Fernsehquote - Die geheime Macht der Quotenbox
Mit diesem Spot haben wir für diese Sendung geworben.
Klar, das ist ein bisschen reißerisch, aber hilft um Aufmerksamkeit zu generieren und die brauchen wir. Denn statt MAITHINK X wäre es für ZDFneo rentabler, eine Wiederholung der Schwarzwaldklinik zu zeigen. (MTX13) Die wurde zwar vor 33 Jahren abgesetzt, die Wiederholungen erzielen aber immer noch “Topquoten”. Die Folge “Die Schuldfrage” von 1985 hält sogar bis heute den deutschen Quotenrekord (MTX9), abgesehen von Sportübertragungen.
Gerade bei Jüngeren haben Streaming-Anbieter und Videoplattformen das klassische, lineare Fernsehen zwar längst überholt (MTX5), doch das Fernsehen beeinflusst auch diejenigen, die nicht fernsehen!
Fernsehquote
Die Fernsehquote gibt Sendungen also einen “Marktwert” und der bestimmt dann über die Werbeeinnahmen, weswegen der Quotendruck im Privatfernsehen besonders hoch ist. Aber die Quote beeinflusst auch die öffentlich-rechtlichen Sender. Bis vor einigen Jahren hat z.B. JEDE ARD-Landesanstalt mindestens eine eigene Zoo-Dokusoap produziert. Jede, bis auf den Saarländischen Rundfunk. Der letzten Bastion gegen den Gruppen- und Quotenzwang. Go SR!
Tiere machen eben Quote, und Quote macht Programm und das schon seit 1963. Das war nämlich das Jahr, in dem erstmals eine Quote erhoben wurde (MTX3), weil da das ZDF auf Sendung ging (MTX19) und es ab da dann zwei bundesweit empfangbare Sender gab. Richtig wichtig wurde die Quote aber erst rund zwanzig Jahre später, mit dem Start des Privatfernsehens (MTX10) - und deren Werbe-Finanzierung. Wir kaufen Produkte, die Wirtschaft nimmt dann den Erlös und bewirbt damit wiederum Produkte, die wir dann kaufen sollen. The Circle of Hype. 2021 wurden so in Deutschland 18 Milliarden Euro in Fernsehwerbung investiert! (MTX16)
Wenn die Wirtschaft bereit ist, 18 Milliarden auszugeben, dann muss da ja ein top entwickeltes, absolut wasserdichtes Messsystem hinterstecken, oder?
Messung der Fernsehquote
Zuständig für dieses Messsystem ist die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF), die wiederum ein Zusammenschluss verschiedener Fernseh- und Streaminganbieter und Vertreter:innen der Werbeindustrie ist. Zur GfK-Quoten-Statistik tragen nicht alle Menschen bei, sondern nur die, die eine Quotenbox besitzen. Aktuell sind das 5.400 Haushalte, in denen rund 11.000 Menschen leben, diese Gruppe nennt man das AGF-Panel. (MTX4) Und die Box zeichnet auf, wer im Haushalt wie lange welchen Sender schaut.
Dieses Panel aus 5.400 Haushalten steht stellvertretend für fast 39 Millionen Haushalte und die 11.000 Menschen für 75 Millionen Zuschauer:innen.
Aber können 11.000 Menschen überhaupt repräsentativ für 75 Millionen Menschen sein? Ja - müssen aber nicht.
Repräsentativität
Eine Stichprobe ist “repräsentativ”, wenn sie die Eigenschaften einer größeren Gesamtmenge abbildet und deshalb über diese Gesamtmenge Aussagen treffen kann. Kommt es dabei zu Verzerrungen, sprechen wir Nerds von Bias.
1. Bias
Um Biases, also Verzerrungen in der Auswahl zu vermeiden, wird für die Zusammenstellung des Quotenpanels ein Stichprobensystem verwendet, das für die Marktforschung entwickelt wurde. Es werden Fragen zu Alter, Schulbildung, Größe des Wohnorts und so weiter gestellt werden - und daraus ein Gruppe Menschen zusammengestellt und notfalls gewichtet, sodass es den deutschen Durchschnitt möglichst gut abbildet.
2. Größe der Stichprobe
Ob eine Stichprobe von 11.000 Menschen ordentlich ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Bestes Beispiel: Unsere allererste Folge hat nach der Erstausstrahlung noch ein paar Zuschauer:innen dazu gewinnen können und landete am Ende bei 354.000, was einem Marktanteil von 1,5% Menschen (MTX14) entsprach, die sich für dieser kleine Oase der Wissenschaft entschieden haben. Danke dafür! :)
Hochgerechnet auf 100% bedeutet das, dass an diesem Abend laut Panel 23,6 Millionen Menschen ferngesehen haben. Also knapp 31% von den 75 Millionen, die Zugang zu einem Fernseher haben und die von den 11.000 Menschen im Panel repräsentiert werden. Es haben also 31% von diesen 11.000 ferngesehen und das sind dann ganze 3.410 Quotenboxbesitzer:innen.
Von diesen 3.410 Leuten haben dann 1,5% unsere Sendung geschaut und das sind – 51 Menschen! 51!!!
Wenn nur 5 Menschen weniger zuschauen, fehlen uns direkt 10% der Zuschauer:innen.
Für Quotenschlager mit Millionen-Publikum fallen Verzerrungen von Tausenden bis Zehntausenden kaum ins Gewicht und die Stichprobe liefert ein gutes Bild für die Gesamtheit. Aber abseits der Primetime ist die Quotenmessung für die meisten Sendungen zu grob, um verlässliche Aussagen über Zuschauerzahlen zu machen.
Also liebe Programmverantwortliche für kleine Sender und Sendungen – ihr könnt natürlich auf die Quoten schauen, um Entscheidungen zu treffen – ihr könnt es aber auch lassen.
Aber was wäre denn, wenn es in jedem Haushalt eine Quotenmessbox gäbe? Es gibt aktuell Versuche mit den neuen Möglichkeiten von Smart-TVs, daran wird also gearbeitet. Trotzdem bringen auch solche Verfahren eine Reihe anderer Probleme mit sich.
Fehlerquellen bei der Quotenerhebung
Die Top 5 Fehlerquellen:
5. Rezeptionssituation wird nicht erfasst
Ob Zuschauer:innen wirklich zuschauen oder nur bei der heute-show eingeschlafen sind, misst die Quotenbox natürlich nicht.
4. Bedingungsfehler
Die Panelmitglieder müssen sich an der Box anmelden, damit sie gemessen werden. Als 2018 das Publikum des Sandmännchens genauer angeschaut (MTX17) wurde, kam raus, dass im etwa zu gleichen Teilen Kinder und ihre Eltern zugeschaut haben. So weit, so erwartbar. Das Sandmännchen läuft aber auch im mdr und da gucken etwa 370.000 Menschen zu und von denen sind 84%(!) über 50 Jahre. Eine Erklärung wäre, dass Enkel, die bei ihren Großeltern zu Besuch sind, einfach nicht eingeloggt werden.
3. Fehlinterpretation des Audience Flow
Programme werden so geplant, dass aufeinanderfolgende Sendungen möglichst gut zueinander passen, um die Zuschauer:innen von der einen in die nächste Sendung mit zu nehmen. Es kann also einfach sein, dass das Sandmännchen im mdr zwischen zwei Sendungen platziert wurde, die eher Ü50-Zuschauer ansprechen und das Sandmännchen dann einfach “weiterläuft”. Sind ja nur ein paar Minuten.
2. Äußere Faktoren werden nicht berücksichtigt
Die Beliebtheit einer Sendung ist von vielen äußeren Faktoren abhängig, die nicht berücksichtigt werden, z.B. vom Gegenprogramm, vom Wetter oder auch Wochentagen” abhängt. Und vieles mehr.
Aber wenn die Quote stimmt, dann knallen die Korken. Völlig egal, ob ne Spitzensendung abgeliefert wurde oder ob halt gerade Pandemie ist und die Leute einfach mehr zu Hause sind und auch mehr fernsehen.
1. Mediatheksaufrufe fehlen
Wer die Sendung vorab oder später in der Mediathek schaut, trägt nicht zur offiziellen TV-Quote bei. Nicht wirklich zumindest. Die Streamingaufrufe fließen erst nach acht Tagen in die Quote ein, in die sogenannten “konvergenten Nutzungsdaten” (MTX1, MTX2), in denen sie mit der Quote verrechnet werden. Medienjournalist:innen wollen aber natürlich nicht acht Tage warten, um über die Quoten zu berichten. Alle genannten Verzerrungen fallen natürlich umso mehr ins Gewicht, je kleiner die Sendung ist. Für kleinere Formate ist Quote also nicht wirklich aussagekräftig. Und für Formate mit großem Publikum ergibt sich dafür ein ganz anderes Problem aus der Quote - nämlich falsche Anreize.
Aufmerksamkeit kann Inhalte schädigen
Es gibt Themen wie Wissenschaft, aber auch gesellschaftliche oder politische Themen, bei denen es keine einfachen Antworten gibt und die von Differenzierungen und Komplexität leben. Die Fernsehquote lebt aber von Zuspitzungen, Konflikten und Markus Lanz. Deswegen MEIDEN viele Wissenschaftler:innen Formate wie Polittalkshows. Wegen der Zuspitzungen, nicht wegen Markus Lanz.
Wir haben hier also ein anderes Problem von “Repräsentativität”. Das, was ihr in den letzten zwei Jahren in Talkshows über Corona gehört habt, entspricht überhaupt nicht dem Diskurs in der wissenschaftlichen Community.
Dabei gibt es wenig Formate, die öffentliche Meinung so sehr prägen wie öffentlich-rechtliche Polittalkshows mit ihren Bombenquoten. Sie werden noch am gleichen Abend auf Twitter, am nächsten Tag dann in den Online-Ausgaben der Presse und wieder einen Tag danach in den Print-Versionen wiedergekäut, zitiert und diskutiert.
Fernsehen für alle
Das soll jetzt kein ÖRR-Bashing sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein wichtiges, wahrscheinlich das WICHTIGSTE unabhängige Informationsmedium, das wir haben. Gerade jetzt, in globalen Krisenzeiten, in Kriegszeiten, wird klar, wie unverzichtbar die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist.
Doch zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen gehört eben auch Zoosendungen sowie Übertragungen korrupter Sportevents, Pilcher-Schnulzen zur Primetime und Stammplätze für Virolog:innen, die von der überwältigenden Mehrheit ihrer Fachkolleg:innen nicht ernst genommen werden. Warum? Weil da halt viele Leute einschalten - und ist das nicht die beste Rechtfertigung für den Rundfunkbeitrag?
Das Fernsehen, und ganz besonders das öffentlich-rechtliche, hat gerade jetzt, im Zeitalter des Internets, ein völlig unterschätztes Potential. Beim Fernsehen wird Popularität, in Form von Quote oder Views, nicht automatisch diktiert. Das lineare Fernsehen hat keine Startseite, auf der ein werbegetriebener Algorithmmus die Inhalte groß macht, die besonders gut geklickt oder geteilt werden, egal ob Wombatvideo oder Verschwörungstheorie. Stattdessen gibt es Sendeplätze, darunter extrem reichweitenstarke, die von Programmverantwortlichen besetzt werden, die dabei auf die Quote schauen KÖNNEN, aber nicht unbedingt MÜSSEN. Und am allerwenigsten muss es das öffentlich-rechtlich finanzierte Fernsehen.
Denn der öffentlich-rechtliche Auftrag lautet nicht Fernsehen für viele.
Sondern Fernsehen für alle. Doch inzwischen ist es verkommen zu: Fernsehen für Alte.
Das Durchschnittsalter des ZDF-Publikums lag 2016 bei 62 Jahren! (MTX12) und es wird seitdem immer älter… Denn anstatt zum Beispiel jüngeren Formaten einen guten Sendeplatz zu geben, werden sie immer häufiger mediatheks-only oder bei funk veröffentlicht.
Trotzdem sollen die 18,36€ pro Monat natürlich für Sendungen genutzt werden, die auch Menschen sehen möchten und es wird beim ÖRR auch nicht ausschließlich auf die Quote geachtet, sonst gäbe es unsere Sendung nicht. Aber der ÖRR sollte sich trauen, sich noch mehr von der Quote zu befreien.