Ein Film von Frank Vorpahl
Restitution ist politisch gewollt, betonen Annalena Baerbock und Claudia Roth auf Reisen in ehemalige Kolonien. Doch nun wird der Vorwurf laut, mit der Rückgabe von Kunstschätzen würde eine umfassende Wiedergutmachung von Kolonialverbrechen vermieden.
Nachfahren nigerianischer Sklaven kritisieren Rückgabe
Noch vor wenigen Jahren schien es undenkbar: Deutschland gibt einen Großteil der umstrittenen Benin-Bronzen zurück nach Nigeria. Jahrelang hatte man juristisch argumentiert, warum die Bronzen trotz kolonialer Verbrechen "rechtmäßig“ in Deutschland seien. Nun aber - in Zeiten des Postkolonialismus - bestimmen verstärkt moralische Verpflichtungen das kulturpolitische Handeln. Leichter ist es trotzdem nicht geworden. So kritisieren nicht nur Nachfahren nigerianischer Sklaven die aktuelle Rückgabe der weltweit hoch gehandelten Benin-Bronzen, da mit diesen Trophäen Kulturgüter nach Benin-City zurückkehren, die auf verbrecherischem Sklavenhandel beruhen. Wird also an einstige Täter restituiert? Wurden zu wenige Nachfahren von Betroffenen in die Restitutions-Überlegungen mit einbezogen?
Die Rückgabe von Raubkunst führt oft zu Streitigkeiten innerhalb der Länder, an die restituiert wird. Denn an wen genau sollen die geraubten Kulturschätze zurückgegeben werden? An Nationalstaaten, deren willkürliche Grenzen oft selbst Folge des Kolonialismus sind? Oder an die Nachfahren traditioneller Herkunftskulturen innerhalb dieser Staaten, die einst konkrete Opfer kolonialer Übergriffe waren? An das heutige Namibia zum Beispiel oder an die Genozid-Opfer der Herero und Nama? An die Bundesrepublik Nigeria oder an den Oba von Benin-City? An die Republik Kamerun oder an den Fon der Nso, dessen königliche Vorfahren die Deutschen hinrichten ließen und dessen Königspalast sie niederbrannten und ausraubten? Die Debatten darum haben gerade erst begonnen. Welche Argumente sprechen trotzdem für die "Gebt alles zurück“-Forderungen der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy? Und was ist dran an den "Ihr verspielt das Welterbe“ - Warnungen der Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin?
Die kostbaren Handschriften der "Berlinka"
Die Kehrtwende in Sachen Raubkunst betrifft nicht nur den globalen Süden, sondern auch Europa. In aller Stille ringen Polen und Deutsche um die kostbaren Handschriften der "Berlinka" in Krakow: um Beethovens 8. Sinfonie, Schillers Doktorarbeit oder Humboldts einmalige Zeichnungen. Und auch das indigene Volk der Samí im hohen Norden Skandinaviens, hat berechtigte Rückgabeforderungen - nicht nur an Berlin.
All diese Fälle sind ein kleiner Krimi für sich – und werfen zugleich prinzipielle Fragen auf: Wie intensiv müssen sich die Groß- und Kolonialmächte von einst auf die Rückgaben von Kulturschätzen einlassen, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen? Oder versuchen sie durch das Herausrücken von Kulturschätzen eine umfassende Wiedergutmachung von Völkermord, Plünderei und Verschleppung zu vermeiden, wie Aktivist:innen vermuten? Ob strahlende Museums-Preziosen oder fast vergessene Beutekunst-Trophäen - sie sind plötzlich ins Fadenkreuz der großen Weltpolitik geraten.