Wende oder Ende – gefährdet die Ampel den Wohlstand?

Fakten-Box | 31. Oktober 2024

• Wirtschaftstreffen von SPD und FDP

  

  Die zwei separat abgehaltenen „Gipfel-Treffen“ von SPD und FDP mit unterschiedlichen Wirtschaftsverbänden haben für Unstimmigkeiten in der Regierungskoalition gesorgt.
  
  Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am 16. Oktober 2024 im Bundestag in seiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel angekündigt, Gespräche mit Unternehmensvertretern, der Industrie, Gewerkschaften und Verbänden zu führen, in denen es um die schwierige Lage der deutschen Industrie gehen soll. Die Ergebnisse wolle er anschließend dem Bundestag zum Beschluss vorlegen. Das Treffen fand am 29. Oktober statt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner waren zu dem Treffen nicht eingeladen.
  
  Habeck präsentierte sein „Update für die Wirtschaft“ vergangene Woche, zentraler Bestandteil ist der Deutschlandfonds. Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte am selben Tag gemeinsam mit FDP-Fraktionschef Christian Dürr ein Treffen mit Wirtschaftsvertretern ausgerichtet. An dem Treffen nahmen Vertreterinnen und Vertreter der Industrie- und Handelskammern, des Handwerks, der Arbeitgeberverbände, der Familienunternehmen und der Freien Berufe teil. Im Interview mit „ZDF heute“ forderte der Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich „Der Kanzler muss das Ruder entschlossen in die Hand nehmen und eine wirtschaftspolitische Richtung vorgeben, die von der gesamten Regierung mitgetragen wird.“
  
  Im ZDF-Morgenmagazin verteidigte die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken den „Industriegipfel“: „Es ist vollkommen normal, dass der Bundeskanzler, der die Regierung führt, solche Gespräche führt, dass er zu so einem Gipfel einlädt, und dass er da auch entscheidet, wer dabei sein soll.“ An dem Treffen im Berliner Kanzleramt nahmen Vertreter von Industrieverbänden, Gewerkschaften und ausgewählten Unternehmen teil.
  
  „Deutschland ist ein starkes Land, das aktuell vor großen Herausforderungen steht. Jetzt geht es darum, gemeinsam anzupacken und mit einem Pakt für die Industrie, der sehr konkrete Maßnahmen umfasst, den Standort zu stärken“, bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Treffen in einer Erklärung.
  
  Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, dass über die Gesprächsinhalte des Treffens „Vertraulichkeit“ vereinbart wurde. Bundeskanzler Scholz hatte bereits in der vergangenen Woche in der Sendung "maybrit illner“ betont: „Ich möchte, dass es eine vertrauliche Diskussion gibt, in der nicht jeder vorher sagt, was er fordert, wie es während der Sitzung war und hinterher darüber berichtet, was jetzt als nächstes kommt.“
  
  Die Gespräche mit Vertretern der Industrie, Gewerkschaften und Unternehmen sollen am 15. November im Kanzleramt fortgesetzt werden. Wie beim ersten Mal sollen Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner nicht dabei sein.
  
  Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner setzt seine Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft fort, um Wege aus der Konjunkturschwäche zu beraten. Das nächste Treffen sei für Montagvormittag geplant.
  
  (Quellen: afp, dpa, rtz)

  Bildquelle: dpa

•  Deutschlandfonds

  

  Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat einen neuen Anlauf für die Förderung von Unternehmen mit staatlichen Mitteln unternommen. Er schlug am vergangenen Mittwoch eine "unbürokratische Investitionsprämie" von zehn Prozent des Investitionsvolumens vor. Das Geld solle aus einem "Deutschlandfonds" von Bund und Ländern kommen und besonders auch an "Handwerksbetriebe sowie kleine und mittelständische Betriebe" gehen.
  
  In Betracht kommen für die Förderung sollen laut Bundeswirtschaftsministerium alle Investitionen der Unternehmen mit Ausnahme von Gebäudeinvestitionen. Die Prämie würde im Jahr der Investition mit der Steuerschuld des Unternehmens verrechnet. "Ist sie höher als die Steuerschuld oder macht das Unternehmen gar keine Gewinne, wird die Differenz beziehungsweise die komplette Prämie ausgezahlt", heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten "Modernisierungsagenda" des Ministers.  Die Maßnahme soll demnach auf fünf Jahre befristet werden. Das daraus resultierende größere Wirtschaftswachstum würde dafür sorgen, dass die Staatsverschuldung "nur moderat" ansteigen würde.
  
  Der Vorschlag ist eine klare Positionierung gegen die FDP und deren Vorsitzenden, Finanzminister Christian Lindner, der vor allem auf Haushaltsdisziplin pocht.
  
  Aus der SPD kam hingegen Zuspruch. „Der Vorschlag von Robert Habeck für einen Investitionsfonds kann ein Element sein", sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch der Rheinischen Post. Bereits auf ihrem Parteitag im Dezember 2023 hatten die Sozialdemokraten einen „Deutschlandfonds“ ins Gespräch gebracht. Darauf wies auch die SPD-Abgeordnete Verena Hubertz auf der Plattform X hin.
  
  Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat den Kurs der Ampelregierung scharf kritisiert und bessere Bedingungen für die Wirtschaft gefordert. „Die Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Standort Deutschland hat für Investoren an Attraktivität verloren“, beklagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) beim Arbeitgebertag in Berlin. „Im Vergleich zu den vergangenen Monaten scheint das Problembewusstsein in dieser Bundesregierung zumindest gestiegen zu sein“, so Dulger. In den Bereichen Fachkräftezuwanderung und Entbürokratisierung habe es Fortschritte gegeben. Doch das sei nicht genug. „Wettbewerbsfähigkeit muss man sich erarbeiten. Das kann man nicht herbei subventionieren“, sagte er. 
  
  Gegenüber t- online sagte Jörg Dittrich, Präsident Zentralverband des Deutschen Handwerks zu Habecks Plänen. „Der ordnungspolitisch saubere Weg wäre, Steuern und Lohnzusatzkosten zu senken. Das gibt den Betrieben Spielräume, aus eigener Kraft mehr Investitionen anstoßen zu können.“
  
  (Quellen: afp, reuters, dpa)

  Bildquelle: dpa / Michael Kappeler

• Krise bei VW

  

  Am Montag kündigte der Autobauer VW an, mindestens drei Werke schließen und Zehntausende Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die verbleibenden Mitarbeitenden müssten mit Gehaltseinbußen von bis zu 18 Prozent rechnen, warnte der Betriebsrat.
  
  Noch am selben Tag forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern". Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD und IG-Metall-Mitglied, hatte VW bereits im September vor Werksschließungen gewarnt. Im Interview mit dem Handelsblatt meinte sie: „Das VW-Management muss sich fragen lassen, ob es den Konzern mit Entlassungen und Werkschließungen in eine nachhaltige Zukunft führt.“ Aus der Krise will sie Schlüsse für die Politik ziehen: „Die Energieversorgung ist nicht in die Knie gegangen, und die Preise sind wieder auf Vorkriegsniveau. Trotzdem sehen wir, sei es bei VW oder Thyssen-Krupp, dass der multiple Strukturwandel die Unternehmen fordert und dass wir gerade bei den Energiekosten für die Wirtschaft noch etwas tun müssen.“
  
  Scharfe Kritik kam vonseiten der Gewerkschaften – die zudem ihre Forderungen nach höheren Löhnen verteidigten. „Wir möchten nicht, dass die Beschäftigten jetzt Lohnverzicht leisten müssen und für die Fehler bezahlen, die dort das Management gemacht hat", sagte Christiane Benner, Vorsitzende der IG-Metall. Die Beschäftigten seien weder Schuld daran, dass der chinesische Markt eingebrochen sei, noch, dass es für VW in Nordamerika nicht gut laufe. Statt Stellen abzubauen forderte Benner die Konzernleitung auf, noch mehr Menschen umzuschulen. So fehlten im Bereich der Digitalisierung schon jetzt Fachkräfte. „Die IG Metall wird um alle Werke und alle Arbeitsplätze bei VW kämpfen“, kündigte sie an.
  
  Die Gewerkschaft fordert in ihren Tarifverhandlungen sieben Prozent mehr Lohn. Am Mittwoch trafen sich VW und IG Metall in Wolfsburg zu ihrer zweiten Tarifrunde. Dort machte der Konzern erstmals konkrete Details zu seinen Sparplänen bekannt. VW-Verhandlungsführer und Marken-Personalvorstand Arne Meiswinkel bestätigte unter anderem die Forderung, die Tariflöhne um zehn Prozent zu senken. Zu möglichen Werksschließungen und Personalabbau machte er allerdings keine näheren Angaben.
  
  Die Bekanntgabe von VW kann als Zeichen der allgemeinen Wirtschaftskrise gesehen werden. Das findet auch Benner. „Die Ankündigungen waren so etwas wie ein Weckruf, dass wir auch strukturell etwas machen müssen“, sagte sie im Interview mit dem Spiegel. Und auch DGB-Chefin Yasmin Fahimi kritisierte im Interview mit der Rheinischen Post: „Das VW-Management (…) hat die Entwicklung günstiger E-Autos schlicht verschlafen. Davon soll nun mit der Diskussion um die Arbeitskosten abgelenkt werden, das ist ein regelmäßiger Reflex in Krisenzeiten, den wir nur zu gut kennen und der mich in keiner Weise beeindruckt.“
  
  Kritiker von VW mahnen an, dass die Konzernführung die Elektromobilität lange nicht ernst genommen und gleichzeitig stark auf den Markt in China gesetzt habe. Im eigenen Markt auf Wasserstoffantrieb gesetzt zu haben sei ein Fehler gewesen, meint auch Esken.
  
  (Quellen: reuters, dpa)

  Bildquelle: ZDF

• Probleme der Wirtschaft

  

  Wie schwierig die Lage der Wirtschaft ist, zeigte eine am Dienstag veröffentlichte Unternehmensbefragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Demnach bewerten 25 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage mittlerweile als schlecht, in der Industrie sind es sogar 35 Prozent.
  
  Die Nachricht, dass aufgrund von steigender Konsumausgaben der Verbraucher die Wirtschaft im dritten Quartal des Jahres überraschend um 0,2 Prozent gewachsen ist, kann über das Gesamtbild nicht hinwegtäuschen: „Eine Trendwende ist noch nicht in Sicht“, meint Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut.
  
  "Wir haben es nicht nur mit einer konjunkturellen, sondern einer hartnäckigen strukturellen Krise am Standort Deutschland zu tun", bilanzierte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Seinem Verband zufolge droht der deutschen Wirtschaft nach zwei Rezessionsjahren auch im kommenden Jahr ein "Null-Wachstum".
  
  „Die Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Standort Deutschland hat für Investoren an Attraktivität verloren“, warnte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Rainer Dulger beim Arbeitgebertag letzte Woche. „Ein Investitionsstandort muss umso besser sein, je teurer er ist. Und das ist in Deutschland nicht mehr gegeben.“
  
  Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat die Pläne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine "neue industriepolitische Agenda" begrüßt. Für Gespräche darüber, wie diese noch in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden können, "ist der BDI jederzeit bereit und bringt seine Wirtschaftsexpertise mit ein"  erklärte BDI-Präsident, Siegfried Russwurm.
  
  Die Industrie benötige mehr Tempo in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Energiepreise, Rohstoffabhängigkeit, Ladeinfrastruktur und umweltfreundliche Kraftstoffe. "Wir brauchen entschlossenes Handeln der Bundesregierung und einen neuen europäischen Wachstumsplan", forderte Russwurm.
  
  Außerdem würden die durch Sozialabgaben hohen Löhne das Wirtschaftswachstum hemmen: „Die Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sind deutlich über die 40-Prozent-Marke gestiegen und sie werden in den kommenden Jahren weiter bedrohlich Richtung 45 Prozent zunehmen“ klagte auch Jörg Dittrich, der Präsident des Zentralverbands der Deutschen Wirtschaft gegenüber der Rheinischen Post.  
  
  Auch die Belastung der Unternehmen durch Bürokratie wird bekundet: „Die deutsche Wirtschaft schleppt einen riesigen Rucksack aus Bürokratie und finanziellen Belastungen mit sich herum. Was wir jetzt brauchen, ist sofortige Marscherleichterung.“, forderte Reinhold von Eben-Worlée, früherer Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, am Dienstag beim Wirtschaftsgespräch mit der FDP.
  
  (Quellen: dpa, reuters, afp)

  Bildquelle: phoenix

• Steigende Lebenshaltungskosten

  

  Am Mittwoch dieser Woche teilte das Statistische Bundesamt mit, dass die Verbraucherpreise im Oktober wieder stärker gestiegen sind. Die Inflationsrate erreichte nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamts 2,0 Prozent im Jahresvergleich, nachdem die Behörde im September mit 1,6 Prozent den niedrigsten Wert seit über drei Jahren verzeichnet hatte. Verglichen mit dem Vormonat September stiegen die Preise demnach um 0,4 Prozent.
  
  Die steigenden Lebenshaltungskosten sind, was den Deutschen in diesem Jahr die meiste Angst macht – so das Ergebnis der Studie „Die Ängste der Deutschen 2024“ des Infocenters der R+V Versicherung.
  
  Zusätzlich zur Inflation kam im September die Nachricht, dass auf Beschäftigte und Arbeitgeber 2025 ein deutlich höherer Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (GVK) zukommt. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag soll um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent steigen, wie der Schätzerkreis der GKV zuvor mitteilte. Mit dem regulären Beitragssatz von 14,6 Prozent läge der Gesamtbeitrag 2025 dann bei einer Rekordhöhe 17,1 Prozent, die vom Bruttolohn abgeführt werden müssen.
  
  Die kritische Wirtschaftslage ist auch auf die multiplen Krisen der vergangenen Jahre, den lahmenden Welthandel, den demografischen Wandel und den daraus resultierenden Fachkräftemangel, sowie die kritische Energieversorgung nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zurückzuführen.
  
  Derweil schwindet das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nur 14 Prozent der Deutschen finden, dass Innovationen in Deutschland gut gemanagt werden – demgegenüber sind 49 Prozent vom Gegenteil überzeugt. Dies ist das Ergebnis des Edelman Trust Barometer 2024, einer jährlich erscheinenden Studie der Kommunikationsagentur Edelman, die das Vertrauen in verschiedene Institutionen bemisst.
  
  Die Studie fand zudem heraus, dass mit 60 Prozent die Mehrzahl der Befragten findet, der Regierung fehle das richtige Verständnis für neue Technologien. Innovationen voranzubringen trauen die Befragten eher der Wirtschaft zu. „Das Misstrauen in unser wirtschaftliches und politisches System ist groß. Die Institutionen müssen zusammenarbeiten, um dem entgegenzuwirken und den Weg für zukünftigen Fortschritt freizumachen“, sagt auch Christiane Schulz, CEO von Edelman Deutschland.
  
  (Quellen: reuters, dpa)

  Bildquelle: dpa