Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
In Deutschland werden pro Jahr rund 100.000 Schwangerschaften abgebrochen (MTX32). Trotzdem ist das Thema immer noch ein Tabu. Juristisch geregelt wird der Schwangerschaftsabbruch in §218.
Quellen: MTX2 MTX37
Schwangerschaftsabbrüche sind also rechtswidrig, aber nicht strafbar. Eine wichtige Voraussetzung, um sich nicht strafbar zu machen, ist mindestens drei Tage vorher zu einer professionellen Beratung bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu gehen (§218a Abs. 1 S. 1 StGB, MTX2).
Quellen: MTX2, MTX3, MTX5, MTX31, MTX22, MTX19, MTX33, MTX23, MTX18, MTX27, MTX14
In einer früheren Version der Sendung MAITHINK X vom 07.11.2021 erschien in einem Einspieler über Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen fälschlicherweise das Logo von donum vitae an der Stelle, an der es um kirchliche Träger ging. Dies trifft auf donum vitae nicht zu. Es handelt sich um einen von katholischen Christ:innen gegründeten Verein bürgerlichen Rechts, der sich für eine christlich geprägte, und nach eigener Aussage ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung einsetzt.
Durch die Platzierung einer sehr extremen Äußerung des Papstes über Schwangerschaftsabbrüche in unserem Einspieler, konnte der Eindruck entstehen, donum vitae vertrete genau diesen Standpunkt. Diese Stelle haben wir daher entfernt und den Einsprecher entsprechende korrigiert.
“Werbung” für Schwangerschaftsabbruch
Laut Heilmittelwerbegesetz ist so eine klassische Werbung für Medizinprodukte und medizinische Maßnahmen sowieso verboten. Paragraf 219a meint mit “Werbung” aber was anderes. Das Ziel ist es, Abtreibungen nicht zu verharmlosen (MTX10, S.7), aber die Umsetzung ist kompliziert:
Ärzt:innen und medizinische Einrichtungen dürfen öffentlich, zum Beispiel auf ihrer Homepage, darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen (§219a (4) 1. MTX4, MTX35). Konkrete Informationen, zum Beispiel mit welchen Methoden Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden oder ob die Krankenkasse das zahlt und so weiter, dürfen NICHT veröffentlicht werden.
Manche Ärzt:innen, die zu detailliert und zu öffentlich informiert haben, wurden deshalb sogar schon angeklagt.
Weniger Behandlungsmöglichkeiten
Unter anderem deshalb geben immer mehr Ärzt:innen nicht mehr öffentlich bekannt, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder stellen das Angebot komplett ein (MTX29). Inzwischen gibt es einige Städte, in denen gar keine Abbrüche mehr möglich sind. In Niederbayern, der Oberpfalz und auch in größeren Städten wie Augsburg, Regensburg, Würzburg und Ingolstadt gibt es offiziell keine einzige Klinik, die Abbrüche anbietet (MTX9).
Das führt dazu, dass in ganz Bayern - einem Bundesland mit über 13. Millionen Einwohner:innen - ein einziger Arzt über ein Drittel aller Abtreibungen durchführt (MTX7) - der ist 75 und würde gerne in Rente gehen, findet aber keine Nachfolge.
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Anzahl der Kliniken und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, fast halbiert (MTX8).
219a führt also dazu, dass es Schwangeren schwerer gemacht wird, sich über einen invasiven Eingriff in ihren Körper umfassend zu informieren und dass Ärzt:innen, die diesen Eingriff anbieten, bedroht oder angezeigt werden.
Was passiert bei einem Schwangerschaftsabbruch?
Quellen: MTX16, MTX17, MTX26, MTX13
Also irgendwie wirkt das gar nicht so verharmlosend. Doch trotzdem wird das Thema mehr verdrängt, als dass umfassend aufgeklärt wird. Das geht so weit, dass diese Eingriffe kein Pflichtbestandteil der gynäkologischen Fachausbildung sind (MTX6). Obwohl der Eingriff allein in Deutschland täglich 274 mal durchgeführt wird.
Fehlende Aufklärung auch in der Lehre
Die Studierenden könnten zwar die Eingriffe in Praxen lernen, die diese anbieten - aber davon gibt es eben nicht mehr so viele. Stattdessen organisieren sich viele Studierende selbstständig in Kursen (MTX28), in denen Fachleute das Absaugen lehren - anhand von Papayas, die tatsächlich gut dafür geeignet sind.
Und das, obwohl medizinisch-sachliche und ausführliche Aufklärung doch eine gute Sache ist. Es sollte im Gegenteil vorgeschrieben sein, dass Ärzt:innen die Abtreibungen vornehmen, darüber informieren zu müssen - und zwar umfassend.
Hier zeigt sich, dass es bei dem Streit eigentlich um die Grundsatzfrage geht, ob Schwangerschaftsabbrüche in Ordnung sind oder nicht. Und wie bei so vielen komplizierten Fragen, schauen Leute gerne zur Wissenschaft und verlangen eine klare Antwort. So wir hier:
Psychische Belastung
2019 kündigte Jens Spahn eine Studie zu den psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen an (MTX12). Das sogenannte Post-Abortion-Syndrom.
Bis 2023 soll die Studie mit 700 Frauen laufen, die vom Bundesministerium für Gesundheit mit insgesamt 5 Millionen Euro gefördert wird (MTX20).
SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis kritisiert das.
Sie sagt, die Situation von Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen sei bereits „durch eine sehr umfangreiche Studienlage untersucht“. Alle seriösen Studien dazu hätten gezeigt, dass ein Post-Abortion-Syndrom nicht existiere. (MTX11)
Ein methodisches Problem an diesen Untersuchungen ist die fehlende Kontrollgruppe. Es geht nämlich nicht um die Frage, ob es Menschen nach einem Abbruch gut geht, sondern, ob es ihnen schlechter geht, als wenn sie die Schwangerschaft nicht abgebrochen hätten. Und genau diese Kontrollgruppe ist schwierig zu finden.
Eine methodisch starke Ausnahme ist die amerikanische Turnaway-Studie (MTX25). In der großen Langzeiterhebung wurden Frauen, die eine Abtreibung hatten, mit einer Kontrollgruppe von Frauen verglichen, denen eine Abtreibung verweigert wurde, den sogenannten “Turnaways”. Die Daten wurden in über 50 Studien ausgewertet. Es zeigte sich dabei kein erhöhtes Risiko für Depression, Angststörungen oder Selbstmordgedanken gegenüber der Kontrollgruppe. 95% der Frauen gaben an, dass der Schwangerschaftsabbruch für sie die richtige Entscheidung war, als sie über 5 Jahre nach der Abtreibung befragt wurden.
Dagegen wurde bei Frauen, denen eine Abtreibung verweigert wurde, negative Korrelationen beobachtet:
Die Zusammenhänge sind natürlich sehr komplex und wie immer dürfen Korrelation und Kausalität nicht verwechselt werden. Doch die Hinweise sprechen aktuell gegen ein Post-Abortion-Syndrom.
Aber selbst wenn wir sicher sagen könnten, ob es das Syndrom gibt oder nicht, können wir nicht beantworten, ob Abbrüche ok sind oder nicht. Denn bei einer Schwangerschaft geht es ja um zwei Leben: das der Schwangeren und ein Ungeborenes. Doch wo beginnt das Leben überhaupt?
Beginn des Lebens
Ein Fötus im 9. Schwangerschaftsmonat kann als Mensch bezeichnet werden, eine frisch befruchtete Eizelle eher noch nicht. Irgendwo dazwischen wird also aus einem Zellhaufen ein Mensch. Passiert das jetzt, während der ersten 12 Wochen, in denen eine Abtreibung möglich ist?
Dazu können wir folgendes medizinisch betrachten:
a) Herzschlag
In Woche 11 kann zum ersten Mal der Herzschlag des Fötus im Ultraschall gehört werden.
Aber das was wir über das Ultraschallgerät hören, ist nicht das gleiche wie das, was bei einem Erwachsenen über das Stethoskop zu hören ist (MTX30). Das Ultraschallgerät wandelt die Signale, die es vom Fötus-Herz aufnimmt, in Ton um. Und das macht das Gerät übrigens auch schon, bevor da überhaupt ein richtiges Herz ist. Das heißt, man kann “Herzschlag” bei der Ultraschalluntersuchung hören, obwohl das Herz noch gar kein richtiges Herz ist.
Aber in der 11. Woche hat ein Fötus-Herz alles, was ein Herz hat, also zum Beispiel Kammern. Also ist das jetzt ganz sachlicher der Punkt an dem medizinisch Leben beginnt?
Das Herz ist gar nicht so ausschlaggebend für Leben, wie wir manchmal denken. Auch ohne Lunge oder Gehirn könnten wir nicht leben! Die Symbolik des Herzschlags für Leben beruht also nicht auf Medizin, sondern auf unserer kulturellen, etwas verklärten Vorstellung vom Herzen.
Hm. vielleicht wäre die elektrische Aktivität im Gehirn ein geeigneterer Indikator für das, was wir unter Leben verstehen. Zumindest ist das Hirn der Ort unseres Bewusstseins, während das Herz “nur” ein Muskel ist. No offense.
Wir könnten uns also nach dem Zeitpunkt der Hirnentwicklung richten oder konkreter danach, ob ein Embryo oder Fötus beim Abbruch Schmerzen empfinden kann.
b) Schmerzempfinden
Um zu spüren, dass du dir z.B. die Hand an der Herdplatte verbrennst, braucht du:
- Schmerzrezeptoren an der Hand
- Den Cortex, also die äußere Schicht des Gehirns, weil dort Schmerzen bewusst wahrgenommen werden
- Eine Verbindung zwischen Schmerzrezeptoren und Cortex
Bis zur 12. Schwangerschaftswoche sind diese Vorraussetzungen noch nicht erfüllt, ob Vorgängerstrukturen, wie einzelne Zell- oder Nervenfasern vielleicht schon aktiv sind, lässt sich mit aktueller Technologie nicht feststellen (MTX38).
Und selbst wenn wir sicher definieren könnten, ab wann es Schmerzempfinden oder andere Arten von Bewusstsein gibt oder welche sozialpsychologischen Folgen eine ungewollte Schwangerschaft oder Abtreibung hat, nichts davon beantwortet uns die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, eine Schwangerschaft abzubrechen.
Fazit
Die Ausnahmesituation der Schwangerschaft sprengt jedes Verständnis von Individualismus.
Einerseits gibt es ja nicht zwei individuelle Menschen, da ein Fötus ohne die Schwangere gar nicht lebensfähig ist. Aber nur ein Individuum, also nur die Schwangere zu sehen, geht auch nicht.
Es handelt sich also um eine ethische Frage, die nicht alleine mit wissenschaftlichen Untersuchungen beantwortet werden kann. Trotzdem brauchen wir dieses Wissen aus Fakten und medizinischen Grundlagen als eine objektive Entscheidungshilfe. Und deshalb ist es notwendig, dass dieses Wissen für alle leicht zugänglich gemacht wird.
Wo finde ich
staatlich anerkannte Konfliktberatungsstellen?
Kliniken und Praxen die Schwangerschaftsabbrüche durchführen?
Moralisch und juristisch ist es schwierig hier den direkten Link zu posten. Durch die richtige Google-Suche von “Schwangerschaftsabbruch” und “Bundesärztekammer” findet ihr aber auch die notwendigen Informationen. Es hilft übrigens auch bestimmte Suchergebnisse auszuschließen, mit einem Minus, also zum Beispiel so:
Die Bundesärztekammer und familienplanung.de der BundesZentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind seriöse und verlässliche Anbieter, bei denen sich die Einrichtungen freiwillig melden können. Dort findet ihr auch Informationen zu den Eingriffsmethoden, die jeweils angeboten werden.