Die Tricks der Kosmetikindustrie
Folge 15 und dieses Thema ist wirklich schön! Der Philosoph George Santayana sagte, in uns Menschen stecke
Und überall schmücken oder modifizieren Menschen ihre Körper, auch der Schönheit wegen. Das scheint ein kulturübergreifendes, menschliches Verhalten zu sein. Eigentlich cool irgendwie. Aber wenn man dazu ein bisschen Kapitalismus und Sexismus aufträgt, können schnell gefährliche Extreme entstehen.
Der Umsatz des globalen Kosmetikmarkts wurde zuletzt auf über 400 Milliarden Dollar jährlich geschätzt. (MTX2)
Fast so hoch ist der Umsatz der Automobilindustrie allein in Deutschland. (MTX15) Aber überlegt mal. Ein Neuwagen kostet im Schnitt rund 38.000 Euro (MTX8). Ein neuer Mascara kostet irgendwas zwischen 2,50 und 20 Euro. Da kriegt ihr mal ne Vorstellung wie viel Mascara und Co gekauft wird, um auf solche Milliardenumsätze zu kommen.
Einer Umfrage zufolge finden sich 53% aller Frauen ohne Kosmetik unattraktiv und haben Angst, krank auszusehen (MTX13). L’Oréal-Gründer Eugène Schueller, übrigens auch großer Hitler-Fan, soll seinen Händlern damals den Tipp gegeben haben: "Sagt den Leuten, dass sie hässlich sind." Funktioniert offensichtlich bis heute und nicht nur beim Make-Up.
(MTX12), (MTX11), (MTX9), (MTX2), (MTX3)
Wenigstens haben die Haare an unseren Beinen wenig Funktion, es schadet also erstmal nicht, wenn man sie sich rasiert. Richtig bescheuert wird’s aber, wenn wir uns gegenseitig einreden, dass sehr gute und nützliche Körperfunktionen gar nicht gehen - zum Beispiel Schwitzen.
Deos gehören zu den am häufigsten genutzten Kosmetikartikeln. Dazu zählen auch Antitranspirantien, die Aluminium enthalten. Die sind nach aktueller Studienlage (MTX4) zwar nicht gefährlich, aber dumm. Aluminium wirkt nämlich, indem es unsere Schweißporen verstopft. Das verhindert das Schwitzen - und damit auch die Abkühlung. Nichts gegen die Geruchsmaskierung von Deos, die lob ich mir, aber dass man ernsthaft unprofessionell wirkt, wenn man mit sichtbaren Schweißflecken einen Vortrag hält - ist doch bescheuert.
Aber die Kosmetikindustrie lebt halt davon, dass wir völlig normale Körpermerkmale als abartig und hässlich empfinden. Zum Glück hat die Kosmetikindustrie so viele Lösungen für alle unsere "Probleme". Und je verbreiteter ein "Problem" ist, desto mehr Geld kann man damit machen.
Aber liebe Männer, die Kosmetikindustrie hat euch auch im Visier. Die ersten Deos waren noch reine "Frauenprodukte". Aber irgendwann hat die Kosmetikindustrie verstanden: Was ist besser, als Deo an die Hälfte der Bevölkerung zu verkaufen? Deo an die GESAMTE Bevölkerung zu verkaufen.
Halten wir fest: Schönheitsstandards und Rollenbilder werden immer wieder aufbrechen und sich verändern. Was sich aber so schnell nicht ändern wird, ist das Bedürfnis, Produkte zu kaufen, um uns schöner und damit wohler zu fühlen und das spiegelt sich in einem Markt mit wachsender Prognose. (MTX17)
Aber wenigstens dürfen Kosmetikprodukte laut Artikel 20 Absatz 1 der EU-Verordnung über kosmetische Mittel keine Merkmale oder Funktionen vortäuschen, die sie nicht besitzen. (MTX1)
Kosmetikhersteller betreiben allerdings erschreckend oft nichts als Science-Washing.
Der Kosmetikmarkt ist voll von wissenschaftlich klingenden Werbeversprechen, kurz Claims:
1. Nichtssagende Testsiegel
"Dermatologisch getestet" oder sogar "Klinisch getestet". Weckt Vertrauen und den Anschein einer sorgfältigen Prüfung. Aber: "Dermatologisch getestet" heißt erstmal nur, dass ein Test unter Aufsicht einer Dermatologin durchgeführt wurde. Und wenn keiner Ausschlag kriegt, hat man sich so ein Siegel schon mal verdient. (MTX6)
"Klinisch getestet" dass Menschen - wie viele ist nicht vorgeschrieben - sich das Zeug ein paar Tage lang auf die Haut schmieren. Über die Qualität des Produktes sagt das aber gar nichts aus (MTX6, S. 12).
Was bei dem Test rauskam, ist dabei total egal, Hauptsache es WURDE getestet.
2. Sinnlose Zahlen
Zahlen machen jeden Werbeclaim besser.
Ein Shampoo macht die Haare zum Beispiel "zwei Nuancen" heller. Was eine Nuance jetzt genau sein soll, sagt einem niemand, aber es klingt, als hätte mal jemand nachgemessen.
3. Nichtssagende Laborstudien
Es gibt einiges an dermatologischer Forschung, vieles davon ist auch total legit - wird aber oft falsch interpretiert. Einer der häufigsten Fehler: Ergebnisse aus Laborstudien nehmen und auf die alltägliche Praxis übertragen.
Beispiel Retinol. Gehört zur Vitamin-A-Klasse und hat sich in unterschiedlichen chemischen Versionen in Anti-Aging-Cremes und Co. etabliert. Denn es gibt methodisch korrekte, wissenschaftliche Studien, in denen ein positiver Effekt von Retinol auf die Hautalterung festgestellt wird. Allerdings nur unter bestimmten Laborbedingungen, etwa hoch konzentriert (MTX10), dass es in der Praxis verschreibungspflichtig wäre, weil unter anderem die Haut gereizt wird. Retinol wirkt also, aber nicht automatisch in der Menge, die in Kosmetikprodukten enthalten ist
Fehlende Kontrollgruppe
Um zu testen, ob etwas wirkt, braucht man irgendeine Art von Kontrollgruppe. Bei einer Antifalten-Creme müsste man eine Kontrollgruppe haben, die eine "Placebo-Creme" bekommt, also eine normale Creme ohne Anti-Falten-Wirkstoff.
Man kann auch eine Gesichtshälfte mit Anti-Faltencreme eincremen, die andere mit normaler Creme. Ohne diesen Kontrollvergleich ist es ziemlich einfach, vermeintlich positive Ergebnisse zu erhalten.
Wenn also auch eine x-beliebige, billige rückfettende Creme schon Feuchtigkeit und Elastizität spendet, muss genau damit ein Kontrolltest gemacht werden, weil ich sonst gar nicht sagen kann, obs wirklich an den tollen Wirkstoffen liegt, die auf der Verpackung beworben werden, oder einfach nur am Fett.
Gleiches Problem bei einem Cellulite-Öl von Weleda, dessen Geheimnis in den "jungen Blättern der Birke" stecken soll, die "voller Wirkstoffe" sind. Wie sonst will man sich die Testergebnisse von 22% strafferer und 21% glatterer Haut nach 28-tägiger Anwendung (MTX18) erklären? Am Telefon haben sie uns dann doch zumindest eingeräumt, dass es auch hier keinen Kontrolltest gab, aber – sie hatten eine gute Ausrede: Kontrollgruppen seien "in der Branche nicht üblich". Und da muss man ihnen komplett Recht geben. Wir haben uns wirklich viele Produkte angeschaut und die Hersteller angeschrieben - und kein einziges Produkt wurde mit einem Kontrollprodukt verglichen. Wäre ja auch zu ärgerlich, wenn das eigene teure Produkt nicht besser abschneiden würde, als eine x-beliebige 08-15-Creme.
Insgesamt haben wir bei 19 Kosmetikprodukten von 14 Herstellern nachgefragt, wie sie zu ihren wissenschaftlich klingenden Claims kommen.
Beim Cellulite-Birkenöl zum Beispiel:
Da haben wir nachgefragt, was denn jetzt tiefer liegend bedeuten soll. Tiefer als was? Und die Firma hat auch sofort reagiert – indem man die Stelle auf der Website geändert hat… und zwar komplett. Uns hat man geantwortet, die Aussage, "dass das Öl Hautschichten erreiche, die von anderen Produkten nicht erreicht werden, ist kein freigegebener Produktclaim und hätte nicht veröffentlicht werden dürfen". Ups, ein Fehler! Kann ja mal passieren. Gut, dass wir nachgefragt haben.
Oder beim Niaciamide Booster von Colibri Skincare:
Da haben wir mal nachgefragt, was denn eine normale Porenform ist. Und auch da hat man sofort reagiert – indem man die Website geändert hat. Zu:
Joa, KANN schon sein.
Abgesehen von L’Oreal haben uns alle geantwortet, weil wir aber leider nicht die Zeit haben, auf jede Mail hier in der Sendung einzugehen, haben wir alles für euch gesammelt. Und zwar unter: www.porenhub.de
Es ist echt spannend. Etwa jede zweite Frau glaubt, Antifaltencremes können Falten sichtbar verringern (MTX16). Das liegt zum Einen an einer Art Placeboeffekt - also wenn ich viel von ner teuren Creme erwarte, färbt das meine Wahrnehmung - zum anderen daran, dass wir ja selten selbst Kontrolltests machen, indem wir z.B. die eine Hälfte mit ner teuren Creme, die andere mit ner billigen oder mit Vaseline einschmieren. Sollte man vielleicht öfter machen.
(MTX5)
Und warum wird eigentlich immer mehr Botox eingesetzt, wenn es wirklich wirksame Antifaltenmittel in Creme-Form gäbe? Es ist halt Werbung! Natürlich erwartet man von Kosmetikwerbung keine Sachlichkeit und faktische Korrektheit. Aber die wissenschaftliche Grenze ist gezogen, wenn mit Begriffen wie “Studie”, “nachgewiesen”, “klinisch getestet” um sich geworfen wird. Nicht nur, weil wir Konsumenten damit verarscht werden. Sondern auch, weil gute Wissenschaft, gewissenhaftes wissenschaftliches Arbeiten mit guten Methoden, durch solche nichtssagenden Tests durch den Dreck gezogen werden!
Liebe Marketing-Abteilungen, ihr habt doch so viele Möglichkeiten, eure Produkte zu bewerben. Denkt euch blöde Slogans aus, nehmt jede Slomo und jedes Supermodel, das ihr kriegen könnt. Aber lasst wenigstens die Wissenschaft da raus! Denn aus wissenschaftlicher, dermatologischer Sicht, ist es recht überschaubar, was man mit solider Datenlage empfehlen kann. Aber ein paar todsichere Geheimtipps gibt es und die zeigen wir euch hier: