Forderung nach Kalifat in Deutschland: Ist das erlaubt?

    Islamistische Demo in Hamburg:Forderung nach Kalifat: Ist das erlaubt?

    von Daniel Heymann
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    Die extremistische Gruppierung "Muslim Interaktiv" fordert bei einer Demonstration in Hamburg die Errichtung eines Kalifats. Darf sie das?

    Hamburg: Teilnehmer einer Islamisten-Demo halten ein Plakat mit der Aufschrift "Muslime schweigen nicht" in die Höhe.
    Eine islamistische Demonstration in Hamburg schlägt Wellen: Das politische Berlin reagiert verstört und empört auf öffentliche Rufe nach dem Kalifat. Und nun?29.04.2024 | 2:38 min
    Ein Gottesstaat, der von einem religiösen Führer allein regiert wird? Ohne freiheitliche Grundrechte, dafür mit Geltung der Scharia? In einer rechtsstaatlichen Demokratie wie Deutschland eigentlich nicht vorstellbar - und doch wurde bei einer Demonstration des Vereins "Muslim Interaktiv" am Samstag in Hamburg ein solches Kalifat als "Lösung" bezeichnet. Dies solle an die Stelle einer vermeintlichen deutschen "Wertediktatur" treten.
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    Haben sich die Teilnehmenden strafbar gemacht?

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Demonstration "schwer erträglich", ihr Parteikollege, Bundeskanzler Olaf Scholz, forderte bei einer Pressekonferenz: "Alle Straftaten müssen verfolgt werden." Verschiedene Politiker aller Parteien verlangen wahlweise die volle Härte des Rechtsstaats, die Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel und ein konsequentes rechtliches Vorgehen.
    Doch was heißt das konkret? Klar ist: Die Forderung nach einem Kalifat ist verfassungsfeindlich - und gleichzeitig von der Meinungsfreiheit gedeckt. Strafrechtliche Relevanz können entsprechende Rufe oder Plakate nur erlangen, wenn konkrete Umsetzungspläne vorliegen und diese aktiv verfolgt werden. Die Demo in Hamburg verlief nach bisherigen Erkenntnissen jedoch friedlich, es kam weder zu Gewalt oder Sachbeschädigungen, noch wurde zur Begehung von Straftaten aufgerufen.
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    Auf der Demonstration sollen teilweise indes auch Fahnen des IS, von Al-Kaida und Hizb ut-Tahrir gezeigt worden sein, die Ermittlungen hierzu laufen noch. Die Nutzung von Kennzeichen solcher verbotener Organisationen ist strafbar und kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.

    "Keine Rechtsgrundlage" für Versammlungsverbot

    Neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen stellt sich die Frage, ob die Demonstration nicht im Vorhinein hätte untersagt werden können.
    Das Versammlungsgesetz stellt hierfür mit Blick auf die große Bedeutung der Versammlungsfreiheit indes hohe Hürden: Es bedarf bereits im Vorfeld konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Die Polizei Hamburg sah diese Voraussetzungen als nicht erfüllt an.

    Wir haben ein Verbot sehr genau und intensiv geprüft. Es war die übereinstimmende Meinung aller Juristen, dass dafür keine Rechtsgrundlage gegeben ist.

    Falk Schnabel, Polizeipräsident von Hamburg

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    CDU hatte Verbotsantrag gestellt

    Gleichzeitig besteht Einigkeit darüber, dass "Muslim Interaktiv" verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Der Hamburger Verfassungsschutz stuft die Gruppierung als gesichert extremistisch ein. Kann sie also in Zukunft verboten werden? Ein solches Vereinsverbot kann die Bundesinnenministerin unter anderem dann aussprechen, wenn die Gruppierung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Bei einer Gruppierung, die so offensiv wie "Muslim Interaktiv" dafür wirbt, das Grundgesetz durch die Scharia zu ersetzen, liegt das nahe.
    Brisant: Erst in der vergangenen Woche stellte die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft einen Antrag, beim Bundesinnenministerium auf ein Verbot von "Muslim Interaktiv" hinzuwirken - den die Regierungskoalition aus SPD und Grünen ablehnte. Außerdem stellt sich die Frage, warum die Bundesinnenministerin nicht selbst tätig geworden ist. Diese hielt sich auf Nachfrage bedeckt: Ihr Haus prüfe ein Verbot, wolle sich aber vor Abschluss der Untersuchung nicht äußern.
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    Verbot wäre effektives Mittel

    Dabei wäre ein Verbot tatsächlich ein sehr wirksames Mittel zur Verteidigung des Rechtsstaats: Der Verein wäre aufgelöst und jede weitere Tätigkeit - neue Kundgebungen, genauso aber die von "Muslim Interaktiv" äußert planvoll betriebene Nachwuchsgewinnung über Social Media - wäre verboten, eine Beteiligung hieran strafbar. Zusätzlich würde das Vereinsvermögen beschlagnahmt und eingezogen.
    Es gibt sie also, die effektiven Mittel zur Verteidigung des Rechtsstaats. Ob sie jetzt zur Anwendung kommen, entscheidet die Politik - zuvorderst Bundesinnenministerin Nancy Faeser.
    Daniel Heymann, ZDF Redaktion Recht & Justiz

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