Zerstörung in Odessa und Charkiw: Russische "Bruderliebe"

    Aufrüstung gegen Russland:"Peinlich": Experte kritisiert Europäer

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    Wie ist die Lage in der Ukraine? Militärexperte Lange erklärt, wie Russland westliche Artillerie austrickst und warum er in den neuesten Angriffen Moskaus "Frustration" erkennt.

    Ukrainische Soldaten bereiten eine M777 Haubitze vor, bevor sie inmitten des russischen Angriffs auf die Ukraine in der Region Donezk am 01.05.2024 auf russische Truppen feuern.
    Putins Armee hat in kurzer Zeit mehrere ukrainische Orte unter ihre Kontrolle gebracht. Welche Strategie Moskau verfolgt, analysiert Militärexperte Nico Lange bei ZDFheute live. 02.05.2024 | 33:34 min
    Seit Beginn des Ukraine-Kriegs beschäftigt sich der Politikwissenschaftler und -berater Nico Lange mit der militärischen Lage in dem von Russland angegriffenen Land.
    Sehen Sie oben das ganze Gespräch im Video und lesen Sie hier das Gespräch in Auszügen:
    Im Interview mit ZDFheute live spricht Lange darüber...

    ...wie Russland die elektronische Kriegsführung nutzt und Präzisionswaffen austrickst:

    Die Präzisionswaffen der Deutschen und der westlichen Partner funktionieren mithilfe von GPS und sind deshalb sehr genau. "Russland setzt genau da an mit der elektronischen Kriegsführung", sagt Experte Lange. Die Russen seien in der Lage, GPS-Signale zu "jammen", Munition also so zu stören, "dass sie nicht mehr weiß, wo das Ziel ist und deshalb woanders einschlägt".
    Eine weitere Möglichkeit sei das sogenannte "spoofing". "Das heißt, die Munition glauben zu machen, das Ziel sei woanders und dann fliegt sie eben in die andere Richtung und trifft das Ziel nicht."

    Nico Lange
    Quelle: Tobias Koch

    ... arbeitet für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Von 2004 bis 2006 forschte und lehrte er in St. Petersburg. Später leitete er die Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und in den USA. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.

    Die Russen, glaubt Lange, hätten "sehr leistungsstarke Systeme, was diese Techniken angeht". Das beeinträchtige die Effizienz der ukrainischen Artillerie. Möglicherweise könne man bestimmte Munitionsarten mithilfe von Software-Updates oder dem Wechseln von Frequenzen, während die Munition das Ziel suche, gegen diese Manipulationsversuche weniger empfänglich machen.

    Das ist ein ständiger Prozess und leider ist die Präzisionsmunition, die wir an die Ukraine geliefert haben, nicht mehr so leistungsfähig durch diese Störung.

    Nico Lange, Militärexperte

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    ...warum Russland derzeit gehäuft die Stadt Odessa angreift:

    Militärexperte Lange nennt das die die berühmte russische "Bruderliebe", über die es viele dunkle Witze gebe: "'Was ich nicht haben kann, das mach ich dann eben kaputt.'" Dass gerade Odessa und Charkiw - Städte von denen die Russen propagandistisch behaupten, dass die Menschen dort eigentlich Russen seien - so bombardiert würden, lasse aufhorchen.

    Da jetzt die Menschen so zu terrorisieren, alles kurz und klein zu schießen, zu bombardieren, wahllos in zivile Wohnviertel Raketen und Drohnen reinzufeuern... Das ist ja eine merkwürdige Art von Zuneigung, die Russland da versucht auszudrücken.

    Nico Lange, Militärexperte

    Es zeige jedoch auch eine Frustration auf der russischen Seite, so Lange.
    Die Wahrheit sei auch, dass nach über zwei Jahren Krieg mit extremem Aufwand, einer Umstellung der Wirtschaft und harten Sanktionen, Russland keines seiner Ziele erreicht habe. "Kiew ist sowieso nicht erobert worden, aber auch Charkiw, Odessa, die sind nicht unter russischer Kontrolle - und es sieht auch nicht so aus, als würde Russland in absehbarer Zeit in die Nähe kommen, diese Städte zu erobern."
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    Das spiegele sich in dieser "Zerstörungswut" wider.

    ...ob und wie der Krieg bald enden könnte:

    Eine Überlegung in den USA und in Deutschland könnte gewesen sein, die Ukraine dosiert zu unterstützen, so dass Russland seine militärischen Ziele nicht erreiche und der Krieg sich festfahre. "Das ist die falsche Strategie", glaubt Nico Lange.

    Das führt zu einem ganz langen Krieg, wo Putin immer weiter macht, zwar nur langsam vorankommt, aber dann doch vorankommt und die Ukraine - von Osten beginnend - langsam zerstört wird.

    Nico Lange, Militärexperte

    Man müsse die Ukraine so ausstatten, dass sie die Russen unter Druck setzen könnte, sagt Lange. Die stärksten Industriestaaten in Europa seien in der Lage, mehr Rüstungsgüter als Russland zu produzieren.
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    Das wäre ein wichtiges Signal: "Wladimir Putin, du kannst machen was du willst, du kannst nicht gewinnen, wir werden immer mehr produzieren und der Ukraine immer mehr helfen."' Das sei eine Chance, zu Frieden zu kommen.

    Es ist peinlich, dass die Europäer dazu bislang nicht in der Lage scheinen.

    Nico Lange, Militärexperte

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    Das Interview führte ZDFheute-live-Moderator Christopher Wehrmann, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Anna Grösch.
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