Professor Harald Lesch begibt sich auf eine kulinarische Reise in die Zukunft. Wie werden wir unseren „Mordshunger“ im Spannungsfeld zwischen Genuss und Verantwortung stillen können.
Wie schmeckt die Zukunft?
Bis 2050 wird es schätzungsweise über neun Milliarden Menschen auf der Erde geben. Wollen wir in Zukunft alle sättigen, werden wir deutlich mehr Nahrung benötigen. Doch die Erde und ihre Ressourcen sind begrenzt. Schon heute rütteln wir mit unserem Appetit an den planetaren Belastungsgrenzen. Müssen wir unsere Vorlieben gänzlich neu definieren? Oder gibt es Wege, den Genuss zu bewahren und die Umwelt weniger zu belasten?
Quallen auf dem Teller
Unser Fischkonsum hat sich seit den 1990er Jahren fast verdoppelt. Schlemmen wir weiter wie gehabt, wird in den Meeren für uns bald nichts mehr zu holen sein. Doch es könnte eine Alternative geben. Die Ozeane sind voll davon: Quallen. Dr. Holger Kühnhold und sein Team vom Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung setzen auf die Mangrovenqualle. Quallen bestehen hauptsächlich aus Wasser, so auch die Mangrovenqualle. Entzieht man ihnen das gesamte Wasser, lässt sich in der Trockenmasse der Anteil tierischer Proteine und anderer Stoffe, die für unsere Ernährung wertvoll sind, bestimmen. Das Ergebnis: Der Proteinanteil der Trockenmasse liegt zwischen 20 und 50 Prozent. Und Mangrovenquallen enthalten, wie Fische auch, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und Mineralien – wertvolle Bestandteile für eine gesunde Ernährung.
In Asien gelten Quallen schon seit Jahrhunderten als gesunde Delikatesse. Nur müsste man Unmengen von ihnen fangen, um Fisch als Proteinlieferanten global zu ersetzen. Denn zwölf große Quallen haben in etwa den Proteingehalt von 100 Gramm Thunfisch. Aber sollten Quallen unseren Speiseplan ergänzen, müssten sie natürlich auch vor allem eins: schmecken! Nach einer gaumenfreundlichen Lösung wird in Bremen ebenfalls geforscht. Ein mögliches Resultat: hauchdünne Quallen-Chips. Kein Komplettersatz für Fisch. Aber vielleicht eine nährstoffreiche und ökologisch verträgliche Ergänzung.
Fleisch aus dem Labor
Seit Langem versuchen Forschende und unzählige Start-ups, künstliches Fleisch herzustellen: der erste Schritt auf dem Weg zu einer „zellulären Landwirtschaft“. Doch der große Durchbruch lässt auf sich warten. Für ein richtiges Stück Fleisch müsste man faserige Strukturen heranzüchten können. Aber bisher können weder große Mengen, geschweige denn ein richtiges Stück Fleisch im Labor entstehen. Die meisten Entwicklerinnen und Entwickler wollen zunächst die Menge an gezüchteten Fleischzellen steigern. Damit sich die Zellen entwickeln und vermehren können, brauchen sie Nährstoffe und Hormone – ein Nährmedium. Doch ein effizientes Nährmedium ließ sich bisher nur mithilfe von fetalem Kälberserum herstellen, und dafür müssen echte Tiere sterben. Forschende arbeiten daher mit Hochdruck an Alternativen, die sie in Pflanzen, Algen oder Pilzen zu finden hoffen, oder auch mithilfe von Mikroorganismen oder synthetischen Prozesse herstellen. Doch das ist aufwendig.
Und es gibt noch ein ganz grundlegendes Problem, das aktuell die industrielle Produktion von Laborfleisch ausbremst. Die Grundlage für Laborfleisch sind Stammzellen. Man kann sie aus Fleisch oder direkt vom lebenden Tier isolieren. Damit man aber später in der Produktion nicht immer wieder neue Zellen aus Tieren gewinnen muss, bräuchte es Stammzellen mit zwei besonderen Eigenschaften: Sie müssten sich zu Muskel- oder Fettzellen verwandeln lassen und unbegrenzt vermehrbar sein. Doch auch diese Entwicklung ist sehr aufwendig und damit teuer. Fleisch aus dem Labor, das auch so schmeckt wie ein Steak, bleibt so lange ein Versprechen, bis sich alle Hürden überwinden lassen. Ob das jemals gelingen wird, können auch die Forschenden nicht mit Sicherheit sagen.
Käse von der „Kuh aus Stahl“
Rund ein Viertel der nahrungsbedingten Emissionen gehen allein auf das Konto von Milch, Käse & Co. Denn bei der Verdauung setzt eine Kuh über 110 Kilo Methan im Jahr frei. Auch Ammoniak und Stickstoff aus der Gülle tragen dazu bei, dass industriell erzeugte Milchprodukte ein Problem für unsere Umwelt sind. Die Forschenden des belgischen Start-ups „Those Vegan Cowboys“ in Gent wollen das mit Margret, der Kuh aus Stahl, ändern. Ihre Anlage soll keine tierfreie Milch produzieren, sondern nur ein bestimmtes Eiweiß, das Casein. Dieses Protein kommt in hoher Konzentration in der Milch vor und macht die Produktion von Käse überhaupt erst möglich.
In der Natur können nur Säugetiere Casein erzeugen. Im Labor gelingt es mit einem „Trick“: Die Forschenden verändern dafür die Erbinformation eines Pilzes, sodass auch er das gewünschte Eiweiß produziert. Die Kuh aus Stahl, ein Bioreaktor, liefert optimale Bedingungen für das Wachstum des Pilzes – und die Produktion des Caseins. Der Vorteil: Die Forschenden können das Casein direkt und kontrolliert herstellen. Frei von tierischen Beiprodukten wie Laktose, Cholesterin, und auch frei von Hormonen und Antibiotika. Von der gentechnisch veränderten Pilzmasse wird das Protein schließlich sauber getrennt. Der Pilz bleibt im Sieb zurück. Jetzt fehlen nur noch Calcium und Phosphat, die sonst in der Milch enthalten sind, damit das Casein spezielle Strukturen bilden kann und sich – durch Zugabe eines bestimmten Enzyms – verfestigt. Es entsteht Käsebruch. Dieser könnte nun in jeder Käserei wie herkömmlich zu Käse weiterverarbeitet werden.
Soldatenfliegen als Tierfutter
Jedes Jahr landen unzählige Tonnen Lebensmittel im Müll und damit auch wertvolle Ressourcen. Ließen sie sich vielleicht bewahren? Am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf setzt man auf einen tierischen Helfer: die Schwarze Soldatenfliege. Die Larven dieser Fliegenart fressen sich an Lebensmittelresten voll. Wenn man sie als proteinreiche Nahrungsquelle für andere Tiere nutzen würde, hätte man eine Art biologisches Recycling von Lebensmittelresten. Einsetzen ließen sich die Larven zum Beispiel als Direktfutter für Hühner. So wäre vielleicht weniger Sojaschrot aus dem Ausland nötig, und die Essensreste von gestern hätten so eine Zukunft im Brathühnchen von morgen.