Nach zwei Jahren in der Bundesliga spielt der SV Darmstadt 98 in der kommenden Saison wieder zweitklassig. Das ist aber nicht das größte Problem der "Lilien": Der Stadionbau ist ins Stocken geraten - die Zeit drängt.
Am Montagmorgen liefen die Telefone von 98-Präsident Rüdiger Fritsch wieder einmal heiß. Steht er tatsächlich vor einem Wechsel zur TSG Hoffenheim? Das Dementi folgte fast so schnell wie die Eilmeldungen der "Bild" und der Deutschen Presse-Agentur. "Es gab mit keinem Verein Kontakt oder Gespräche", stellte Fritsch klar. Hoffenheims Mediendirektor Christian Frommert sprach von "einer der dicksten Enten, die in letzter Zeit in den TSG-Teich gesetzt wurden".
Fritschs Dementi
Ein Weggang Fritschs zu diesem Zeitpunkt käme einem Exitus für die 98er nahe. Zu sehr ist Fritsch in die heikle Stadionthematik involviert, zu stark ist der erfolgreiche Abschluss der Gespräche zwischen Verein, Stadt und Liga-Verband (DFL) mit dem Namen des nimmermüden Vereinsbosses verbunden. "Wenn es hoffnungslos wäre, wäre ich nicht mehr da", sagt der 55-Jährige im Gespräch mit dem ZDF.
Ungeachtet dessen bleibt die Lage am Darmstädter Böllenfalltor-Stadion angespannt. Den Lilien läuft allmählich die Zeit davon. Bis zum 15. Juli soll der Verein der DFL einen "überzeugenden Masterplan für einen Stadionneubau" präsentieren.
Der Wille ist da, die Situation vertrackt
Die Umsetzung dieser Vorgabe hat Darmstadt 98 jedoch nicht selbst in der Hand - und das nicht nur, weil sich die 1921 errichtete Spielstätte am "Bölle" seit 1988 in städtischem Besitz befindet. Der Wille, etwas zu ändern, ist da. Die baurechtliche Lage ist mit "verfahren" allerdings noch fair beschrieben.
Nach dem sensationellen Durchmarsch der Lilien von der dritten Liga ins deutsche Oberhaus vor zwei Jahren hatten Klub und Kommune eine Komplettsanierung des "Bölle" vorgesehen - und ein Bauleitverfahren in die Wege geleitet. Das Lärmschutzgesetz und die Parkplatzsituation rund um das Stadion, das an ein Wohnviertel grenzt, machten dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Im Juli 2016 wurde das Bauleitverfahren für ruhend erklärt.
Das rief die DFL auf den Plan. Der Liga-Verband, der Darmstadt 98 die Lizenz seit Jahren nur unter der Prämisse erteilt, dass ein Um- oder Neubau in absehbarer Zeit zustande kommt, setzte dem Klub diesmal einen neuen Masterplan als Lizenzauflage auf - für Fritsch eine legitime Forderung angesichts der ins Stocken geratenen Gespräche. "Das ist auch ein Glaubwürdigkeitsthema", findet der Lilien-Präsident.
Obsolete Forderungen
Alternativ verlangt die DFL, dass die Gegengerade im Böllenfalltor-Stadion bis zum 31. Januar überdacht wird - gemäß einer Neuregelung in den DFL-Statuten, die im vergangenen Jahr von allen Erst- und Zweitligisten bis auf Darmstadt 98 abgesegnet wurde. Die Forderung ist in jeder Hinsicht obsolet: Die Gegentribüne ist auf Kriegsschutt gebaut und würde den statischen Anforderungen mitnichten genügen.
Dieser Teil der Auflage sorgte für viel Aufruhr - Fritsch hält sie aber nur für ein Mittel zum Zweck. "Für acht Millionen ein Dach auf der Gegengerade zu bauen, macht wirtschaftlich keinen Sinn. Dasselbe Geld kann man auch in einen adäquaten Neubau investieren", sagt der Rechtsanwalt. Auch Daniel Klose von der Stadt Darmstadt erläutert: "Es hätte wenig Sinn, jetzt mit einer Baumaßnahme vorzupreschen, wenn bald womöglich ein kompletter Umbau ansteht." Die DFL erklärte auf Nachfrage, sich "grundsätzlich nicht zu laufenden Lizenzierungsverfahren" zu äußern.
Jonathan-Heimes-Stadion am Böllenfalltor
- Erbaut: 1921
- Zuschauerrekord: 30.000 (15. August 1981 beim 1:2 gegen Bayern München)
- Kapazität (Bundesliga): 17.468 Zuschauer
- Renovierungen: Erste Umbaumaßnahmen am „Bölle“ gab es 1952.
- Die überdachte Haupttribüne wurde 1975 eingeweiht, die Flutlichtanlage kam 1981.
- Nach dem Zweitliga-Aufstieg 2014 entsprach das Stadion noch nicht den DFL-Auflagen: Dafür mussten unter anderem ein neuer Rollrasen verlegt und eine Rasenheizung installiert werden.
- Nach dem Bundesliga-Aufstieg 2015 wurde vor allem dem erhöhten Medieninteresse Rechnung getragen, unter anderem mit zusätzlichen Plätzen für Medienvertreter, einem zweiten Presseraum, einer größeren Mixed Zone und einem Kameraturm.
- Im Herbst 2016 wurden die Südtribüne (3698 überdachte Stehplätze) und die Nordtribüne (2812 überdachte Sitzplätze) renoviert. Dabei handelt es sich um Stahlrohrkonstruktionen, die innerhalb weniger Wochen aufgezogen wurden.
Frankfurt oder Offenbach? Nein, Danke
Der Worst Case sieht vor, dass die Lilien im Frühjahr in ein anderes Stadion umziehen müssen. Die Benennung eines Ausweichstadions sehen die DFL-Auflagen explizit vor. Die Opel-Arena im rheinland-pfälzischen Mainz scheidet laut Fritsch aus polizeirechtlichen Fragen aus - bleiben also nur noch die Standorte Frankfurt und Offenbach.
"Aber welcher Darmstädter hat denn Lust, nach Offenbach zu fahren? Das ist ein Identitätsverlust und hätte einen Zuschauerschwund als Folge. Sponsoren würden ihre Konsequenzen ziehen, wir müssten das Stadion anmieten und vieles mehr", sagt Fritsch - und warnt vor den existenzbedrohlichen Mehrbelastungen: "Das würde der Verein doch gar nicht durchhalten. Bayern München vielleicht, aber nicht wir."
Das Eintreten dieses Szenarios hält Darmstadts Präsident indes nicht für realistisch: "Wir brauchen nicht über Dinge zu reden, die wahrscheinlich nicht eintreten werden."
Tatsächlich gibt es auch Grund zur Zuversicht. Im Dezember beauftragte die Stadt Darmstadt das Frankfurter Architekturbüro "Albert Speer & Partner" mit der "detaillierten kritischen Bewertung" von vier möglichen Standorten für die Arena: in Arheilgen, Eberstadt-West, am Gehaborner Hof und südlich der B26. Die Ergebnisse dieser Analyse sollen bis Mitte Juni vorliegen. Danach bleiben vier Wochen, um den Masterplan fertigzustellen.
Noch lebt das „Bölle“
Unterdessen hält eine vom Bund geänderte Sportstättenlärmschutzverordnung den bei den Anhängern so beliebten Standort Böllenfalltor noch am Leben. "Die Angst vieler Fans ist, dass irgendein seelenloser Betonklotz außerhalb der Stadt kommt", sagt Markus Sotirianos, Vorsitzender der Fan- und Förderabteilung der Südhessen: "Die Ängste sind da und müssen ernstgenommen werden."
Spätestens an dieser Stelle wird die Stadionthematik emotional. Zugeständnisse der Stadt sind dem Darmstädter Anhang nicht neu. "Schon in den frühen 00er Jahren stand ein Oberbürgermeister in der Kurve und hat versprochen, dass sich etwas tut", weiß Sotirianos.
"Bausubstanz ist der Gegner"
Fritsch versucht sich als Schlichter zwischen Fans, Stadt und DFL. "Die DFL ist ja kein Monster und hat kein Interesse daran, Vereine aus dem Wettbewerb zu drängen. Der Gegner ist nicht die DFL, sondern die Bausubstanz unseres Stadions", schildert der Vereinsboss - fügt aber hinzu: "Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass sich etwas tun muss. In den letzten drei Jahren wurde versucht, den Umbau am alten Standort umzusetzen. Dafür ging viel Zeit drauf. Aber manchmal arbeitet man unter Druck ja auch besser."