancholisch, mal aufbegehrend auf die Ankunft von Euro und Globalisierung in ihrer Heimat und lässt ein Spanien aufscheinen, das es so nicht mehr gibt, das sie vermisst und das sie anekdotenreich und humorvoll in Szene setzt. Doch ihr Buch spaltet auch, beklagt sie doch mit ihrer Familienchronik den Verlust traditioneller Werte. Das handelte ihr den Vorwurf ein, sie sei eine "linke Reaktionärin". "Mir wird vorgeworfen, dass ich zugleich zu kommunistisch und zu rechts sei", sagt Simón und meint: "Ich denke in Spanien ist diese Polarität auch wegen des spanischen Bürgerkriegs stark ausgeprägt."
Die Auseinandersetzung mit der Großeltern-Generation ist auch bei Elvira Sastre Thema. Bereits mit 14 Jahren wurde Sastre in Spanien als dichtende Bloggerin für PoetrySlam bekannt, jetzt hat sie mit “Die Tage ohne Dich” ihr Roman-Debut vorgelegt. Es geht um einen jungen Mann und seine starke Verbundenheit zu seiner Großmutter, die im Bürgerkrieg als demokratische Lehrerin den Schrecken des Diktators erlebt. Für Elvira Sastre, Jahrgang 1992, ist der Blick auf die spanische Vergangenheit wichtig: "Nach und nach stirbt die Bürgerkriegs-Generation aus. Viele verängstigt, ohne je darüber gesprochen zu haben. Das ist traurig".
Die vergessenen Poetinnen Spaniens
Frauen aus der Vergangenheit eine Stimme geben - das macht auf ganz andere Art auch die Sängerin Sheila Blanco. Sie hat Gedichte von bisher kaum bekannten, spanischen Dichterinnen aus den 20-50er Jahren vertont. "Die Idee, Gedichte zu vertonen kam mir, als ich erfuhr, dass es auch Frauen gab in der in Spanien wohl wichtigsten Dichter-Gruppe, der "Generation 1927", zu der unser berühmtester Poet, Federico García Lorca, gehörte. Zu erfahren, dass Frauen dabei waren, hat für mich alles verändert". Mit ihren Konzerten verleiht Sheila Blanco den vergessen Poetinnen Spaniens im ganzen Land eindrucksvoll Gehör.
Barcelona und die Pyrenäen
Spaniens Buchbranche boomt. Ob mit Bestseller-Autoren wie Ildefonso Falcones oder mit jungen Entdeckungen wie die Katalanin Irene Solà, ausgezeichnet mit dem Literaturpreis der Europäischen Union 2020. Der Rechtsanwalt Falcones, erst mit 47 Jahren zum Schriftsteller avanciert, erzählt in seinem neuesten Werk “Die Tränen der Welt”, unter welch großem Einsatz der einfachen Bevölkerung die berühmte Architektur Barcelonas entstanden ist. Irene Solà, Jahrgang 1990, dagegen erweckt mit ihrem Roman „Singe ich, tanzen die Berge“ die atemberaubende Natur der Pyrenäen voller Poesie zum Leben.