Desinformation: Die dreistesten Lügen des Nahost-Krieges

    Desinformation auf Social Media:Gaza-Fakes: Diese Lügen lassen sich entlarven

    von Nils Metzger und Oliver Klein
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    Rund um den Nahost-Konflikt finden in den sozialen Medien zahllose Falschbehauptungen große Verbreitung. Diese sind besonders erfolgreich - und so können sie entkräftet werden.

    Behauptung: Es gab kein Massaker auf einem Musikfestival

    Es ist gewissermaßen die Ur-Lüge der Hamas-Unterstützer: Es habe gar keine oder nur kaum zivile Opfer bei dem Großangriff auf Israel vom 7. Oktober gegeben. Israelische Soldaten seien angeblich die primären Opfer gewesen, so behaupten es führende Hamas-Vertreter immer wieder in Interviews.
    Diese Ur-Lüge schlägt sich in viralen Videos nieder - etwa zu dem Musik-Festival im Süden Israels, wo Hamas mindestens 260 Menschen tötete. In einem massenhaft bei Instagram, Facebook und X geteilten Video wird behauptet: Das Massaker von Reʿim habe nie stattgefunden - es gebe dafür keine Beweise. "Die einzigen Videos, die wir gesehen haben, zeigen Menschen, die auf einem Konzert wegrennen. Es gibt nicht ein einziges Video oder Foto, das belegt, das 250 Menschen auf einem Konzert getötet wurden", heißt es.
    Eine Lüge: Es existieren massenweise Videos des Massakers - von Handys der Opfer, Bodycams der Angreifer selbst, Überwachungskameras und Dashcams. Dazu kommen Berichte und Interviews von überlebenden Augenzeugen, Rettungskräften, Journalisten. Die israelischen Streitkräfte zeigten am 23. Oktober ausländischen Journalisten allein 40 Minuten bis dahin unveröffentlichtes Filmmaterial des Hamas-Angriffs.

    Behauptung: Bild von verbranntem Baby sei fake

    Es ist ein erschütterndes Foto, das der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 12. Oktober bei X verbreitete. Zu sehen: Ein winziger, verkohlter Körper auf einem weißen Tuch. Das Bild zeige ein Baby, das von den "Hamas-Monstern" während der Anschläge am 7. Oktober getötet und verbrannt worden sei, hieß es im Posting dazu.
    Kurz nach der Veröffentlichung des Bildes behaupteten Social-Media-Nutzer - und später sogar der arabische Sender Al Jazeera - das Foto sei durch Künstliche Intelligenz erzeugt worden, also ein Fake. Das hätte eine Analyse mit dem KI-Erkennungstool "AI or Not" ergeben. Mehr noch: Grundlage für den Fake sei das Foto eines süßen Welpen gewesen - dieses Originalfoto sei später manipuliert worden.
    Beitrag von "Al Jazeera Arabic" bei X
    "Al Jazeera Arabic" bei X: "Experten enthüllen die Lüge von Netanjahus Foto", heißt es im dem Posting. Das Foto eines kleinen Hundes sei nachträglich verändert worden. Dabei ist diese Behauptung offenbar selbst eine Lüge.
    Quelle: Al Jazeera Arabic auf X

    Doch dafür gibt es keine Belege. Im Gegenteil: Selbst das Unternehmen hinter "AI or Not" twitterte, das Ergebnis seiner eigenen Software sei "nicht schlüssig". Auch Berkeley-Professor Hany Farid, einer der weltweit führenden Experten für digital manipulierte Bilder, erklärt gegenüber dem Portal "404", das von Netanjahu verbreitete Bild weise keine Anzeichen dafür auf, dass es von einer KI erstellt wurde. Andere Experten äußerten sich ähnlich.
    Dafür gibt es aber eindeutige Hinweise, dass das Bild des Hundewelpen eine Fälschung ist. Der Bildinhalt an sich - ein kleiner Hund in einem Leichensack, dahinter eine Person mit OP-Handschuhen - scheint zumindest ungewöhnlich. ZDFheute analysierte das Foto mit dem Bildforensik-Tool "InVid". Das Ergebnis: Genau an der Stelle, wo der kleine Hund zu sehen ist, zeigt das Tool Unstimmigkeiten - deutliche Hinweise darauf, dass das Bild manipuliert wurde. Erkennbar ist das an farblichen Unterschieden: dunkelgrün beim Welpen und hellgrün im Rest des Bildes.
    Bildanalyse mit InVID und WeVerify
    Links das zu analysierende Foto des Welpen, rechts das selbe Foto in der Analyse der Software InVID. Der sogenannte "Zero"-Filter macht Spuren sichtbar, die auf eine Manipulation hindeuten.
    Quelle: Bildanalyse mit InVID und WeVerify

    "Angesichts der Art dieser Spuren ist es wahrscheinlich, dass die Fälschung mithilfe einer Künstlichen Intelligenz erstellt wurde", erklärt Tina Nikoukhah, Mathematikerin an der Universität Paris-Saclay gegenüber dem Sender "France24" über das Welpen-Bild.

    Behauptung: Die Plattform X bietet glaubwürdige Informationen

    Kein anderer Kanal ist derzeit erfolgreicher auf X, dem früheren Twitter: Der US-Amerikaner Jackson Hickle hatte auf X im vergangenen Monat mit 3,5 Milliarden Aufrufen ein Vielfaches der Reichweite von "CNN" oder der "New York Times". Milliardär Elon Musk betont immer wieder, dass seine Plattform die beste Quelle für "ungefilterte" News sei. Wie Hickle es auf seinen Spitzenplatz geschafft hat? Mit reißerischen Fehl- und Falschinformationen und antisemitischen Aussagen.
    Eine Auswahl der falschen Behauptungen:
    • Die Explosion am Al-Ahly-Krankenhaus habe sich eine Stunde später abgespielt als von allen Medien recherchiert. Darum sei Israel verantwortlich.
    • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe angedroht, im Gazastreifen zu "intervenieren", um den "israelischen Krieg" zu beenden. Das von Hickle genannte Erdogan-Zitat war erfunden.
    Immer wieder verwendet Hickle alte Fotos und Videos, um aktuelle Ereignisse zu beschreiben. Jede dieser falschen Behauptungen hat Millionen Views gesammelt. Hinzu kommt Hickles offene Werbung für die iranische Regierung und ihre Terrormilizen im gesamten Nahen Osten.
    Dass alte Bilder und Videos oft als aktuell ausgegeben werden, geschieht in jedem Konflikt. Viele Nutzer verbreiten ungeprüft alte Aufnahmen - dabei gibt es viele Möglichkeiten, Bilderrückwärtssuchen und andere Werkzeuge, um frühere Versionen eines Medieninhalts im Netz aufzuspüren. Viele der großen Suchmaschinen bieten solche Features an.

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