Die Psychologie der Täuschung
Wir müssen weder naiv noch ungebildet sein, um uns täuschen zu lassen. Wir Menschen sind fürs Getäuscht werden geradezu neurologisch vorprogrammiert. Dazu führt unter anderem der sogenannte Barnum-Effekt:
(Quellen: MTX5, MTX18)
Es ist keine Schande, auf den Barnum-Effekt reinzufallen. In Studien werden Akzeptanzraten bis zu 90% erreicht (MTX16). Und der Barnum-Effekt begegnet uns überall, z.B. bei Horoskopen. Über 60% der ab- und vermeintlich aufgeklärten Generation Internet zwischen 18 und 24 Jahren, glaubt, dass ihr Schicksal buchstäblich in den Sternen steht (MTX21).
Skeptische Skorpione und weise Waagen lassen sich natürlich auch nicht so schnell überzeugen. Für euch führe ich das gerne kurz aus.
Falsche Sternzeichen
Die Erde umkreist die Sonne… Ja, liebe Flatearther,
Wenn wir von der Erde aus auf die Sonne schauen, sehen wir im Laufe des Jahres unterschiedliche Sternkonstellationen und hier kommt der Tierkreis ins Spiel. Das sind die Sternbilder, durch welche die Sonne - von der Erde aus betrachtet - im Laufe des Jahres durchwandert.
Im Juni verdeckt die Sonne das Sternenbild Zwilling. Dann wird gesagt, die Sonne steht im Zeichen Zwilling, und wer jetzt geboren wird, hat das Sternzeichen Zwilling.
Die Erde kreist weiter, die Sonne wandert durch den Krebs … im August dann durch den Löwen - das ist übrigens Mais Sternzeichen - und so weiter.
Das Problem ist nur, dass unsere heutige, westliche Astrologie auf etwa 3.000 Jahre alten Sternenkarten aus Babylon basieren. Und vor 3.000 Jahren sah der Sternenhimmel noch anders aus. Warum? Weil die Erdachse eiert. Das heißt Präzession. Alle 26.000 Jahre macht die Erdachse so eine Runde.
Und dadurch ändert sich die Perspektive der Erde und damit auch die Sternbilder. Und das sage nicht ich, sondern die NASA (MTX11).
Am 7. August, Mais Geburtstag, stand die Sonne eigentlich gar nicht im Zeichen des Löwen - sondern wegen der neuen Achsenstellung der Erde - im Zeichen des Krebs. Ich habe also mein Leben lang die falschen Horoskope gelesen!!!
Und die meisten von euch wahrscheinlich auch. Hier die vollständige Liste (MTX19):
Und manche werden feststellen, dass sie ein Sternzeichen haben, von dem sie noch nie gehört haben - Schlangenträger! Yep, 30. November bis 17. Dezember. Dieses Sternbild haben die Babylonier damals einfach ignoriert, weil 13 Sternzeichen einfach nicht so gut zu nem 12-monatigen Mondkalender passten (MTX11).
Aber keine Sorge, liebe Astrologie-Fans, brigitte.de hat’s unter Kontrolle:
(MTX3)
Eine perfektes Beispiel für Confirmation Bias, auf deutsch Bestätigungsfehler. So heißt die grundmenschliche Neigung, Informationen so hinzubiegen, wie es zum eigenen Weltbild passt.
Zusammen mit dem Barnum-Effekt, vor dem Horoskop-Texte nur so triefen, schafft es Astrologie, viele Menschen zu täuschen, obwohl wissenschaftliche Studien sie klar widerlegen (MTX2).
Aber lehnt euch nicht zu weit zurück. Kennt ihr zum Beispiel den Myers-Briggs-Persönlichkeitstest? Oder die “16 Persönlichkeiten”? Bist du eine logische INTP oder doch eher ein charismatischer ENFJ?
Diese und ähnliche Tests werden in seriösen Firmen sogar bei Einstellungsverfahren angewendet (MTX1, MTX8). Und das obwohl sie leider mehr auf dem Barnum-Effekt beruhen als auf Wissenschaft. Kleiner Hint an alle, die sich ihren Myers-Briggs-Typ in die Tinder-Bio schreiben.
Die Suche nach Mustern
So funktioniert halt die menschliche Psyche. Wir lieben es in Schubladen zu denken und wir suchen gerne Muster. Wir können nicht einfach nachts ins Sternenchaos schauen und akzeptieren, dass alles random ist, nein, nein. Wir müssen Sternbilder suchen. Und wir können auch nicht einfach ein verbranntes Toastbrot sehen und in “geht noch” oder “eventuell gesundheitsschädlich” einteilen, nein, nein. Wir sehen natürlich Jesus darin. Wir sehen sowieso überall Gesichter, wo eigentlich keine sind. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff, Pareidolie (MTX12).
Wir neigen also dazu, zufälligen, bedeutungslosen Dingen eine Bedeutung zu geben, indem wir einzelne, zusammenhanglose Infos in unsere Köpfen verknüpfen und ausbauen. Diese Autovervollständigungs-Funktion unseres Gehirns macht uns anfällig für scheinbar hellseherische Aussagen.
Verschwörungserzählungen
Beispiel QAnon. QAnon ist eine Bewegung, die sich durch einen äußerst kreativen und flexiblen Realitätsbegriff auszeichnet und den Verschwörungserzählungen eines gewissen Q anhängt. Der schreibt zum Beispiel ins Internet, dass eine satanistische Welt-Elite Kinder entführt, um aus ihrem Blut Adrenochrom herzustellen, das angeblich den Alterungsprozess verlangsamt. Aus den vagen und nichtssagenden “Prophezeiuungen” leiten QAnon-Anhänger:innen dann, von der Elite verheimlichte, Wahrheiten ab, obwohl noch nie auch nur eine davon eingetreten ist (MTX6):
Q schreibt z.B. “Watch the water” - Achtet aufs Wasser. Eine klassische Nicht-Aussage, die alles, aber auch gar nichts bedeuten kann. Irgendwo wird schon irgendwas mit Wasser passieren. Zum Beispiel ein Schiff bleibt im Suezkanal stecken und dann die Q-Anhänger so: watch the water - NATÜRLICH! Der Suez-Kanal!! Die Schiffe sind voller Kinder - das muss Hillary Clintons Werk sein (MTX14, MTX15)!
Oder Wasser… als Zeichen… Wasser… Zeichen… JA KLAR! Wasserzeichen! Mit geheimen Wasserzeichen auf Briefwahlzetteln hat Donald Trump Wahlbetrug aufgedeckt!!! (MTX9)
True story. Also ähm true Verschwörungserzählung.
Selbsternannte Hellseher:innen können also weit kommen mit möglichst vagen Nicht-Aussagen. Für Sinn und Bedeutung sorgen dann schon die menschliche Psyche und die Dynamiken sozialer Netzwerke.
OK. Aber was ist mit Hellseher:innen, die sehr KONKRETE Aussagen machen??
Das Ausnutzen statistischer Wahrscheinlichkeit
Stellt euch vor, ein:e Hellseher:in sagt voraus “Ein beliebter Musiker wird sterben!” Und dann passiert das wirklich…
Naja. Jedes Jahr sterben etwa 0,7% der Weltbevölkerung (MTX20). Allein bei Spotify sind etwa 8 Millionen Künstler:innen gelistet, das heißt, statistisch gesehen sterben eben 5000 Musiker:innen pro Monat. Und “beliebt” - naja, irgendwem wird’s wohl gefallen haben.
Geschickte Hellseher:innen nutzen also nicht nur vage Nicht-Aussagen, sondern auch Aussagen, die durch ihre Konkretheit beeindrucken, in Wirklichkeit aber einfach nur statistisch wahrscheinlich sind.
Aber wie zum Teufel erklärt man sich dann Dinge wie den Televangelisten Popoff? Er füllte Hallen mit Gläubigen und behauptete, er könne Krankheiten der Anwesenden “sehen” und wunderheilen. Die Wirklichkeit war aber ziemlich unspektakulär. Die Leute konnten vor der Show Gebetskarten auszufüllen. Und die wurden dann von Popoffs Frau hinter der Bühne geöffnet, und sie las ihm dann alles Interessante auf einen Knopf im Ohr vor. Solches Fake-Hellsehen heißt Hot Reading.
Nicht fake wiederum ist das, was Timon Krause macht. Das nennt sich COLD Reading:
Das Geschäft mit der Täuschung
Leider sind die wenigsten so transparent wie Timon, vor allem die, die viel Geld mit Fake-Esoterikquatsch verdienen.
Zu der Firma Adviqo zum Beispiel gehören Ratgeber-Websites, Lebenshilfe-Hotlines und der Fernsehsender Astro TV. Adviqo soll rund 90 Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen, einfach indem sie oft verzweifelte, hilfesuchende Menschen “beraten”, die dann nichts als Barnum-Effekt und Co für ihr Geld bekommen.
Aber gut. Ist ja nicht mein Geld. Was interessiert es mich also, was andere in ihrer Freizeit machen? Muss die Wissenschaft immer jeden Spaß kaputt-rationalisieren?
Denn egal, ob Menschen DARAN glauben, an Horoskope oder an Globuli - in jedem Fall ist es etwas Irrationales, das sich wissenschaftlicher Methodik und kritischem Denken entzieht. Und diese Irrationalität kann sich auf alle möglichen Lebensbereiche übertragen und im Zweifelsfall richtig ernst werden. Zum Beispiel wenn ich lebensrettende Behandlungen ablehne und stattdessen lieber ne Saftkur mache, wie Steve Jobs, - R.I.P (MTX17).
Wie gesagt, selbst der kritischste Kopf ist nicht immun gegen Täuschungen, aber wer die psychologischen Basics und die gängigen Tricks hinter Hellsehen und dergleichen kennt, kann sich besser schützen. … Oder gleich selbst die “Zukunft voraussagen”. Deswegen hier unsere MAITHINK X Prophezeiungen für das verbleibende Jahr: