Ein Film von Janin Renner
Nigeria jubelt: Deutschland gibt die berühmten Benin-Bronzen 2022 zurück. Mehr als 50 Jahre lang wurden die Forderungen ignoriert, jetzt der Sinneswandel. Rollt nun eine Welle von Restitutionsforderungen auf uns zu? Die großen europäischen Museen sind schließlich vollgestopft mit kolonial erbeuteten Schätzen. Können die westlichen Weltkulturmuseen bald einpacken?
„Zur Not stellen wir Turnschuhe aus“, sagt die renommierte Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und meint, die Angst vor leeren Museen sei übertrieben. Es sei höchste Zeit die Dekolonisierung der europäischen Museen voranzutreiben, fast alle Kunstwerke und Objekte seien koloniale Beute und müssten zurück in die Herkunftsländer. Doch der aktuelle moralische und politische Paradigmenwechsel gefällt nicht allen. Die Rückgabeforderungen von geraubtem Kulturgut könnten weiter an Fahrt aufnehmen, befürchtet Julien Volper, Kurator im Africa Museum im belgischen Tervuren. Der Restitutionsgegner Volper sorgt sich um das kulturelle Erbe, das in Europas Museen sorgsam bewahrt, erforscht und gesammelt wurde. Dies dürfe nicht leichtfertig zurückgegeben werden.
Brauchen wir die Universalmuseen noch?
Was zum Beispiel soll mit Nofretete geschehen? Gehört nicht auch sie eigentlich nach Ägypten? Und sollte der Pergamonaltar zurück in die Türkei? Müssten nicht viele Werke zurückgegeben werden? Und brauchen wir die sogenannten Universalmuseen dann noch? Wer das zu Ende denkt, landet unweigerlich bei der Frage: Wird es dann auf der ganzen Welt nur noch Heimatmuseen geben? Afrikanische Kunst nur in Afrika, asiatische nur in Asien. Und im Berliner Humboldt Forum gäbe es statt Meisterwerken aus aller Welt nur noch preußische Kunst zu sehen.
Die ketzerische Frage lautet: Was wäre mit den vielen kostbaren Werken aus aller Welt in all den Jahren geschehen, wenn sie nicht unrechtmäßig in Europas Museen gelandet wären? Gäbe es sie noch? Als 2011 während des arabischen Frühlings Plünderer durch das Ägyptische Museum in Kairo zogen – war es beruhigend, zu wissen, dass die Nofretete in Sicherheit war. Und wäre eine Kostbarkeit wie das Ischtar-Tor von Babylon im heutigen Irak wirklich besser aufgehoben als in Berlin? In welchem Zustand wären die Benin-Bronzen, wenn sie die letzten 120 Jahre in Afrika verblieben wären?
Den nigerianischen Botschafter in Deutschland, Yusuf Tuggar, machen solche Fragen wütend, sie zeugten von europäischer, weißer Arroganz und fortgesetztem Kolonialismus. „Bevor sie aus Afrika gestohlen wurden existierten sie schon seit Jahrhunderten. Und ich würde sagen, wir haben uns nicht schlecht geschlagen.“ Im Falle der Benin-Bronzen müsse man sich auch zukünftig keine Sorgen machen, versichert er. Denn nicht nur in Nigeria wird ein neues Museum, das Edo Museum of West African Art, entstehen. Es ist das jüngste Beispiel in einer ganzen Reihe von afrikanischen Prestigeprojekten im Museumsbau.
Nicht von Europäern angestarrt werden!
In Dakar wurde 2018 das senegalesische „Musée des civilisations noires“ eröffnet, mit viel Platz für Restitutionen. Wie sein Direktor Hamady Bocoum erklärt, geht es den Ausstellungsmachern in seinem Museum um ein Afrika, das sich selbst betrachtet und nicht von Europäern angestarrt wird. In Europa geraten derweil die Museen weiter unter Druck. Vor allem das brandneue Humboldt Forum ist zum Schlachtfeld der Raubkunstdebatte geworden. Nach den Benin-Bronzen steht nun ein weiteres zentrales Ausstellungsstück im Fokus: Das Luf-Boot aus der Südsee. Gerade hat der Historiker Götz Aly nachgewiesen, dass es nicht rechtmäßig erworben wurde. War es eine gute Idee, das kostbare Luf-Boot im Humboldt Forum buchstäblich einzumauern? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bemüht sich inzwischen intensiv um koloniale Aufarbeitung. Doch für die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist das Luf-Boot nicht die letzte Bombe, die platzen wird. Das ganze Humboldt Forum sei vermintes Gelände.