In Deutschland herrscht Wohnungsmangel: Insgesamt werde es 2023 etwa 700.000 Wohnungen zu wenig geben, sagt ein Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft und Sozialverbänden. Um einen Kollaps auf dem Mietmarkt abzuwenden, brauche es drastische Maßnahmen: Das Bündnis fordert ein Sondervermögen zur Förderung des Wohnungsbaus – ähnlich dem Sondervermögen für die bessere Ausstattung der Bundeswehr. Damit keine Krise eintritt, benötige man 50 Milliarden Euro. Die Lage sei dramatisch.
Dabei hatte sich die Bundesregierung ein klares Ziel gesetzt: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen. Doch die Realität sieht anders aus: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist das reale Bauvolumen 2022 erstmals seit Jahren gesunken, um rund zwei Prozent. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen dürfte auf rund 280.000 gefallen sein, schätzt der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes.
Gerade im Bereich der Sozialwohnungen bleibt die Bundesregierung weit hinter ihren Zielen zurück. Davon wurden im vergangenen Jahr nur rund 20.000 gebaut. Das Absurde: Die jährliche Förderung hat Bauministerin Klara Geywitz (SPD) von einer auf zwei Milliarden Euro erhöht. Gleichzeitig steigen jedoch die Baukosten – und fressen einen Großteil der Förderung gleich wieder auf. Anders gesagt: Mit der gleichen Menge an Förderung können weniger neue Sozialwohnungen gebaut werden als noch vor zwei Jahren.
Dabei werden jetzt vor allem mehr Sozialwohnungen gebraucht, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts und Autor einer neuen Studie unter dem Titel „Wohnen in der Krise“. Er verweist auf die Zuwanderung. Nach 200.000 Menschen im Jahr 2020 und mehr als 300.000 Menschen im Jahr 2021 dürften 2022 etwa 1,5 Millionen Menschen mehr nach Deutschland gekommen als weggezogen sein. „All diese Menschen brauchen Mietwohnungen“, sagt Günther.
Bauministerin Geywitz macht für den Rückstand vor allem die gestiegenen Baukosten verantwortlich. Dies habe es vielen Bauträgern schwer gemacht, neue Projekte zu entwickeln. Dazu kommen die höheren Zinsen für Baukredite, die vor allem privaten Hausbauern zu schaffen machen. Aus der Branche kommt Kritik an der Politik: So ist die klassische Wohnungsbauförderung fast zum Erliegen gekommen. Geld vom Staat gibt es fast nur noch für klimagerechte Sanierungen. Mehr als 13 Milliarden Euro sind dafür in diesem Jahr vorgesehen, sie liegen im Haushalt von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Der Neubau von Privatwohnungen wird dagegen lediglich mit rund einer Milliarde Euro gefördert – aus dem Etat der Bauministerin.
Als wäre das nicht schon genug, spitzt sich die Lage am Wohnungsmarkt immer weiter zu: Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia legt alle für dieses Jahr vorgesehenen Neubauprojekte auf Eis. „Die Inflation und die Zinsen sind enorm gestiegen, und davor können wir nicht die Augen verschließen“, sagte Vonovia-Vorstand Daniel Riedl der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Die Alternative zum Baustopp seien wegen der hohen Kosten deutlich teurere Mietwohnungen. Bei dem in Bochum ansässigen Konzern sprach man von 20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter statt wie früher 12 Euro.
Die wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Caren Lay, kritisierte diese Entscheidung gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland scharf: „Sich auf Vonovia zu verlassen stellt sich als großer Fehler heraus. Profitgetriebene Konzerne sind kein verlässlicher Partner beim Wohnungsbau, sie bauen nur, wenn es sich schnell rentiert.“ Auch aus dem Bauministerium kommt Kritik: „Vonovia kann sich als größtes Wohnungsunternehmen nicht aus der Verantwortung stehlen“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Cansel Kiziltepe (SPD) dem „Handelsblatt“.
Aber auch bei den bestehenden Wohnungen gibt es weiterhin Probleme, besonders mit steigenden Mieten. Laut dem Deutschen Mieterbund wird eine immer größere Zahl von neuen Mietverträgen an die Inflation gekoppelt. In größeren Metropolen seien im Schnitt bei 30 Prozent der Neuverträge im vergangenen Jahr sogenannte Indexmieten vereinbart worden. Für Berlin geht der Mieterbund davon aus, dass sogar bis zu 70 Prozent der neuen Mietverträge eine Indexierung vorsehen, also deutlich mehr als im Schnitt der relevanten Städte. „Viele Vermieterinnen und Vermieter nutzen die Möglichkeiten der Inflationsanpassung bei bestehenden Mietverträgen voll aus und haben ihren Mietern allein im Krisenjahr 2022 die Kaltmiete um bis zu 15 Prozent erhöht“, so DMB-Präsident Lukas Siebenkotten.