Umgang mit "Hatespeech" im Netz
Müssen wir die Meinungsfreiheit einschränken, damit unsere Gesellschaft frei bleibt? Um diese scheinbar paradoxe Frage zu klären, spricht Autor Johannes Nichelmann mit Befürwortern und Gegnern von Zensur. Denn eines ist klar: Die Illusion des Internets als heilbringender Ort der Demokratie ist gestorben. Spätestens seit den Anschlägen von Halle und Christchurch, die ihren Ursprung in hasserfüllten Onlineforen hatten, muss der Umgang mit „Hatespeech“ im Netz überdacht werden. Haben soziale Netzwerke die Pflicht, Inhalte zu überwachen? Und soll der Staat sie dazu zu zwingen?
1000 Mal Hass am Tag
Hasnain Kazim hat seinen ersten Schwung Hassbriefe im zarten Alter von 17 Jahren erhalten. Der damalige Schüler schrieb einen Artikel in einer überregionalen Zeitung und wurde Tage später von Wildfremden aufgefordert, die Bundesrepublik zu verlassen. Er – der doch in Niedersachsen geboren und aufgewachsen war – dürfe die Deutschland nicht als seine Heimat bezeichnen. Inzwischen erhält er am Tag bis zu 1.000 solcher Botschaften, an manchen Tagen bis zu 15 Morddrohungen. Der einstige Spiegel-Journalist hat aufgegeben, Anzeigen zu erstatten. Denn belangt worden ist noch niemand, egal wie harsch und menschenverachtend sich die Verfasser und Verfasserinnen ausdrückten.
Demokratie in Gefahr
Facebook und Co seien „die größten Propagandaapparate der Geschichte“ sagt der Komiker Sacha Baron Cohen in seiner millionenfach geteilten Rede vor der „Anti Defamation League“ in New York. Facebook hätte in den „1930er-Jahren Hitler erlaubt, 30-Sekunden-Werbeclips über seine ‚Lösung des Judenproblems‘ zu schalten“, mutmaßt der Brite. Nichts weniger als die Demokratie sei in Gefahr.
„Nein, ich würde sagen im Gegenteil!“ Johannes Baldauf von Facebook Deutschland betrachtet das soziale Netzwerk vielmehr als ein Werkzeug der Demokratie. Durch die Möglichkeiten des Informationsaustausches könne eine Gesellschaft stärker zusammenwachsen. Für ihn stelle sich hingegen die Frage: „Wie gut nutzen wir als Gesellschaft die Technologien?“ Auf der Plattform spiegele sich nur ein Problem unserer Zeit. Es sei „kein Facebook-Problem“.
Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, CDU kontert: „Wir dürfen es Facebook schlicht und einfach nicht durchgehen lassen, wenn Sie sagen, dass sie nur technisch eine Plattform bieten und für die Inhalte, dann die Nutzer verantwortlich sind.“
Konzept der Meinungsfreiheit überdenken?
Die Schriftstellerin Eva Menasse ist überzeugt: „Wir müssen das Konzept der Meinungsfreiheit neu überdenken.“ Die Österreicherin schlägt vor, das Rechtssystem „komplett zu ändern“. Diffamierungen im Netz müssten härter bestraft werden, als im analogen Raum. Hassbotschaften gehörten uneingeschränkt gelöscht. „Dann ist das keine Zensur, sondern einfach nur Müllentsorgung.“
Grünen-Politikerin Renate Künast feilscht gerade in verschiedenen Instanzen an Berliner Gerichten, wie sie sich in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke bezeichnen lassen muss. „Stück Scheiße“ und „Sondermüll“ halten die Juristen für unsagbar. "Sie alte perverse Drecksau!!!!!" hingegen nicht, da diese Formulierung "einen Sachbezug zu einer Äußerung der Politikerin" hätte.
Der Gesetzgeber versucht mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ der Lage Herr zu werden. Es verpflichtet die Betreiber Sozialer Netzwerke, rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Im Zweifelsfall auch Dinge, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. „Das ist somit eine Gefahr für die Meinungsfreiheit“, resümiert der Ingo Dachwitz von Netzpolitik.org.
„Wenn wir die Meinungsfreiheit zensieren“, glaubt der Theaterregisseur Kay Voges, „dann verlieren wir einen Grundpfeiler der Demokratie“. Muss der Korridor des Sagbaren neugestaltet werden? Oder brauchen wir vielmehr eine Debatte über Moral und Anstand?