Corona: Was weiß die Wissenschaft?

Startpunkt der Coronapandemie war die chinesische Millionenstadt Wuhan. Als mögliche Virusquelle haben einige Forscher das Pangolin im Verdacht: das einzige Säugetier der Welt, das mit Schuppen bedeckt ist. Dass Schuppentiere Coronaviren in sich tragen können, war schon vorher bekannt. Möglich also, dass der Übertragungsweg vom Pangolin auf den Menschen führte. In Wuhan gibt es, wie in vielen anderen Orten Asiens, Wildtiermärkte, auf denen Tiere lebendig verkauft werden. Allein schon durch den engen Kontakt können Viren von Tieren auf den Menschen überspringen.
In einigen Studien haben Forscher Pangoline aus verschiedenen Regionen untersucht. Und tatsächlich findet sich in den Schuppentieren ein Coronavirus, das dem menschlichen SARS-CoV-2 ähnelt. Durch Mutationen verändert ein Virus sein Erbgut ständig. Diese Unterschiede in der Gensequenz nutzen Forscher, um Stammbäume der Viren aufzustellen. So können sie den Ursprung von neu entdeckten Viren zurückverfolgen. Um zu klären, ob das Pangolin der direkte Überträger des Virus ist, haben Forscher das vollständige Erbgut des Coronavirus im Pangolin mit dem menschlichen Coronavirus verglichen. Bisherige Studien kommen zu einer rund 90-prozentigen Übereinstimmung. Das klingt nach viel, ist aber zu wenig, um das Pangolin als direkten Überträger auf den Menschen eindeutig zu identifizieren. Das Pangolin bleibt zwar im engsten Kreis der Verdächtigen. Aber vieles ist noch unklar. Pangoline, die mit Coronaviren infiziert sind, zeigen selbst Krankheitssymptome. Ein Hinweis, dass sie nicht das natürliche Reservoir der Viren sind. Es muss noch eine andere Quelle, einen anderen Ursprung für das Virus geben.

Bildquelle: Reuters

Weltweit gibt es rund 1.000 Arten von Fledermäusen und Flughunden. Forscher sind weltweit unterwegs, um die Fledertiere auf Viren zu untersuchen. Dabei sind sie auf eine erstaunliche Diversität an Coronaviren gestoßen. Und auf viele weitere Viren, die für den Menschen teils schon gefährlich geworden sind wie SARS, Tollwut, Mumps, Hanta, Nipah und Ebola. Dass ausgerechnet die Fledertiere eine Brutstätte für Viren sind, hängt mit der Populationsgröße einiger Arten zusammen. Durch das enge Zusammenleben können sich die Viren schnell ausbreiten. Und Fledertiere sind eine Art Trainingscenter für Viren. Das Immunsystem der Tiere ist so stark, dass sie auch bei massivem Befall überleben. Nichts ist besser für ein Virus als ein Wirt, der trotz massivem Virenbefall nicht stirbt. Wie genau das Super-Immunsystem der Fledertiere funktioniert, ist noch unklar. Aber ein Faktor unterscheidet Fledertiere von allen anderen Säugetieren: Sie können fliegen. Zu fliegen, bedeutet für den Organismus eine absolute Extremsituation. Säugetiere sind üblicherweise bekannt dafür, dass sie ihre Körpertemperatur konstant halten. Aber bei Fledertieren steigt die Körpertemperatur im Flug von 37 auf 41 Grad Celsius. Der Stoffwechsel arbeitet dann auf Hochtouren. Möglich, dass die Fähigkeit, diese Extremsituation zu überleben, auch bei der Virenabwehr hilfreich ist.

Der Mensch dringt immer weiter in die Lebensräume der Fledertiere vor. In Afrika und Asien gelten die Tiere mancherorts sogar als Delikatessen. Auf diesem Weg ist schon so mancher tödliche Krankheitserreger auf den Menschen gesprungen. Die Nähe von Wildtieren und Menschen ist wie eine Einladung an die Erreger, neue Wirte zu erobern. Auch die jetzige Pandemie, die im chinesischen Wuhan ihren Ausgang genommen hat, ist eine menschengemachte Krise. Märkte mit unhygienischen Verhältnissen und Wildtieren im Angebot sind wahre Brennpunkte für die Entstehung neuer Krankheiten. Genanalysen bestätigen: Fledertiere sind die wahre Ursprungsquelle des aktuellen Virus. Theoretisch könnte es direkt den Sprung zum Menschen gemacht haben. Vieles spricht auch für das Pangolin als Zwischenwirt. Aber auch ein anderes, noch unbekanntes Tier wäre als Überträger denkbar. Ganz gleich, was sich am Ende als die tatsächliche Infektionskette erweist: Klar ist, dass das wahre Problem nicht in der Natur liegt. Weder das Pangolin noch die Fledermaus ist schuld an der jetzigen Misere.

Im März 2003 breitet sich von Honkong ausgehend ein gefährliches Virus aus: Die Erkrankung wird als Schweres akutes respiratorisches Syndrom bezeichnet – kurz SARS. Eine oft tödlich verlaufende Lungenerkrankung. Die Symptome weisen auf eine Virusinfektion hin: hohes Fieber, starker Husten und Muskelschmerzen. Die Patienten bekommen nur schwer Luft, benötigen künstliche Beatmung. Für die Wissenschaft ein Rätsel, bis sie entdecken – es ist ein Coronavirus. Bisher kannte man Coronaviren nur als harmlose Erreger, die einfache Erkältungen auslösen. Hilflos steht man der Ausbreitung des noch unbekannten Coronavirus gegenüber. Die einzige Waffe ist Prävention. Denn obgleich unser Immunsystem die einfachen Corona-Erkältungsviren schon lange kennt, ist unsere körpereigene Abwehr auf das neue SARS-Coronavirus nicht vorbereitet – und das macht es so gefährlich.
Die Suche nach seinem Ursprung führt die Forscher nach Guangdong, einer chinesischen Provinz. Ihre Vermutung: Auf einem Markt könnte das SARS-Coronavirus von einem Wildtier auf den ersten Patienten übertragen worden sein. Nach zahllosen Tests stellt sich heraus: Die Zibetkatze, eine Schleichkatzenart, trägt SARS-Coronaviren mit nahezu 100-prozentiger Übereinstimmung zu den bei Menschen gefundenen Viren. Wissenschaftlern gelingt es schließlich, den genauen Weg des Erregers der ersten Coronapandemie 2003 zu rekonstruieren: von einer Fledermaus zur Zibetkatze. Von dort gelingt dem Virus der Sprung über die Artengrenze zum Menschen. Nachfolgend wird es auch von Mensch zu Mensch übertragen.

Im Vergleich zu SARS breitet sich das aktuelle SARS-Coronavirus-2 schneller aus. Wo liegt der Unterschied? Tatsächlich verlaufen die Infektionswege sehr ähnlich: durch Tröpfcheninfektion beim Husten oder Schmierinfektion. Warum ist die Übertragung des SARS-Coronavirus-2 trotzdem so viel effizienter? SARS-Coronaviren nehmen immer den Weg in die Lunge. Sie vervielfältigen sich in den Lungenzellen. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei dem ACE2-Rezeptor der Zellen zu: Ein Coronavirus heftet sich mit seinem Spike-Protein an das ACE2-Protein. Dadurch wird eine Interaktion ausgelöst, die dem Virus Einlass in die Zelle verschafft. Entscheidend für eine schnelle Vervielfältigung der Viren ist, dass Lungenzellen sehr viele ACE2-Rezeptoren tragen. Das Besondere am SARS-Coronavirus-2 ist nun, dass es sich bereits im Rachenraum, also den oberen Atemwegen, vermehren kann, obwohl die Wirtszellen hier weniger ACE2-Rezeptoren aufweisen. Wissenschaftler vermuten, dass das SARS-Coronavirus-2 diese effektiver nutzt. Die Pforte öffnet sich dadurch leichter und verschafft dem Virus Zugang zur Zelle. Die Übertragungswege vom SARS-Coronavirus-2 sind in der Folge kürzer – und damit effektiver.

Es ist eine der größten Erfolgsgeschichten der Medizin. In einer internationalen Kampagne zogen Ärzte der WHO 1967 rund um die Welt. Ihr Ziel: mit einem Impfstoff die Pockenkrankheit zu besiegen und alle menschlichen Pockenerreger auf der Welt auszurotten. Die Hilfsteams reisten in die entlegensten Winkel. Es galt, schneller zu sein als ein Virus, das sich schon über Husten verbreiten kann. Die Ärzte stöberten jeden Seuchenherd auf und impften alle durch eine Infektion gefährdeten Menschen. Tatsächlich schafften sie es, schneller als die Pocken zu sein. Nach zehn Jahren war es so weit. Die Ärzte entdeckten auch noch den letzten Pockenkranken – in Somalia. Der letzte Zeuge sozusagen, denn er hat die Infektion überlebt.

Auf der Suche nach einem Medikament gegen das neue Coronavirus testen Forscher weltweit Wirkstoffe, die gegen andere Viren wirken, wie Influenza- oder HI-Viren. Denn ein völlig neues Medikament zu entwickeln, ist ein langwieriger Prozess. Das Problem: Die neuen Coronaviren besitzen, wie alle Viren, keinen eigenen Stoffwechsel. Sie kapern Zellen und nutzen deren Stoffwechsel, um sich zu vermehren. Deshalb ist es schwer, das Virus im Körper eines infizierten Menschen anzugreifen, ohne dabei die menschlichen Zellen zu schädigen.

Ein Forschungsteam aus der Berliner Charité-Universitätsklinikummedizin und dem Deutschen Primatenzentrum in Göttingen hat ein potenzielles Medikament ausfindig gemacht. Es ist bereits gegen eine andere Krankheit zugelassen und könnte daher relativ schnell zum Einsatz kommen. Die Infektionsbiologen haben herausgefunden, wie das neue Coronavirus in Zellen eindringt. Dabei haben sie Angriffspunkte für Medikamente entdeckt. Ein schwerer Krankheitsverlauf bedeutet, dass die Viren ihr Erbgut in Lungenzellen eingeschleust haben. Das Virus dockt dazu an dem ACE2-Rezeptor der Zelle an. Dann aktiviert ein spezielles Protein das Virus. Damit gelangt  die Erbinformation in die Zelle und programmiert sie um – zur „Virenfabrik“. Die Elektronenmikroskopaufnahme zeigt, wie neue Coronaviren eine gekaperte Zelle verlassen. Der Therapieansatz zielt nun auf das aktivierende Protein. Es gibt bereits ein Medikament, das dieses Protein hemmt: Camostat verhindert so das Eindringen des Virusgenoms – zumindest in Labortests. Das Medikament ist in Japan zugelassen – gegen Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. In Zellkulturen scheint Camostat Erfolg versprechend. Doch es fehlen klinische Studien, um die Wirksamkeit im Patienten zu belegen.

Mit der Substanz Remdesivir der Firma Gilead laufen dagegen bereits Patientenstudien in den USA, China und bald auch in Deutschland. Der Wirkstoff wurde gegen Ebola-Infektionen entwickelt, in einer Patientenstudie überzeugte er gegen Ebolaviren jedoch nicht. In Zellkulturen hat die Substanz allerdings die Vermehrung des neuen Coronavirus gehemmt. Ob Remdesivier auch in infizierten Patienten wirkt und zudem sicher ist, muss sich erst noch in den klinischen Studien zeigen. Wann sie abgeschlossen sein werden lässt sich noch nicht absehen.

Es sind weitere Arzneistoffe bekannt, die in Zellkultur das neue Coronavirus hemmen, darunter auch das Malariamittel Chloroquin. Auch zu diesem Medikament sind weltweit klinische Studien angelaufen. Sie müssen zeigen, ob das Mittel auch in Patienten gegen das SARS-CoV 2 wirkt und keine schweren Nebenwirkungen verursacht. 
Bis zur Entwicklung eines wirksamen Medikaments gilt es, die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich einzudämmen und Patienten mit schwerem Verlauf der Infektion mit den bislang zur Verfügung stehenden Methoden zu behandeln.

Bildquelle: NIAID-RML

Die Spanische Grippe forderte doppelt so viele Todesopfer wie der Erste Weltkrieg. Es ist der 4. März 1918: Ein Geflügelzüchter in Kansas, USA, geht seiner Arbeit nach. Unbemerkt hat das Grippevirus seine Tiere befallen. Durch den engen Kontakt mit den Tieren springt das Virus vermutlich auf ihn über. Die Pandemie beginnt. Patient null, Albert Gitchell, wird kurz darauf in das Ausbildungscamp Funston eingezogen und als Koch eingeteilt. In dem Lager mit 56.000 Soldaten werden in den ersten drei Wochen 1.100 Rekruten krank. 38 Soldaten sterben. Die Soldaten ziehen in den Krieg nach Europa – an die Westfront. In den Schützengräben breitet sich das Grippevirus ungehindert aus. 40 Tage nachdem sich Albert Gitchell angesteckt hat, gibt es bereits 20 Millionen Infizierte und 20.000 Tote.

Am 17. September 1918, ein halbes Jahr nach der Infektion von Patient null, wird in Philadelphia, USA, der erste Fall dokumentiert. Elf Tage später drängen sich bei einer Parade 200.000 Schaulustige in den Straßen. Nach einer Woche sind 45.000 Menschen in Philadelphia infiziert. Nach sechs Wochen ist die Stadt durchseucht. Die Todesrate geht zurück. Aber mehr als 12.000 Menschen in Philadelphia sind tot.

Ganz anders in St. Louis: Als am 5. Oktober 1918 der erste Grippefall in der Stadt gemeldet wird, wird innerhalb von zwei Tagen Quarantäne verordnet. Schulen, Versammlungen, Bars und Schwimmbäder schließen. Durch die schnelle Reaktion  und die Anzahl der Maßnahmen verläuft in St. Louis die Kurve der Todesrate deutlich flacher. Doch noch etwas zeigt die Analyse der Fallzahlen: Nach dem Ende der isolierenden Maßnahmen kommt es zu einem zweiten Peak, der jedoch viel schwächer ausfällt. In St. Louis gibt es insgesamt „nur“ 700 Tote. Gegen die Spanische Grippe gibt es damals keine Medikamente. Neben Hygienemaßnahmen nur sogenannte „nicht pharmazeutische Interventionen“ wie Versammlungsverbote und Schulschließungen.

60 bis 70 Prozent der Bevölkerung im Land müssen sich infizieren, damit die Seuche zum Erliegen kommt – so die Prognose der Experten. Der Prozentsatz weist auf eine Schwelle hin, ab wann sich ein Virus nicht mehr weiter verbreiten kann, weil ein hoher Anteil in der Bevölkerung dagegen immun geworden ist – sei es durch Infektion oder durch Impfung. So entsteht auch ein Schutz für die Nichtinfizierten.

Doch wie kommt diese Zahl eigentlich zustande? Entscheidend für die Berechnung ist die Basisreproduktionszahl R (0). Diese Zahl sagt aus, wie viele Menschen ein Infizierter im Mittel in der Bevölkerung ansteckt – wenn keiner immun ist. Jede Infektionskrankheit hat eine charakteristische Reproduktionszahl. Für COVID-19 beträgt sie zum Beispiel 3. Sprich: Von einem Infizierten werden im Durchschnitt drei Personen angesteckt. Ohne Impfschutz und Immunität würde die Erkrankung ungebremst voranschreiten und die Fallzahlen immer schneller ansteigen. Das Ziel: Jeder Infizierte soll möglichst nur einen, bzw. weniger als einen weiteren Menschen anstecken, damit die Fallzahlen konstant bleiben oder zurück gehen. Um die Anzahl der Neuinfektionen von drei auf eine pro Überträger zu reduzieren, dürfen zwei potenzielle Infektionen nicht stattfinden, zwei von drei – also zwei Drittel (66 Prozent) immun werden. Eben jene besagten 60 bis 70 Prozent.